Neue Zürcher Zeitung
Voller Kühlschrank, leeres Herz
Sibylle Bergs Episodenroman aus einer frostigen Zeit
Sie leben im Herzen der Finsternis, im Siechenhaus der westlichen Hemisphäre: die deutschen Schriftsteller Jahrgang 60. Leer ist ihr Herz und überfüttert ihr Hirn; in Kiton-Jacketts und Papas Mercedes jagen sie, wie Christian Kracht (1966 geboren) in seinem deutschen Roadmovie durch das öde «Faserland» – von Hamburg bis Zürich eine Konsum- und Party-Meile. Auch in Venedig, Marokko und Hongkong «ist es nie besser, nur eben anders». Sie sind die «beschissene Generation», unsere sorg- und illusionslose Jugend am Ende dieses Millenniums. Das wäre ein guter Grund, traurig zu sein – für sie ist es Anlass, sich kaputt zu lachen.
«Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot » heisst der erste Roman der 1962 geborenen Sibylle Berg, die sich laut Klappentext auch als «Lastwagenfahrerin, «Zeit»-Kolumnistin und Tierpräparatorin» hervorgetan hat; letzteres mag ihrem Hang zum Makabren Nahrung geliefert haben. – Ein paar Leute suchen das Glück und hängen rum; und rumhängen tun sie im Taunus ebenso wie in Venedig und in Berlin. Sie kennen keinen Hunger, sie sind magersüchtig, sie haben eine Fussbodenheizung und ein bibberndes Herz. Mit «Warhol und mit Mapplethorpe gross geworden», aufgewachsen ohne Geldsorgen, Religion oder Ideologien, bleibt ihnen nicht einmal mehr der Kampf gegen etwas; statt dessen gehen sie «Junkies angucken» (Kracht) oder stopfen die Hotel-Minibar mit Kopfkissen voll und den Einkaufskorb mit Gebissreinigern. «Sie haben uns alle Sorgen genommen, bis nur noch wir übriggeblieben sind», klagen diese Eingeborenen der Einkaufspassagen. «Es müsste etwas geben. Irgendwas, das uns von uns ablenkt.» Was sollte das sein? Etwa das Glück?
Und wie müsste es aussehen, das Glück in den späten neunziger Jahren? Etwa so? «Meine Wohnung ist teuer. Sie hat viele Zimmer, in denen nichts steht. Ich liege immer nur in einem kleinen Raum auf einer Matratze. Wenn mein Kühlschrank voll ist mit Essenssachen, sehe ich mir das immer wieder an. Manchmal mache ich auch ein Polaroid von dem vollen Kühlschrank. Gerne sehe ich fern und esse dabei Kartoffelbrei.» Oder so? «Vera hat auf einmal keinen Job mehr und keine Familie, und eigentlich sind das gute Bedingungen, um alles anders zu machen. Sie geht ins Bad. Da steht eine eine Handwaschlotion. 400mal Händewaschen steht auf der Flasche. Vera schafft nur 345mal. Scheiss-Befehle denkt sie. Morgen wird sie sich einen neuen Job suchen. Und einfach dableiben.»
Sibylle Berg hat «ein paar Leuten» auf der Jagd nach dem Glück das Wort erteilt, Männern und Frauen, ziemlich durchgedreht und «beschissen jung», die sich vom Leben noch immer zuviel versprechen. Das wird ihnen gründlich ausgetrieben.
Dumm ist das Herz und unbelehrbar die Sehnsucht nach einem «eigenen Menschen» – lieber Gott, betet Bettina, schenk mir einen eigenen Menschen. Aber Gott ist gemein und setzt einen sabbernden Tattergreis vor sie hin, der «hat definitiv einen Dachschaden» und gehört jetzt ihr. Oh sorry, sagt sie, nimm den weg. Und der liebe Gott nimmt ihn weg und sagt: «Jetzt kriegst du gar keinen mehr.» So erzählt man heute die Fabel von Adam und Eva.
