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Die Schwester rollte Boris Kuznetow in ein großes Zimmer, das für Konferenzen hergerichtet worden war. Sie schob seinen Stuhl an das Kopfende des Tisches. Die Schwester sprach russisch und gehörte dem ININ an. Sie blieb in der Nähe, für den Fall, daß Kuznetow sie brauchte. Boris sah über den Tisch und musterte seine Gegenspieler.

Michael Nordstrom, den er für rücksichtsvoll hielt, saß ihm gegenüber. Sicher konnte Nordstrom bei den meisten Konferenzen nicht zugegen sein. Er würde ihn vermissen.

Zwischen Nordstrom und Kuznetow saßen vier Männer, zwei auf jeder Seite des Tisches, wohlversorgt mit Schreibblocks, Federhaltern, Aschenbechern, Wasserkaraffen, Nachschlagewerken und Landkarten.

Nordstrom und sein Team waren vom Arzt eindringlich ermahnt worden, Kuznetow nicht zu sehr in die Zange zu nehmen oder ihn aufzuregen Das Verhör würde also viel milder als normalerweise geführt werden müssen.

»Mr. Jaffe, Frankreichabteilung beim ININ«, stellte Nordstrom vor. Er wird nichts gegen Jaffe haben, dachte Nordstrom.

»Mr. W. Smith, Rußlandabteilung beim ININ.« Von W. Smith hatte Kuznetow schon gehört, und er sollte noch viel mehr von ihm hören.

»Dr. Billings, unser Experte für sowjetische Wirtschafts- und Militärangelegenheiten.« Billings machte einen milden Eindruck, aber die Fragen, die er stellte, waren scharfsinnig und treffend.

Der letzte wurde vorgestellt. »Mr. Kramer, Spionageabwehr.« Immer der Feind.

Dr. Billings sprach zuerst. Seine Art war wirklich milde. »Meine Kollegen und ich sprechen fließend russisch. Mr. Nordstrom beherrscht die Sprache nur mittelmäßig, aber er wird nicht oft hier sein. Die Unterredung wird in Ihrer Sprache geführt.« Kuznetow nickte.

»Wir alle kennen Ihre Lage«, sagte Nordstrom. »Wir haben es nicht eilig, wenn Sie müde werden, sagen Sie uns Bescheid.«

»Sie haben doch diesen Herren mitgeteilt, daß ich über vieles nicht sprechen werde, solange Devereaux nicht zugegen ist?« fragte Boris.

»Wir sind alle darüber informiert«, sagte W. Smith und stützte sich dabei auf die Ellbogen, als wollte er Kuznetow besser in die Augen sehen können. »Stört Sie Zigarettenrauch?«

»An Tabak ist mir nur erlaubt, was andere Leute in meiner Gegenwart rauchen. Blasen Sie also bitte den Rauch in meine Richtung!«

»Sie haben sicher das Tonbandgerät hier gesehen«, sagte Nordstrom. »Alle Bänder werden abgeschrieben und dann ins Englische übersetzt. Sie können Berichtigungen vornehmen, nachdem Sie das Transkript gelesen haben. Sind Sie damit einverstanden?«

Boris stimmte schnell zu, dankbar, daß die ganze Geschichte ohne Polizeistaatmethoden oder Drohungen durchgeführt werden sollte.

»Bitte schießen Sie los, meine Herren!« sagte Nordstrom.

»Ich werde anfangen«, sagte Kramer von der Abwehr, während er seine Notizen überflog.

»Name?«

»Boris Alexandrowitsch Kuznetow.

»Decknamen?«

»Ich habe viele, aber das kommt später.«

»Geburtsort?«

»Smolensk.«

»Geburtsjahr?«

»Neunzehnhundertsechzehn. Ein Revolutionskind.«

»Familie?«

»Meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war. Da hatte ich noch meinen Vater, eine Schwester und einen älteren Bruder.«

»Hat Ihr Vater an der Revolution teilgenommen?«

»Nein, er hatte kein Interesse daran. Er war Zimmermann, wie der Vater von Jesus.«

Als Kramer sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte, übernahm Dr. Billings das Verhör, langsamer und leiser.

»Ihre Schulbildung. Wo haben Sie die Volksschule besucht?«

»In Smolensk.«

»Welche Nummer hatte Ihre Schule?« - eine Zwischenfrage von W. Smith, der am unteren Ende des Tisches saß.

»Zweiundsechzig.«

»Wo stand sie?« fragte W. Smith.

»Puschkin-Allee, in der Nähe der Brofka-Straße.«

»Da war eine Tabakfabrik etwa einen Häuserblock entfernt, nicht wahr?«

»Nein. Keine Tabakfabrik.«

»Meine Unterlagen zeigen eine Tabakfabrik.«

»Dann stimmen Ihre Unterlagen nicht.«

»Ihre Schule war ein vierstöckiges Gebäude«, sagte Kramer.

»Nein, zweistöckig. Sie hätte dringend einen neuen Anstrich gebraucht.«

»Würden Sie uns die Restaurants in Ihrer Gegend nennen?«

Er gab sie an. Smolensk wurde gründlich unter die Lupe genommen, Straße für Straße.

Sie stellten ihm eine Reihe von Fragen, die schließlich das Bild einer normalen, armen, arbeitsamen Familie, ohne tiefere Beziehung zur sowjetischen Politik, ergaben.

»Wann begannen Sie sich für den Kommunismus zu interessieren?« fragte Dr. Billings.

»Nun, in dieser Zeit mußte man sich für etwas entscheiden. Während der Konterrevolution sympathisierten wir mit den Roten, gegen die Weißen. Wir wurden Mitglieder der Pioniere, zuerst mein Bruder, dann ich, als die Roten die Macht übernommen hatten. Allerdings waren die Pioniere oder die Jugendbewegungen zuerst nicht gut organisiert. Mein wirkliches Interesse begann, als ich 1931 ins Gymnasium eintrat. Ich trat dem Komsomol bei und war in unserer Einheit recht aktiv.«

,.Sie gingen in Smolensk ins Gymnasium?«

,Ja«

W. Smith, der Rußlandexperte, leitete das Verhör zum großen Teil und stellte eine Menge Fangfragen. Boris ließ sich nicht aufs Glatteis führen. Gelegentlich zeigte er galligen Humor und gab ihnen eins drauf.

»Nun, welche Stellung hatten Sie vor Ihrem Übertritt?« fragte Kramer plötzlich, weit vorgreifend.

»Erstens, Mr. Kramer, bin ich nicht übergetreten. Man tritt aus freien Stücken über. Ich floh, um mein Leben zu retten, ich hatte keine Wahl. Zweitens werde ich diese Frage nicht beantworten, bevor Mr. Devereaux hier ist.«

Sowohl W. Smith als auch Kramer bewiesen gründliche Rußlandkenntnisse, während sie seine höhere Schulbildung mit ihm durchgingen. Am Ende der vierten Stunde sah er Michael Nordstrom erwartungsvoll an. Seine Krankenschwester nahm das Signal sofort wahr und erklärte, daß es für diesmal genug sei.