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Andre schob mit dem Rücken die Tür auf und setzte seine Koffer ab. Ohne das gewohnte Begrüßungsgekläff von Picasso und Robespierre spürte er sofort eine gewisse Leere um sich. Im Wohnzimmer brannte nur die Lampe zwischen den beiden Louis-quinze-Sesseln. Verdrossen saß dort Brigitte Camus - in Trenchcoat und Wollmütze. »Hallo, Monsieur Devereaux«, sagte sie. Er fürchtete sich zu fragen, denn er wußte die Antwort. »Ihre Frau ist fortgegangen«, sagte Brigitte. »Wann?«

»Sowie Sie nach Kuba abgereist waren. Auf dem Schreibtisch hat sie eine Nachricht hinterlassen, und von Michele liegen mehrere Briefe im Büro.«

Er ging zum Schreibtisch, machte Licht und riß den Umschlag auf.

 

Liebster Andre,

was einmal Liebe zwischen uns war, hat sich in etwas anderes verwandelt. Anscheinend vergehen unsere Tage nur noch damit, daß wir einander weh tun. Immer herrscht unter der Oberfläche eine feindselige Spannung und wartet nur auf ein Wort, um zu explodieren.

Ich hasse Deinen Sklavenberuf. Ich wollte verstehen und zurückstehen, aber ich kann nicht mit ansehen, wie Du vor meinen Augen zugrunde gehst.             

Wie sehne ich mich nach vergangenen Zeiten, die wir nicht zurücklaufen können. Wie sehr wünschte ich, es wäre nicht so weit mit uns gekommen und wir hätten uns nicht so auseinandergelebt. Wenn wir damals gewußt hätten, was wir heute wissen, hätten wir vielleicht gegenseitig nicht das Schlimmste, sondern das Beste aus uns herausholen können. Ich kann Dir Deine Frauengeschichten nicht verzeihen. Ich habe sie hingenommen, aber nie gebilligt. Vermutlich trage ich auch einen Teil Schuld, weil ich Dir keine Erfüllung geschenkt habe.

Ich weiß, ich brauche Zeit zum Nachdenken - und Abstand von Dir, denn wenn ich Dich sehe oder höre, zittere ich vor Schwäche. Michele und ich wohnen in unserer Pariser Wohnung, und an Wochenenden besuche ich Deinen Vater in Montrichard. Er war sehr taktvoll, wenn man bedenkt, was für eine Meinung er im allgemeinen von Frauen hat; die Bemerkung, daß ich nur ein weiterer Beweis sei, blieb mir erspart.

Michele hat mit Tucker gebrochen und sich hier in Paris an der Sorbonne einschreiben lassen. Inzwischen ist sie mit einem jungen Mann namens Francois Picard befreundet, einem Journalisten, der auch für das staatliche Fernsehen arbeitet. Er setzt sich aufopfernd für seine Ideale ein und erinnert mich in mancher Hinsicht an Dich, zu der Zeit, da wir uns kennenlernten. Michele ist ständig mit ihm zusammen.

Mein lieber Andre, wenn ich Dich vielleicht auch mit dieser Trennung verletzt habe, so glaube ich doch, daß ich Dich mehr verletzt hätte, wenn ich - bei unserer festgefahrenen Ehe - in Washington geblieben wäre.

Alles Liebe Nicole. 

Andre behielt den Brief noch eine Weile in der Hand.

»Haben Sie Hunger?« fragte Brigitte.

»Nein.«

»Etwas zu trinken?«

»Nein - nein danke, Madame Camus.«

Sie nahm ihm den Brief aus der Hand und las ihn. »Sie ist unfair.«

»Ich fürchte, Nicole handelt völlig richtig«, erwiderte Andre. »Nein, das tut sie nicht. Nicoles Leben sollten Sie sein. Ihr Leben ist die ganze Welt. Sie hat hier zu sein und bei Ihnen zu bleiben, gleichgültig, wie schwer es ihr fällt. Aber Nicole ist in ihr Unglück verliebt. Sie verletzt ihre Pflicht als Ehefrau. Sie sollte lieber lächeln, wenn Sie müde sind, Ihnen Kraft geben, Ihre Ängste teilen und Ihnen schweigend beistehen, wenn Sie abgespannt sind. Ihre Frau verdient jemanden wie Tucker Brown.«

»Es reicht…«

»Entschuldigen Sie, aber ich habe zu viele Jahre mitansehen müssen, wie auf die Schlacht in Ihrem Büro die Schlacht in Ihrem Haus folgte.«

»Ja, wirklich rücksichtslos von Nicole, mich gerade in dem Augenblick zu verlassen, da ich mich verzweifelt bemühte, meine Geliebte aus Kuba herauszuholen. Ein Jammer, daß sie dafür kein Verständnis hat.«

»Würde Juanita de Cordoba Verständnis haben, wenn die Lage umgekehrt wäre?«

»Ja - und wie gut sie es verstehen würde!«

»Dann ist das die richtige Frau für Sie.«

Andre ließ sich schwerfällig am Schreibtisch nieder, rieb die Augen mit den Handflächen und murmelte beinahe zusammenhanglos: »Ich habe unterwegs dieses Telegramm hier aufgesetzt. Es geht an Botschafter Adam in Havanna und betrifft ein Boot von Miami nach Kuba, mit dem ich Juanita herausholen will. Die Post… mag ich heute abend nicht mehr durchsehen … wir müssen einen langen Bericht machen … wenn Sie nur dafür sorgen, daß das Telegramm gleich morgen früh abgeht…«

»Sie haben anstrengende Tage hinter sich«, sagte Brigitte. »Nun schalten Sie mal eine Weile ab.« Entschlossen knöpfte sie ihren Mantel auf. »Ich mache Ihnen etwas zu essen.«

»Nein, Sie fahren nach Hause.«

»Bitte…«

»Nein, Sie machen sich viel zuviel Sorgen um mich, so wie die Dinge liegen.«

»Ich schlafe im Zimmer Ihrer Tochter«, beharrte sie. »Ich möchte hier sein, wenn Sie etwas brauchen oder mit jemandem sprechen wollen. Es gibt Augenblicke, in denen man einen Mann nicht allein lassen soll.«