Als sie vor einem Jahr durch Viriel gefahren war, hatte Juanita de Cordoba den Mendoza-Brüdern die traurige Nachricht überbracht.
Carlos und Shuey Mendoza mußten erfahren, daß ihr geliebter Vater in Castros Konzentrationslager auf die Isla de Pinos, die Kieferninsel, geschickt worden war, nachdem man ihn ohne Gerichtsverfahren zum Gegner der Revolution gestempelt hatte. Er wurde erschossen, unter dem üblichen Vorwand, daß der Häftling einen Fluchtversuch unternommen habe. Es war einfacher, glatter Mord, und jeder wußte das. Danach war es für Juanita nicht schwierig gewesen, Carlos und Shuey für die Spionageorganisation anzuwerben.
Früher hatte die Mendoza-Familie beträchtliche Anteile an der Schiffahrt von Viriel besessen. Castro hatte ihre Firma enteignet.
Aber Carlos und Shuey waren dort geboren und hatten ihr Leben lang dort gewohnt. Sie kannten den alten Hafen wie ihre Hosentaschen.
Einen Tag, nachdem Andre Devereaux in Havanna angekommen war und Juanita Instruktionen gegeben hatte, fuhr sie nach Viriel und besuchte die Mendoza-Brüder. Sie brachte ihnen Kameras und Ferngläser und gab ihnen den Auftrag, den Hafen Tag und Nacht nicht aus den Augen zu lassen.
Am dritten Abend ihrer Wache liefen vier russische Schiffe - Pinsk, Margraw, Georgia und Wladiwostok - vor einem nahenden Sturm in den verfallenen Hafen ein. Es war genau der Typ von Schiffen, nach denen sie Ausschau halten sollten. Sie waren außergewöhnlich breit, da sie ursprünglich für den Holztransport gebaut waren. Alle Straßen zum Hafengelände wurden von Soldaten der kubanischen Armee gegen die Stadt abgeriegelt. Kein Kubaner durfte den Hafen betreten.
Russische Truppen in Bataillonsstärke entstiegen den vier Schiffen und übernahmen die Bewachung des Hafengeländes sowie die Entladung.
Bei Castro-Kundgebungen sah man große Bilder der russischen und kubanischen Brüder, die sich die Hände schüttelten, sich umarmten, mit erhobenen Fäusten Seite an Seite standen, zum Zeichen der Verbrüderung zwischen Weiß und Schwarz. Die marschierenden Brüder sahen grimmig und entschlossen aus. Die sich umarmenden Brüder lächelten - Genossen in dieser großartigen neuen Welt der Revolution.
Aber in Viriel wunderten sich die Kubaner, denn die Sowjets straften die Plakate Lügen, indem sie sich hochnäsig und abweisend verhielten. Viele solche merkwürdigen Dinge waren seit der Revolution geschehen. Die örtlichen Komitees berichteten der Bevölkerung, daß die Ankunft der russischen Truppen einen Fortschritt bedeute.
Doch die Einwohner von Viriel erinnerten sich noch an die schneidigen Marineinfanteristen von Guantanamo und an die amerikanischen Matrosen, die früher in ihrem kleinen Hafen eingetroffen waren. Das waren andere Männer. Wild und frei, wie die Kubaner selbst. Aber in diesen Tagen stellte man keine Fragen mehr.
Die Ankunft der Russen hatte furchterregende Begleitumstände. Den Kubanern wurde der Zugang zu ihren eigenen Grundstücken in ihrem eigenen Land verwehrt. Sie hatten keinen Zutritt zu den Hotels und Bars in Viriel, in denen die Russen untergebracht waren. Nicht einmal die Prostituierten wurden eingelassen. Tagsüber lagen die vier Schiffe vor Anker. Nur während der Nacht, wenn andere Leute schliefen, wurde ihre Ladung gelöscht.
Aber Carlos und Shuey Mendoza schliefen nicht. Sie hockten in den Felsen der Steilküste, die Viriel umgab. In der ersten Nacht war der Mond hinter Wolken verborgen und ein Unwetter wühlte die See auf. Bei Tag schliefen die Brüder abwechselnd und benutzten die Telefoto-Ausrüstung, die Juanita de Cordoba ihnen gebracht hatte.
In der zweiten Nacht ihrer Wache beruhigte sich die See, und es war mondhell. Shuey Mendoza kroch vorsichtig aus dem Versteck und kletterte den zerklüfteten Steilhang hinab zum Wasser. Abwechselnd tauchend und mit leisen Bewegungen schwimmend erreichte er die Pfähle der Pier und kroch ungesehen darunter. Er kannte jeden Winkel und jedes Loch. Als der Mond hinter einer Wolke verschwand, kroch er auf die Pier und versteckte sich in einem Stapel Bauholz.
Carlos wartete bis zwei Stunden vor Tagesanbruch und schwamm dann eine kurze Strecke bis zu dem alten Wrack eines Schiffes, das nur hundert Meter neben der Hafeneinfahrt auf die Felsen aufgelaufen war.
Beide hatten ihre Kameras, in Plastik verpackt, mitgenommen und machten in kurzen Zeitabständen Aufnahmen von der Ladung, die während der Nachtstunden gelöscht worden war und jetzt auf dem Kai stand. So hielten sie vierundzwanzig Stunden aus, und in der dritten Nacht schwammen sie zurück zur Steilküste.