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Die DC-6B der KLM war eben in Rancho Boyeros gelandet. Die Treppe wurde an die Maschine gerollt, und ein Trio von kubanischen Musikern in makellosem Weiß stellte sich auf, um die aussteigenden Passagiere mit Rumba, Cha-Cha-Cha und Samba zu empfangen. Dies war Castros Beweis, daß in Kuba noch Leben pulsierte. Aber das Pulsieren begann und endete damit.

Andre trat in das stickige Abfertigungsgebäude, in dem die Klimaanlage schon lange außer Betrieb war, weil man fürchtete, daß Sprengladungen in die Leitungen gesteckt werden könnten. Der alte Beamte vom Gesundheitsdienst, noch einer aus der Batista-Zeit, erkannte Andre und rief ihn vor den anderen an den Tisch, von wo er gleich in die Kabinen für Einreisende gewiesen wurde. Diese waren jetzt mit Soldaten der Castro-Miliz in schlechtsitzenden, verblichenen grünen Kampfanzügen besetzt. Ein Negersoldat, der sich durch einen struppigen Bart als Revolutionär auszuweisen versuchte, nahm Andres Paß und blätterte verwirrt die reichlich bestempelten Seiten um, hielt ihn aber verkehrt herum. Andre nahm ihm den Paß aus der Hand, drehte ihn um und gab ihn wieder zurück.

»Diplomat«, sagte Andre.

Der Posten sah ihn böse an und gab den Paß einem Assistenten, der lesen konnte. Eine freie Stelle wurde gesucht und dann kräftig gestempelt.

Andre stand neben seinem eigenen immunen Gepäck, während Milizsoldaten das Gepäck der anderen Passagiere durchstöberten und alle englischsprachigen Zeitungen und Zeitschriften beschlagnahmten, ganz gleich, ob für oder gegen Castro. Die Zollbeamtin, eine kleine, dicke Frau mit starkem Gesäß, die in ihren grünen Hosen lächerlich aussah, kam zu ihm herübergewatschelt und klebte die notwendigen Stempel auf sein Gepäck.

Draußen vor den Abfertigungsräumen wurde Andre vom französischen Botschafter in Kuba, Alain Adam, herzlich begrüßt. Der Chauffeur nahm das Gepäck, und sie gingen zum Wagen. Alain Adam war einer der wenigen höheren Diplomaten, die Präsident La Croix' Säuberungsaktionen bisher entgangen waren, ebenso wie Andre. Noch waren sie im Amt, auf befristete Zeit.

Zu Dutzenden waren sie gegangen. Gute Leute. Gute Franzosen, die rücksichtslos aus ihren Ämtern geworfen wurden. Es gelang ihnen für gewöhnlich nicht, in Frankreich geeignete Posten zu finden, und von ihren mageren Pensionen konnten sie nicht leben.

*

Dies war Andres erster Besuch in Kuba seit mehreren Monaten. Die Fahrt in die Stadt zeigte ihm, daß sich die Dinge noch weiter verschlechtert hatten. Die Fabriken, angefangen bei den Werken von Goodrich und International Harvester, waren so gut wie ausgestorben.

Das Stadion war wieder in ein Konzentrationslager verwandelt worden, das mit echten oder angeblichen Feinden überfüllt war, die man nach dem Debakel in der Schweinebucht verhaftet hatte.

Andre ließ Alain Adam in der Botschaft zurück und nahm einen Dienstwagen, um sich Havanna mit den Augen des Geheimagenten anzusehen.

Es pulsierte nicht mehr. Verstummt waren die schrillen Stimmen der Lotterieeinnehmer und die der Buchmacher, bei denen jeder echte Kubaner wettete, beim Baseball, bei Hahnenkämpfen oder bei jailai-frontons.

Andre vermißte die nervösen Bewegungen der habaneros, wenn sie zwanzigmal am Tag an den kleinen offenen Ständen starken süßen Kaffee aus löffelgroßen Tassen in einem einzigen Schluck hinunterstürzten. Das Gebrabbel vor den billigen Bordellen unten an den Docks, wo die französische, die amerikanische und die italienische Flotte Haufen von schwankenden Matrosen an Land setzte - auch das war verstummt.

Verschwunden waren klappernde Stöckelschuhe und schwingende Hüften und die wohlgefälligen Blicke der habaneros, die anscheinend nichts anderes zu tun gehabt hatten, als den Frauen nachzuschauen. Und die Spaziergänger, die auf der Uferpromenade frische Luft schöpften, ganz in schneeiges Weiß gekleidet.