Stur ist das Herz und trotzig die Sehnsucht, und der eigene Mensch und die blöde Sehnsucht sehen für Männer und Frauen immer ganz anders aus. Da passt nichts zusammen. Ob bei Nora und Tom oder Vera und Pit oder Ruth und Karl, immer liebt das dumme pochende Herz gerade eins, das es nicht zurückliebt. Und während sie sich verlieben, Nora oder Bettina, denken sie schon, «eigentlich habe ich da gar keine Lust drauf».
Nein, Glückspilze sind sie nicht, diese spätgeborenen Idioten der Therapiegesellschaft, da hilft kein Guru und keine «Uterusatmung». Vor allem die Frauen. Die Frauen wollen immer reden und so, und dann auch noch über Gefühle. Wo es doch gar nichts zu sagen gibt in einem hässlichen kleinen Leben voller Muss-man- und Kann-man-nicht-Sätze. Tarantino muss man gesehen haben, Grass kann man nicht lesen und dazwischen Wörter wie tschüssikowsky und geilomat oder nullproblemo. Oder man sitzt in der Sitzung, die jetzt meeting heisst, und quatscht protziges Zweireiherdeutsch, irgend etwas von wordings, locations und motivationaler Schubkraft. Wie soll nicht die Sprache verhunzt sein, wenn die Welt nur aus Markenartikeln besteht und das Leben aus Surrogaten: im Schlafzimmer hängt die Phototapete mit einer «Bergsituation», und in Venedig fahren aufgemotzte Gondeln durch die Kulisse.
Der grossmäulige Ton, mit dem Sibylle Berg ihre Helden ausstattet, wird souffliert von einem Lebensgefühl, das sich von aussen fürchterlich cool und von innen furchtbar frostig anfühlt. Schliesslich kann man nicht gar nichts sagen, obwohl diese Leute, deren Kopfgequassel die Autorin hier zu Papier bringt, vor allem eines zu suchen scheinen – das Glück der wortlosen Zweisamkeit. Sie suchen es immer da, wo es nicht ist – in der Wüste, in fremden Betten oder bei einem pulverschwenkenden Wahrsager. Und – Macht der Gewohnheit, Fluch der Biologie? – manchmal passiert es dann doch, dass man sich verliebt, obschon man gar keine Lust da drauf hat. Und manchmal, ganz selten, kommt es auch vor, dass sich beide verlieben. Dann «sind beide ein bisschen froh. Und traurig, weil Liebe oder die Sache hinter dem blöden Wort so schwer ist.»
Ja, schwer ist das Glück in sorglosen Zeiten, aber schwer ist es auch, ein leichtes trauriges Buch zu einem glücklichen Ende zu bringen. Sibylle Berg hat es sich damit zu einfach gemacht; sie bringt ihre Unglücksraben am Schluss kurzerhand um. Diesen Turbo-Aktionismus in Comicmanier haben sie nicht verdient, und das Buch hat es auch nicht. Mag der kaltschnäuzige Ton zuweilen auch reichlich forciert sein – es ist der trostlos-trotzige Sound der neunziger Jahre. Man nimmt ihn ernst, weil das Buch so unbeugsam, mehr noch: dickköpfig, mit dem Gewicht einer Welt spielt, die glückloser wird mit jedem Tag.
Andrea Köhler -- Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.
Pressestimmen
"Sibylle Berg schildert die neunziger Jahre als die Stunde der schwachen Empfindungen und dürren Worte. Liebe und Leidenschaft, Verzweiflung und Unglück haben nur noch als klägliches Echo früherer Zeiten überdauert. Waren die achtziger Jahre das Jahrzehnt der Gier, das Emotionen als begehrtes, aber knappes Handelsgut entdeckte, so erscheinen die neunziger Jahre als Ära der Gleichgültigkeit, in der alle Ideale zerstört, alle Illusionen geplatzt sind. Und auch von der Sprache ist nicht mehr viel übrig." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung "Ein paar Leute ... is a novel which sees tragedy as well as beauty in the banalities of everyday life. True feeling is never very far from tackiness, prompting a German reviewer to bill Berg´s writing as 'German Trash'. This it is not, though, for" -- Ein paar Leute is carried by the author´s sympathy for her characters and their predicament. Not, though, by her sentimentality: of her ten protagonists, Berg dispatches all but one, with no shortage of gruesome detail, the description of which she seems positively to enjoy." -- Times Literary Supplement, 25.5.1998