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Adranos Island, frühmorgens

Marcus kam an einem mit Felsen gespickten Ufer zu sich, der ihn an seine Flitterwochen auf St. Lucia erinnerte: Ein Strand aus dunklem Sand und ein Himmel voller Gewitterwolken, punktiert mit helleren Flecken, wo sich der Morgen zaghaft mit schwachem Sonnenlicht bemerkbar machte. Er blinzelte und hustete, und glaubte, unzählige Prellungen und Schmerzen zu spüren, aber auch noch etwas anderes – Lebenskraft vielleicht, die mit einem Schub durch seine Adern strömte. Er sollte und konnte sich eigentlich gar nicht so gut fühlen, nicht nach seinem seelischen Schock, einem Schiffbruch und mit all den Medikamenten im Leib, die ihm die falsche Ärztin verabreicht hatte, aber dennoch … mit dem Biss musste auch irgendetwas anderes übertragen worden sein …

Er stöhnte und setzte sich aufrecht hin. Ihm war schwindlig, und sein Kopf durchlitt Höllenqualen. Alles sah schwammig aus, und er hätte frieren sollen, litt jedoch stattdessen unter erdrückendem Fieber – aber dort hadernd mit der steten Brandung stand ebenjene Ärztin … die Hochstaplerin.

Klatschnass und zitternd, aber hübsch, resolut und zornig.

Und sie trug eine Waffe bei sich.

***

Veronica watete zu Marcus hinüber, wurde aber langsamer, als sie näherkam.

»Sie haben es auch«, rief sie über das Rauschen des Meeres hinweg, während die Wolken mit rumpelndem Donner in Richtung Süden vertrieben wurden. Sie legte mit dem M5 auf Marcus’ Kopf an. Obwohl sie nicht sicher wusste, ob es überhaupt noch funktionierte, nachdem es so nass geworden war, aber sie fühlte sich trotzdem besser, wenn sie es hielt.

»Was habe ich?«, fragte er atemlos und heiser.

Sie wandte sich von ihm ab – seiner gelbstichigen Haut, die sich bereits spannte und schuppig wurde, seinem besessenen Blick, den changierenden Augen – und schaute an der Küste entlang in beide Richtungen. Der Tanker Hammond war fünfzig Yards weit entfernt an einem Felshang zerschellt, sein Mittelteil aufgebrochen wie ein Ei, und alles, was sich darin befunden hatte, hinaus ins Meer gestoßen worden. Kisten, andere Behälter und Trümmer lagen nun überall verteilt am Strand.

»Hallo?« Marcus hustete wieder. »Sehen Sie Alex irgendwo?«

»Nein«, antwortete Veronica, während sie sich weiter hin und her drehte, um auf den Ozean zu schauen. »Noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass wir ihn finden werden.«

»Nein, sind Sie nicht.« Abermals hustete Marcus gequält, ehe er sich herumwälzte, und versuchte aufzustehen. »Wie könnten Sie sich da so sicher sein?«

»Sie haben Recht, aber ich werde ihn suchen, das verspreche ich Ihnen.«

»Danke«, erwiderte er. Als er aufstand, verzog er sein Gesicht und fasste sich an den Armstumpf. »Das schaffe ich aber schon selbst.«

»Daran zweifle ich«, sagte Veronica und richtete die Maschinenpistole wieder auf ihn. »Obwohl Sie mir tatsächlich gesünder vorkommen. Kräftiger.« Sie trat einen Schritt zurück.

Er blickte sie misstrauisch an. »Und Sie kommen mir viel zu zurückhaltend vor.« Er verrenkte seinen Hals so sehr, dass es knackte, beugte anschließend die Finger seiner verbliebenen Hand und betrachtete dann verwundert seine Nägel.

