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Als Veronica auf dem Rücksitz eines Jeeps wach wurde, waren Waffen auf sie gerichtet. Sie saß gefährlich dicht neben Marcus. Viel zu dicht, fand sie, während sie aufmerksam seine Augen betrachtete, die abwechselnd fokussierten und dann ihren klaren Ausdruck wieder verloren. Er schien den Wald zu bestaunen, die Landschaft, die ausladenden Kliffs und Schneisen, die sich in dem dichten Gehölz auftaten, dann aber wieder lethargisch zu werden, als bewirke die Fahrt das genaue Gegenteil und mache ihn schläfrig. Veronica versuchte, seinem Armstumpf und Speichel fernzubleiben beziehungsweise ihre Angst vor jeglichen ruckartigen Bewegungen zu überwinden.
»Es breitet sich aus«, sagte sie zu Xander, der auf dem Beifahrersitz saß.
Er setzte eine verspiegelte Brille auf, als die Sonne über einem Bergkamm aufstieg. »Deshalb sitzen ja auch Sie hinten bei ihm.«
»Sie wissen, in was er sich verwandelt, nicht wahr?«
Dyson seufzte, während sie tiefer in den Urwald vorstießen und durch einen Abschnitt im Schatten holperten, wo Wurzeln und Vulkansteine aus dem Boden ragten.
»Ich habe den werten Captain, als er oben an Deck war und den Sohn Ihres Freundes hier angegriffen hat, kurz gesehen. Darum kann ich Vermutungen anstellen.«
»Wir müssen etwas unternehmen!« Veronica schaute Marcus erneut an, der erschlafft auf seinem Platz lag und gequält stöhnte. Ein goldgelber Farbstich zog sich über ein Geflecht hervorstehender Adern vom Armstumpf aus hinauf um den Hals, und einige der Stellen pulsierten. »Und zwar schleunigst. Diese Sache hier kann schneller überspringen, als man sich versieht.«
»Ach, und so lautet Ihre fachkundige Einschätzung, Frau Doktor?«
Sie sah ihn böse an. »Na gut, dann setzen Sie sich doch zu ihm.«
»Um Ihnen noch eine Chance zu geben, mir das Leben schwerzumachen? Kommt nicht infrage, Miss … Winters, richtig?«
Sie erschrak, fasste sich aber schnell wieder. »Sie haben Ihre Hausaufgaben anscheinend gemacht.«
Er drehte sich zu ihr um, woraufhin sie sich vorstellen konnte, wie sein Blick hinter den verspiegelten Gläsern über ihren Körper wanderte. »Sie haben also den weiten Weg auf sich genommen, so viel Mühe mit der ganzen Maskerade, und sich Zugang an Bord verschafft, sind so weit gekommen … und dann hat sich doch nichts daraus ergeben. Ganz knapp vertan, die Gelegenheit, sich für Ihren netten Freund Edgards zu rächen, der – wenn ich mich recht entsinne – ziemlich tapfer war, als es mit ihm zu Ende ging.«
Veronica ballte ihre Fäuste. »Ich bin noch nicht am Ende.«
Xander lachte, während sie einen Hügel hinauf und um eine Kurve fuhren, sodass sie erstmals die einsame Anlage auf der Insel erblickten – ein mit Stacheldraht umzäuntes, quadratisches Stück Land, auf dem mehrere miteinander verbundene Gebäude mit weißen Fassaden und ein einzelner Turm standen.
