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Alex wurde wach, als eine Welle am Strand niederging und ihm schwarzer Sand, der mit harten Muscheln gespickt war, ins Gesicht spritzte. Er versuchte, sich aufzuraffen. Trotz seiner gefesselten Handgelenke schaffte er es und stand auf, dann schaute an sich hinab: Zerfetzte Kleidung, abgeschürfte Haut und Prellungen, doch alles in allem keine tiefen Schnitte oder – Gott behüte – Bisse. Er sah sich an dem zugigen Ufer aus vulkanischen Ablagerungen um. Weitab zu seiner Linken konnte er noch gerade so den Tanker erkennen, der am Strand auf Grund gelaufen war. Von seiner Warte aus machte er keinen allzu stark beschädigten Eindruck, aber von einer sanften Landung konnte zweifelsfrei auch keine Rede sein.
Er machte sich Gedanken über den Laderaum; über das Schicksal seines Vaters; über Veronica und … in genau diesem Moment erschienen hinter dem Bug des Schiffs drei brummende Jeeps, hoben kurzeitig vom Boden ab und kamen dann wieder krachend auf. Sie näherten sich Alex, vier Mann pro Fahrzeug, alle in Tarnuniformen und mit Maschinengewehren bewaffnet.
Scheiße. Alex ärgerte sich, während er aufmerksam hinschauend stehenblieb. Vom Regen in die …
Er versuchte, die Hände zu heben, aber sie stecken immer noch in dem verfluchten Kabelbinder. Er zuckte vor der Sonne und einer weiteren Welle zusammen, die am Strand niederging und ihn fast auf den Bauch umgeworfen hätte, doch als die Jeeps mit brausenden Motoren ankamen und im Halbkreis vor ihm stehenblieben, bemerkte er etwas Ungewöhnliches: Die Männer bedrohten ihn nicht mit ihren Waffen, sondern zielten über ihn hinweg auf etwas anderes – etwas Großes; etwas, das gerade aufstand und tropfte.
Etwas, das brüllte und ekelhaft stinkenden Atem ausstieß, wie eine um Millionen von Jahren verzögerte Fäulnis.
Im gleichen Augenblick, als sie das Feuer eröffneten, fiel ein Schatten auf Alex.
Er brauchte gar nicht nach oben oder hinter sich zu schauen, denn alleine anhand der Schreie der Männer und der die Erde erschütternden Schritte hinter ihm, wusste er, dass er jetzt einfach nur rennen sollte.
***
Vorwärts, dann einmal nach links duckend und einen Haken nach rechts schlagend – so ließ Alex den Ozean hinter sich, stolperte an den Strand und rannte schließlich um sein Leben, fort von den Soldaten und …
Als er einen Blick zurück riskierte, blieb er schlagartig stehen. Ein unwirklicheres Bild, das mit absolut nichts zu vereinbaren war, hätte es nicht geben können: ein gestrandeter Frachttanker als Hintergrundkulisse für einen Kampf zwischen bewaffneten Söldnern und einem prähistorischen Zombie-Tyrannosaurus auf der Jagd.
Die Männer waren aus ihren Jeeps gestiegen und feuerten, teilweise noch im Laufen, dabei schrien sie sich gegenseitig und auch das Tier an, während es sich unfassbar schnell bewegte. Alex fragte sich, ob ein T-Rex wirklich schnell sein konnte, oder nur ein schwerfälliger Riese war, den man auf alle Fälle meiden wollte. Er wünschte sich, seinen Dad fragen zu können.
Stattdessen verharrte er am Ufer und schaute dabei zu, wie der Dinosaurier die erste Angriffswelle der Soldaten zunichtemachte. Er warf seinen gewaltigen Kopf hin und her und biss einen Mann glatt entzwei, während er ihn durchschüttelte. Dann schleuderte er den Unterleib ins Meer, bevor er einen Satz machte und ein zweites Opfer unter seinem breiten Fuß zerquetschte. Kugeln schlugen in seinen Hals, den Kiefer und die offene Brust ein, doch er brüllte nur weiter, stürzte vorwärts und fuhr mit dem Maul herum. Jetzt da er den Strand betreten hatte, biss er in einen Jeep, dessen Fahrer noch hinter dem Steuer saß, hob ihn hoch und zerdrückte ihn wie ein Blechspielzeug gemeinsam mit dem Mann darin. Erneut schüttelte er den Kopf, wobei das Fahrzeug herunterfiel und nur noch die Beine des Soldaten aus dem Maul herausbaumelten. Dieser trat noch wild um sich, ehe die Echse abermals zubiss, Knochen zermahlte und den Körper komplett hinunterschluckte.
Die Soldaten feuerten weiter, durchsiebten den Rücken des Monsters förmlich und streuten ihre Schüsse auch am Kopf nach oben, wobei Alex einen Augenblick lang Hoffnung schöpfte – doch anscheinend, war der Schädel noch dicker oder die Beschaffenheit der Schuppen ringsum noch härter, weshalb es keine Kugel vermochte, in die Hirnschale einzudringen.
