Andre sah auf die Uhr; Nicole war immer noch mit ihrem Make-up beschäftigt. Wie bei jedem Plan in diesem Stadium machte er sich Gedanken, ob und wann und wo er vielleicht etwas nicht genügend bedacht hatte. Vielleicht war es falsch, ein fliegendes Flugzeug als toten Briefkasten zu benutzen, aber er mußte Pepe schnell wieder aus New York herausbringen. Wenn die Amerikaner Wind davon bekämen, könnten sie ihn der Spionage bezichtigen oder, im günstigsten Fall, sehr verärgert darüber sein, daß er sie nicht vorher verständigt hatte. Außerdem wollte er den Film aus New York heraus haben, weil er ihn nicht Gustave Prevost, diesem Dummkopf, anvertrauen mochte. Das Warten im Dunkeln, die Ungewißheit, das war es, was ihn nervös machte. Pepe ist ein tüchtiger Mann, dachte Andre. Warum verfolge ich ihn jetzt in Gedanken? Es blieb ja doch nichts übrig, als abzuwarten.
Nicole trat ein. Er bewunderte sie, küßte sie auf die Wange, dann verließen sie das Haus und fuhren ab. Seine Gedanken kamen nicht von den Papieren in Rico Parras Diplomatentasche los. Es wäre ein guter Fang, wenn sie sich nicht als gefälscht erweisen sollten. Rico Parra war kürzlich von einer Konferenz in Moskau zurückgekehrt, auf der über eine Anzahl von neuen Bündnisverträgen verhandelt worden war. Sicher hatte er Papiere bei sich, die er mit den Sowjetführern besprechen wollte, während sie in New York bei den Vereinten Nationen waren.
»Michele rief heute an. Sie ist todunglücklich über diesen Streit mit Tucker.«
»Wie?«
»Michele … Streit… Sarah Lawrence … bla, bla, bla … Verdammt! dachte Nicole. Nichts ist wichtig. Nicht ich, nicht seine Tochter. Man sehe ihn nur an: abwesend, in einer anderen Welt. Und ich bin ausgeschlossen, war es schon immer.
»Was sagtest du, Liebste?«
»Ich sagte, die Yankees von New York haben gegen die Washingtoner Redskins verloren.«
Er hielt an der Ecke Wisconsin- und M-Street, wo der Parkwächter ihn freundlich begrüßte und Blaise, der Besitzer des Rive Gauche, sie hineinkomplimentierte. Heute abend handelte es sich um ein Essen im kleinen Kreis. Alles ININ-Leute. Ein italienischer und ein deutscher Kollege mit ihren Frauen. Die Italiener waren erträglich. Ein langweiliges altes Ehepaar mit einem ganzen Haufen Kinder. Mit dem Baron und seiner Frau war es anders. Kurz gesagt, Andre verabscheute die meisten Deutschen, und der Baron war keine Ausnahme Nur eine längst fällige gesellschaftliche Verpflichtung zwang ihn, sich mit einem Deutschen an einen Tisch zu setzen.
Nicole ärgerte sich mehr über die Frau des Barons. Ein kleines, molliges Ding, noch nicht dreißig und mit einer Figur, die noch nicht durch ein Kind verdorben war. Sie zeigte immer soviel wie möglich von ihrem Busen. Nun ja, dachte Nicole, die hat nicht wenige Betten in Washington gewärmt. Und das war auch kein Wunder, der Baron war eine vollkommene Niete. Sie überlegte, ob Andre wohl schon mit deutschen Frauen geschlafen habe, oder vielleicht sogar mit dieser.
Sie gingen auf den Tisch zu. Der Baron und der Italiener standen auf und lächelten. Nicole wurde die Hand geküßt, und Andre küßte die Hände der beiden anderen Damen. Verdammtes Ding, dachte Nicole lächelnd, sieh dir bloß an, wie ihr Kleid vorn auseinanderfällt.
Andre blickte wieder auf seine Uhr. Pepe Vimont müßte jetzt im Taxi sitzen, dachte er, und unterwegs zum Hotel San Martin sein.