Verschwunden waren die Schiffsladungen von Touristen, die die Sünde suchten und zu Sloppy Joe strömten, wo ein Dutzend Barmixer großartige Vorstellungen in der Kunst des Getränkemixens gaben.

Und El Florida, wo die Eingeweihten warteten, um den bärtigen Bandit der amerikanischen Literatur anstaunen zu können. El Florida, das in edler Weise seine heilige Mission erfüllt hatte, das Daiquiri-Rezept über die amerikanische Prohibition hinwegzuretten. Und während der Prohibition kamen die Luxusjachten, um die Freuden zu genießen, die das Sodom der westlichen Hemisphäre zu bieten hatte.

Verschwunden waren die Vergnügungen der Touristinnen in der Stadt, in der sie unanständig sein durften. Die pornographischen Kinos und die menschlichen Hengstschauen.

Bedeutungslos geworden waren der größte Nachtklub der Welt, das Tropicana, und die vornehmen Restaurants, Monseignetir, Crystal Palace und all die anderen, wo die delikaten Morro-Krabben mit Mayonnaise vor den Augen der Gäste am Tisch zubereitet wurden.

All diese Dinge, die Havanna zu einem Sündenbabel gemacht und ihm Leben eingehaucht hatten, waren vergangen.

Statt dessen patrouillierten finstere bärtige Revolutionäre in den Straßen und unter den Arkaden.

Die Prostituierten waren alle in dem einstmals eleganten Hotel Nacional interniert worden, wo sie zu nützlichen Bürgerinnen und Mitgliedern der neuen Gesellschaft umerzogen werden sollten. Sie wurden als Kraftfahrerinnen losgelassen, und bald waren die Landstraßen mit zertrümmerten Lastwagen besät.

Die feinen Läden entlang dem Pasco de Marti am Prado Boulevard, die einst Krokodilleder, Tabak, Alkoholika und andere einheimische Erzeugnisse in Hülle und Fülle angeboten hatten, waren entweder verkommen oder leer, oder die Rollos waren herabgelassen.

Das Kapitol, ein Gebäude aus Marmor, kostbaren Hölzern und vergoldeter Bronze, dem Kapitol in Washington nachgebildet, war zu einer grotesken Tauschzentrale degradiert worden.

Abreisende Flüchtlinge wurden gezwungen, fast ihre ganze persönliche Habe abzuliefern. Die Sachen wurden in den Hallen, Fluren und Galerien des Kapitols gelagert, sortiert und verkauft. Babyschuhe, Augengläser, Hosen, Büstenhalter, Sandalen, Panamahüte, Schmucksachen, alles in Marmorgängen gestapelt - wie in den Lagerschuppen von Auschwitz.

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Andre fuhr durch den Tunnel zum Castillo del Morro und zum Castillo de la Cabana, den beiden Festungen an der Hafeneinfahrt. Dort standen Tausende Kubaner in düsterem Schweigen und warteten darauf, einen Blick auf einen Verwandten werfen zu können, der in den früheren Nationalheiligtümern eingesperrt war. Die Kerker des Castillos del Morro waren wieder einmal überfüllt. Und Tausende wurden in die trockenen Gräben der Cabana geworfen, in das »schwarze Loch unter freiem Himmel«. Man ließ sie dort in der sengenden Sonne sterben, fast ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen, und sie kämpften wie die Ratten um die Abfälle, die von den Milizsoldaten zu ihnen hinuntergeworfen wurden.           

Alte Leute waren in diesen Gräben. Alte Leute, die nach Kuba gekommen waren, um ihren Lebensabend in diesem Sonnenland zu verbringen. Jetzt waren sie Gegner der Revolution. Viele Amerikaner waren darunter.

Castro machte keinen Versuch, Häftlinge zu verbergen. Sie wurden überallhin gesteckt. Tausende … Zehntausende … Die ehemaligen Luxushotels waren mit Stacheldraht eingezäunt und zu verlausten Herbergen herabgesunken. Ein besonderer Ausdruck des Hasses war die Beseitigung des Denkmals für das Schlachtschiff Maine, ein Zeugnis für amerikanische Hilfe bei der Befreiung von spanischer Herrschaft.

Und all das ließ den brutalen Diktator Batista neben Fidel Castro noch als einen gütigen Herrscher erscheinen.

*

Andre Devereaux kehrte in sein Zimmer in der Botschaft zurück, um auszupacken. Alain Adam kam mit einer Nachricht. Andre lächelte, als er sie las. Sie war von Juanita de Cordoba. Sie erwartete ihn.