Dann heulte der Saurier plötzlich auf, reckte seine blutige Schnauze gen Himmel und trieb seine Krallen in einen Mann, der durch den Sand kroch und eine dunkelrote Spur hinter sich herzog. Nachdem er ihm den Rücken durchbohrt hatte, zog er die Pranke zurück und warf sich auf die Seite, um zwei Soldaten anzugreifen, die aus ihrer Deckung hinter einem anderen Jeep heraus feuerten. Mit seiner Schnauze hob es das kleine Lastfahrzeug in die Höhe, sodass es über die Köpfe der Männer hinwegtrudelte, und schnappte dann zu, wobei es einen der beiden ganz verschlang, dem anderen die Zähne genau durch die Brust trieb und dabei fast auch ein Bein abbiss.
Alex ging nun rückwärts und stieg so einen Hang hinauf, ohne die Augen von dem Gemetzel abzuwenden. Nur noch zwei Soldaten lebten und schossen weiter auf den Saurier, sie leerten Magazin um Magazin in die Haut des Tiers, bis ihnen schließlich irgendwann die Munition ausging, woraufhin sie einfach nur reglos stehenblieben, um sich, wie es aussah, ihrem schrecklichen Schicksal zu fügen, das ihnen der T-Rex auch prompt erbarmungslos zuteilwerden ließ.
Binnen weniger Momente hatte sich das Ufer in ein blutgetränktes Schlachtfeld voller Eingeweide und roter Erde verwandelt. Der Dinosaurier war anscheinend immer noch nicht satt.
Wenn man fünfundsechzig Millionen Jahre lang fasten muss, bekommt man wohl einen ziemlichen Hunger.
Auf den Felsen oder zerstückelt in der Brandung lagen nun fünf oder sechs Leichen, doch der Dinosaurier beschnupperte sie nur. Dann zog er seinen Kopf ein, grollte und ließ einen sonderbaren Laut folgen. Anschließend schnüffelte er wieder, hob schließlich den Kopf und – er schien gezielt auf Alex zu schauen – brüllte frustriert auf.
Alex erzitterte und war nicht imstande, während dieses die Knochen erweichenden Lärms wegzuschauen. Dass er es nicht tat, half ihm irgendwie, denn sonst hätte er niemals geglaubt, dies geschehe wirklich.
Plötzlich und wie aus einem kurzen Nickerchen erwacht, regten sich die toten Männer.
Sie bewegten sich langsam, hoben zuerst die Köpfe und rafften sich dann ganz hoch. Nachdem sie erst kurz auf wackligen Beinen stehengeblieben waren, näherten sie sich dem T-Rex. Dieser senkte seinen Kopf und gab ein Geräusch von sich, das an ein Schnurren erinnerte.
Die Zombie-Soldaten hielten sich an ihm fest, einer nach dem anderen, und kletterten dann an ihm hoch. Sie stiegen auf seinen Kopf, rutschten am Hals hinunter und blieben an verschiedenen Stellen am Körper hängen, wo sie begannen, sich langsam festzubeißen.
Und zu fressen …
Hungrig wie Welpen an den Zitzen einer Hündin.
Alex hätte sich beinahe übergeben, riss sich aber zusammen, während er weiterging – rückwärts über die Hügelkuppe, wo er sich endlich umdrehte und das Gefälle überblickte, das vor ihm lag. Er sah das Grün eines Dschungels, der nach und nach felsigen Ausläufern wich, flaches Festland und einen langen Weg, der in ein Tal zu Gebäuden führte. Diese waren umgeben von glatten Steilwänden und steigenden Hügeln, die nach mehreren Meilen schließlich zu einem höheren Berg zusammenliefen … einem rauchenden Gipfel!
Es war ein Vulkan, der über einer Art Militärbasis aufragte, und eine einsame Straße wand sich, wie Alex jetzt erkannte, aus dem Waldgebiet hinaus. Zwei Geländewagen rasten weit entfernt auf ihr entlang in Sicherheit.
In einem dieser Wagen sitzt mein Dad, war sich Alex sicher.
Er fasste die Basis ins Auge, wohl wissend, dass er dort hingelangen musste, und zwar schnell, falls er seinen Vater irgendwie retten wollte. Dann schaute er nach links, wo es unheimlich dumpf knallte und die Erde anfing zu beben.
Er war anscheinend nicht der Einzige, dem die Gebäudeanlage aufgefallen war.
Der T-Rex streckte seine Schnauze hoch in die Luft und nahm Witterung auf wie ein Bluthund auf der Fährte entflohener Beute, während er seine sechs Zombie-Reiter wie übereifrige Kinder bei sich trug. Er brüllte und preschte los, um sich in den Dschungel zu stürzen.
Alex machte sich widerwillig auf den Weg hinterher, warf aber noch einen letzten Blick zum Strand.
Dort stand immer noch ein Jeep, der weder zerdrückt noch angefressen war.
Der Motor lief sogar noch.
Lächelnd lief er zurück und stieg ein. Dann kramte er aber zuerst im Handschuhfach herum, bis er fand, was er im Sinn hatte: ein Allzweckmesser.
Nachdem er sich endlich seiner Fesseln entledigt hatte, beugte er die Arme, knackte mit den Fingergelenken und legte dann die Hände ans Lenkrad.
Zeit für eine Monsterjagd, dachte er – und für die Rettung seines Vaters.