Veronica stellte wütend klar: »Wären Sie von vornherein mein Ziel gewesen, würden wir diese Unterhaltung jetzt nicht mehr führen.«
Das verdarb Xander prompt die Stimmung. Er drehte sich wieder zu ihr um. »DeKirk!«
»Sagen Sie mir«, verlangte sie, indem sie auf den Komplex zeigte, »was wissen Sie von dem, was hier wirklich vor sich geht? Wie viel von alledem …«, sie zeigte auf Marcus, »… gehört zu seinem Plan?«
Dyson überlegte einen kurzen Augenblick. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was er genau geplant hat, also im Gegensatz zu dem, was schlichtweg eine extrem glückliche Fügung war.«
»Was denn, etwa der Dinosaurier, den Sie gerade hinter uns verloren haben?«
»Noch habe ich gar nichts verloren.«
»Wahrscheinlich ist er längst auf den Meeresboden gesunken.«
»DeKirks Männer werden ihn finden. Falls er nicht angeschwemmt wird, liegt er dort unten und wartet nur auf einen Kran, ein U-Boot und etwas Muskelschmalz.« Xander gab sich unbeeindruckt. »Es ist ja nicht so, als ob sich dieses Exemplar nicht im Laufe von fünfundsechzig Millionen Jahren an eine Unterwasserumgebung gewöhnt hätte. Auf ein paar Stunden mehr kommt es da auch nicht mehr an.«
Veronica dachte kurz nach: Ich muss ihn geschwätzig halten und versuchen, einen Weg aus der Patsche zu finden. Sie war sich sicher, eine günstige Gelegenheit abwarten zu können, um aus dem Wagen zu springen und diesen dann im Dschungel und der restlichen Umgebung abzuhängen, doch was dann? Marcus einfach so im Stich lassen? Schlimm genug, dass er seinen Sohn verloren hatte, denn Alex war sehr wahrscheinlich dort draußen ertrunken. Doch jetzt konnte sie den Doktor auch nicht mehr retten. Falls sie floh, schlug sie womöglich ihre einzige Chance aus, DeKirk näherzukommen, seine Vorhaben aufzudecken und zu unterbinden, was sie mittlerweile für die Entwicklung irgendeiner Art biologischer Waffe hielt. Immer noch waren viel zu viele Fragen offen.
Deshalb wagte sie einen heiklen Einstieg. »Es ist ein Virus«, begann sie. »Ein prähistorisches – etwas, wogegen wir uns sehr wahrscheinlich nicht schützen können.«
Als der Soldat am Steuer über die nächste Hügelkuppe fuhr, kamen sie auf ein freies Feld, während die Sonne weiter aufging und die Wolken am Himmel vorüberzogen. Sie näherten sich der Anlage auf einer Straße, und der Jeep beschleunigte, als sie ebener wurde.
Xander wandte sich wieder Veronica zu. »Sie sagen das, als sei es etwas Schlechtes.«
»In DeKirks Händen? Wissen Sie denn nicht, wer zu seiner Kundschaft zählt?«
»Ich kann es mir gut vorstellen, doch.«
»Dann spielen Sie das einmal bis zum Ende durch. Sie sind vielleicht ein kaltblütiger Mörder, aber doch kein Idiot.«
Nun grinste er sie an. »War das etwa eine Anmache?«
»Schweigen Sie, verdammt noch mal, und hören Sie mir zu: Er wird eine Waffe daraus machen und Sie bestimmt mit hineinziehen.« Sie zeigte auf den Gebäudekomplex, der nun rasch größer wurde. »Gut möglich, dass er Ihnen die Welt verspricht, doch wenn Sie Ihren Dienst getan haben, wird er keinerlei Verwendung mehr für Sie haben. Machen Sie sich das bewusst.«
Sein Grinsen ließ ein wenig nach, und statt die Zähne zu zeigen, lächelte er bloß, als er sich zu ihr neigte. »Ich kann auf mich selbst aufpassen und bin niemandes Lakai. Jetzt seien Sie ruhig und genießen Sie die Fahrt. Wir haben eine ganze Menge mit Ihnen und dem anderen Doktor hier vor, sobald wir das Labor beziehen können, das laut DeKirks Versprechen mehr als hinreichend ausgestattet ist, um vorzubereiten, was ich für die nächste Phase brauche.«
»Sie werden also miteinbezogen und wissen, was er vorhat?«
»Was er vorhat und was ich vorhabe, ist Änderungen unterworfen, aber angesichts dieser Wendung … nachdem wir lebendige Testkörper entdeckt haben … tun sich nun neue atemberaubende Möglichkeiten auf. DeKirk mag an leibhaftige Fossilien, Dinosaurier als Attraktionen und Verkäufe an die Führenden der Welt denken, wohingegen ich, meine Teure, vielleicht derjenige bin, der noch weiterdenkt.«
Er fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen, drehte sich um und legte dann die Füße hoch, um selbstzufrieden das letzte Wegstück an sich vorbeiziehen zu lassen.