»Es gibt etwas, das Sie wissen sollten.«

Marcus öffnete den Mund, um zu antworten, stöhnte dann aber und krümmte sich plötzlich Blut und weiße Zahnsplitter spuckend. »Oh Gott …«

»Genau«, fuhr Veronica fort. »Möglicherweise sind Sie gerade dabei sich zu verwandeln. Wir müssen …«

Auf einmal stob Wasser hoch, eine heranrollende Welle so hoch wie ein Mensch. Und tatsächlich sahen sie nun Arme und Beine und hörten obendrein jemanden husten: Xander wurde an den Strand gespült!

Er japste, schüttelte seinen Kopf und sprang auf, nur um dann direkt in die Mündung des M5 zu schauen, das genau zwischen seine Augen zielte.

»Ich stelle das Schicksal nicht infrage«, sprach Veronica. »Besonders dann nicht, wenn es Sie geradewegs in meine Arme treibt.«

Xander zwinkerte, um das Wasser aus seinen Augen zu bekommen. »Ich wusste, mit Ihnen stimmt etwas nicht. CIA-Schnüfflerin, oder?« Er streckte seine Arme hoch. »Glückwunsch, Sie haben mich … oder eigentlich doch nicht.«

Veronica übte leichten Druck auf den Abzug aus. »Sieht mir aber definitiv so aus.«

»Es gibt keinerlei Beweise für irgendetwas.« Er zeigte mit einem Daumen über seine Schulter auf das Wrack. »Werden Sie mich jetzt einfach abknallen und dann Ihrem Vorgesetzten eine Leiche präsentieren? Ohne zu wissen, was ich genau im Schilde geführt habe, und niemals in der Lage, alle Fäden meines ach so klebrigen Verbrechensnetzes zu entwirren?« Er grinste. »Sie haben ja keine Ahnung.«

»Ich brauche gar keine Details«, entgegnete sie trotzig. »Das ist nicht Teil meines Auftrags. Man hat mich auf den dicken Fisch angesetzt. Sie … Sie sind nur ein willkommener Zufall – eine Chance, auf perfekte Rache.«

Endlich hatte sie ihn! All die Jahre des Kummers waren hierauf hinausgelaufen. Einmal abdrücken konnte ihr ganzes Leid aufheben.

Xander kniff die Augen ein wenig zusammen. »Ohhh, warten Sie, jetzt weiß ich es wieder: Edgars, habe ich Recht? Ihr … Partner vielleicht? Oder hat er Ihnen noch mehr bedeutet?«

Sie wurde blass und verkrampfte sich. Dann zielte sie niedriger. »Sie werden leiden, genauso wie er es musste.«

Daraufhin neigte Xander den Kopf ein wenig zur Seite und lauschte angestrengt. Er lächelte. »Ach, ich glaube, um sich an mir zu rächen, müssen Sie ein bisschen früher aufstehen.«

Er nahm die Arme herunter und bewegte sie dann wie ein Dirigent, der einen Instrumentalisten zu seinem Einsatz im Orchesterspiel aufforderte.

Sieben Jeeps kamen plötzlich über einen Hügel und an den Strand gerast, bemannt von mehreren Dutzend Soldaten in grünen Waldtarnuniformen.

»DeKirks Männer, schätze ich«, bemerkte Xander und trat mit ausgestreckter Hand vor, um die M5 an sich zu nehmen. »Gekommen, um meinen Tag zu retten.«

Veronica hielt die Pistole weiterhin fest, während Xander lächelnd darauf zuging, konnte ihren Blick aber nicht von den Waffen abwenden, die auf sie gerichtet wurden, während die Soldaten absprangen und sie umzingelten.

»Willkommen, Leute«, begrüßte sie Xander freudestrahlend. »Ich bin froh wegen der Verstärkung. Wir werden den Strand absuchen müssen, um unsere geschätzte Fracht zu finden, doch in der Zwischenzeit gilt es, Marcus festzunehmen und zu weiteren Untersuchungen ins Labor zu bringen, wohingegen die hier …«

»Fallenlassen«, befahl ein Soldat, während er näher kam, doch Veronica brauchte gar nicht zu reagieren, denn Xander entwaffnete sie im Handumdrehen und benutzte den Griff der Pistole, um ihn ihr seitlich gegen den Kopf zu schlagen.