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An Bord des Öltankers Hammond-1, mit Kurs auf Adranos Island

Veronica eilte hinaus in den Sturm, hielt ihr wasserdichtes Satellitentelefon hoch und hoffte auf das Beste, obwohl sie wusste, dass es hier draußen bei solchem Wetter nicht möglich war, überhaupt ein Signal zu empfangen. Sie würde die Brücke aufsuchen, den Captain einspannen und sich bemühen müssen, jemanden per Bordfunk zu erreichen, doch bevor sie noch einen einzigen weiteren Schritt machen konnte, sah sie, was gerade vor dem Laderaum geschah.

»Alex?«

Apropos Captain: Der war hier, sprang gerade von unten aus dem Treppenschacht und bewegte sich … verblüffend schnell für jemanden mit solch einer Körpermasse. Er ging auf Alex los, der so wie es aussah, mit gefesselten Händen dastand.

Was zur Hölle …

Veronica lief los, rief ihn und sprang schließlich über ein Geländer auf das untere Deck. Sie sah, wie Alex das Gesicht des Captains mit zwei Fäusten bearbeitete – was offensichtlich keine Wirkung zeigte –, sich dann duckte und wegrollte, um einem Schlag mit dem Handrücken zu entgehen, der nun nicht ihn, sondern die metallenen Rohrleitungen des Schiffs traf. Es blieb eine tiefe Delle darin zurück. Der Captain fuhr mit seinem Kopf herum, schaute erst auf Alex, dann auf Veronica und blähte seine Nasenlöcher, als wenn er eine Fährte aufnehmen wollte. Sie erschrak, denn ein weiterer Blitz, der über den Himmel zuckte, zeigte ihr sein Gesicht, das in keiner Weise so aussah, wie sie es erwartet hätte: Dicke, abstoßende Schuppen bedeckten seine Haut, er hatte stechend gelbe Augen und einen Mund voller Hauer, von denen es dunkelrot tropfte.

Veronica spürte, wie ihr eine Urangst die Kehle zuschnürte, sodass sie sich nicht mehr vom Fleck bewegen konnte. Sie besaß keine Waffe, nichts außer einer Spritze und ein paar Verbänden. Sie war tot, das wusste sie. Ihre einzige Option belief sich nur noch auf Flucht, aber …

»Hey«, rief Alex lauter als der Donner. Er war umgekehrt und stand nun mit einem herausgebrochenen Rohrstück aus Metall in beiden Händen mitten auf der Treppe und klopfte damit auf den Boden, um den Captain abzulenken.

Es funktionierte und rettete Veronica, doch in Sekundenbruchteilen hatte der Captain die Entfernung zu Alex zurückgelegt und langte nun nach ihm. Dieser ließ sich noch gerade rechtzeitig hinunterfallen, woraufhin der Captain – oder was auch immer er jetzt war – hinter ihm hersprang.

Es dauerte keine Sekunde, bis sich Veronica auf ihre Ausbildung besann: Abwägen, anpassen, improvisieren …

Sie hatte Alex’ Vater versprochen, auf ihn achtzugeben – und außerdem war ihr der Kerl durchaus sympathisch.

***

Alex schlug hart auf dem Boden auf, nicht weit entfernt vom geplatzten Schädel des ersten Arbeiters, dann rollte in den Schatten und gleich wieder hinaus auf das Licht zu. Dort lag eine Taschenlampe, und in deren Kegel sah er die Handwaffe des Captains, eine dicke, schwere 45er.

Alex stürzte sich darauf, als er hörte, wie der Mann hinter ihm landete; seine Füße trafen mit einem Übelkeit erregenden Knirschen auf den Leichnam.

Jetzt schnell …

Alex schnappte sich die Pistole, doch sie drohte, aus seinen gefesselten Händen zu rutschen, und hinter ihm nahten bereits schwerfällige Schritte. Ich schaff’s nicht, ich schaff’s nicht …

Er wälzte sich wieder und wieder herum, stand schließlich erneut auf und packte die Waffe fest, um auf den verschwommenen und fauchenden Schatten feuern zu können. Es knallte zwei Mal ohrenbetäubend laut, begleitet von einem kräftigen Rückstoß.

Der Captain – einen Fuß weiter, und er hätte ihn erreicht – war mit jedem Treffer heftiger ins Wanken geraten. Er fasste sich aber wieder und trat nun einen Schritt zurück. Im schwachen Laternenlicht sah Alex, dass beide Kugeln eingeschlagen waren, aber nicht an den richtigen Stellen. In einer Schulter und am Brustbein klafften große, blutende Löcher, und vielleicht einen Moment lang erinnerte sich der Captain daran – genauer gesagt: der Rest seines Verstandes tat es –, dass es eigentlich wehtun sollte, doch dem war nicht so, weshalb er, als er dies bemerkte, knurrte, sich verkrampfte und …

Alex sah eine flüchtige Bewegung hinter ihm, kurz aufleuchtendes blondes Haar, und hörte dann einen Pfeifton, als Veronica weit ausholte und mit dem Metallrohr zuschlug, das er losgelassen hatte. Es traf den Captain mit voller Wucht an der Schädelseite, sodass er mit dem Gesicht herumfuhr.

Aufhalten ließ er sich davon allerdings nicht. Veronica wich zurück und hob das Rohr erneut an, beidhändig wie ein Schwert. Der Captain schüttelte den Kopf, wobei noch ein Faden zähes Blut aus seinem Mund quoll, und näherte sich ihr dann. Veronica schlug zu, traf erneut und wich zur Seite, als sein Nasenbein brach. Er drehte sich um, grollte nur und schüttelte abermals den Kopf. Dann sperrte er den Mund weiter auf und zeigte dabei noch mehr spitze Reißzähne.

»Was zum Teufel bist du nur?«, mehr konnte Veronica nicht mehr entgegensetzen. Da sie vor Angst und Fassungslosigkeit unvorsichtig geworden war, erkannte der Captain sofort eine Gelegenheit und stürzte sich auf sie.

Er erreichte sie aber nicht, denn ein Schuss hielt ihn zurück. Alex hatte den Moment genau abgepasst und verfehlte dieses Mal nicht, sondern traf genau die rechte Schläfe des Captains. Die Kugel ging glatt durch, der imposante Mann brach zusammen, als wenn er abgeschaltet worden wäre, wie ein Roboter, und jemand hätte einfach seine Stromversorgung gekappt.

Der Körper zuckte einmal, als er mit dem Gesicht nach unten am Boden vor Veronica lag, und regte sich dann nicht mehr. Sie brauchte einen Moment, um wieder zur Besinnung zu kommen, stand dann aber auf und schaute sich nervös um. »Sind da noch mehr von diesen Irren?«

Alex schwenkte seine Waffe umher und schaute auf die drei anderen Leichen, die eine mit dem explodierten Schädel, zwei weitere mit so vielen Bisswunden und Löchern im Leib, dass man dachte, der erste Zombie habe beinahe das ganze zugängliche Fleisch gefressen und auch die Schädel aufgebrochen, um sich an deren schmackhaftem Inhalt gütlich zu tun.

»Ich schätze, wir sind aus dem Schneider«, antwortete Alex. »Fürs Erste zumindest.«

Sie starrte ihn an, während sie ihre Metallwaffe herunternahm. »Zombies?«

Alex nickte. »Gottverdammte prähistorische Zombies.«

»Wie kann das sein?«

Dann hielten beide inne, drehten sich um und schauten hinüber auf den schlummernden T-Rex. Alex spielte mit dem Gedanken, ihr von dem See zu erzählen – den Mikroben und dem versunkenen Dinosaurier, Jahrmillionen lang untergetaucht mit all jenen primitiven Mikroorganismen –, beschloss dann aber, lieber hellere Geister wie seinen Dad Mutmaßungen darüber anstellen zu lassen.

»Ich glaube«, sprach Veronica, indem sie auf die Pistole zeigte, »Sie schießen dem Ding besser in den Kopf, nur zur Sicherheit. Denn ich habe keine Ahnung, wie lange diese Betäubungsmittel wirken, und ich weiß nicht, wie Sie es damit halten, aber mir ist einfach nicht danach, mich gegen ein untotes Exemplar davon zu wehren … was auch immer es ist.«

Alex nickte und trat näher, während er auf den Schädel des Sauriers zielte. Dann blieb er stehen und erwog kurz, ihr zu sagen, dass man noch zwei Riesenechsen geborgen hatte – die Cryolophosaurier, die hier irgendwo in einem Schiffscontainer steckten, wahrscheinlich im Lagerraum nebenan.

»Ich wünschte, mein Vater wäre jetzt hier. Wo genau ist denn das Hirn im Kopf dieser Tiere?«

»Ich habe gelesen, es sei nur sehr klein, etwa so groß wie eine Walnuss«, beschrieb Veronica. »Jedenfalls soweit ich mich erinnerte, das war schließlich auf der Highschool.«

»Na toll.« Alex zog seine Schultern hoch und betrachtete den Kopf, der vom Umfang her einem Kleinwagen entsprach.

»Was ist, wenn ich verfehle, und er wacht stattdessen wütend auf?«

Veronica ging ein paar Schritte zurück auf die Treppe zu, gerade als eine Welle gegen den Tanker schlug. Die Verbindungsstücke am Metall ächzten laut, dann rutschte der T-Rex infolge eines kräftigen Rucks mitsamt der Plattform und allem, was dazugehörte, gegen eine Bordwand.

»Los«, drängte ihn Veronica. »Tun Sie es jetzt …«

Alex fand sein Gleichgewicht wieder, als ein Schwall Flutwasser über seine Füße schwappte, das durch den Treppenschacht und die reißenden Verbundstellen eindrang. Plötzlich spritzte es auch aus einer Schweißnaht hinter der Kreatur, und eine Fontäne von links blendete ihn kurzzeitig.

»Schießen Sie!«

Er drückte ab, woraufhin ein Teil der Schnauze der Echse abplatzte. »Mist.« Er zielte wieder, dieses Mal ein wenig höher. »Wissen Sie, mir wäre schon damit geholfen, wenn Sie meine Fessel durchschneiden würden.« Er atmete einmal tief durch und versuchte dann, seine Hände ruhig zu halten. »Außerdem ist mir gerade noch etwas Beunruhigendes eingefallen: Nun da der Captain tot ist, wer steuert denn eigentlich jetzt diesen verdammten Tanker?«

Als er sich wegen der anhaltenden Stille umdrehte, erkannte er plötzlich, warum Veronica nicht antwortete.

Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und die Hände hochgehoben. »Äh, Alex …«

Xander stand auf der Treppe und richtete eine M5-Maschinenpistole auf die beiden. »Lassen Sie die Waffe fallen, Sportsfreund. Wenn Sie noch einmal auf meine Ware schießen, werden Sie beide Fischfutter.«

Alex fluchte und wollte der Aufforderung gerade nachkommen, als das Boot noch einmal heftig schwankte. Er sah Veronica rückwärts taumeln, während sich Xander erbittert ans Geländer klammerte. Plötzlich brummte der T-Rex, und Alex hörte etwas, das wie gesprengte Ketten klang, prompt gefolgt von einem gequälten und lauten Knarren, als der Rumpf des Schiffs endgültig barst. Er wurde durch den Raum gegen eine Wand geschleudert, die plötzlich aufbrach, als er sie traf – und Tausende Gallonen Wasser strömten nun herein; ein strudelnder Sog, der ihn in die Tiefe hinunterzog und ins Meer spülte.

In dem schwarzen Wirbel drehte sich alles, und seine Gedanken gingen mit seinen Schreien unter.