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Antarktis, amerikanische Bohranlage Montgomery-Alpha
»Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie verblüfft ich war«, sagte Marcus Ramirez, als die Soldaten Alex in sein Büro zwei Meilen über dem Seeareal führten. »Da dachte ich, wir hätten einen russischen Agenten beim Verstoß gegen unsere Explorationsabkommen ertappt, woraufhin ich zahllose internationale Protokolle in die Wege hätte, leiten müssen, und erheblicher Aufruhr um mehrere Regierungsorganisationen entstanden wäre, doch stattdessen stelle ich fest, dass derjenige, der sich widerrechtlich Zugang in meine geschlossene Forschungsstätte verschafft hat … mein eigener gottverdammter Sohn ist!«
Er bedachte Alex mit einem Blick, der so eisig war wie der Frost an den Fenstern, wegen dem man die ständige Dunkelheit rings um die Station Montgomery nicht sah. Irgendwo dort draußen standen zwei sehr hohe Kräne wie Kolosse aus Eis, die über die Grube wachten … nur, dass diese Maschinen nicht zur Verteidigung, sondern zur Extraktion eingesetzt wurden.
Marcus saß an seinem Schreibtisch, einem Koloss aus Mahagoni, der besser in das Büro eines Bankiers gepasst hätte, als in die Feldstation eines Paläontologen, doch das war von seinem edlen Spender nicht anders zu erwarten. William DeKirk scheute keine Kosten und wollte, dass sein Personal im Überfluss ertrank, so als könnten Wohlstand und das bloße Vorhandensein überteuerter Einrichtungsgegenstände die Entdeckungen hervorbringen, die er erwartete.
Vielleicht hatten sie das in diesem Fall auch getan, aber es konnte auch nur ein dummer Zufall sein – oder es lag, wie Marcus gern geglaubt hätte, an seiner eigenen Verbissenheit und Forschungskraft. Außerdem an der peniblen genauen Arbeit und der Sachkenntnis, die ihn davon überzeugt hatten, Russland in dieser von zwei Nationen angegangenen Mission zum See auszustechen. Er hatte seine Einflüsse geltend gemacht, um die Bohrung von Westen her vornehmen zu können, der mit Sicherheit schwierigere Ansatz, denn in diesem Gebiet lag der Untergrundsee tiefer und war nicht so leicht zugänglich, weil es keinerlei Gefälle gab, über das sie sich mit fahrbarem Untersatz hätten nähern können.
Marcus erinnerte sich noch gut an die monatelange Überzeugungsarbeit und die Beharrlichkeit, die er hatte aufbringen müssen. Falls DeKirk wirklich hinter etwas mehr Beachtenswertem und Medienwirksamem her war als Mikroorganismen, fand man es wohl mit höchster Wahrscheinlichkeit in den tieferen Sedimenten am Westrand, wo allen Schallmessgeräten und den ersten Sondierungen zufolge ein älteres Becken lag, das eher dem natürlichen Lebensraum und den Futterstellen größerer Dinosaurier entsprach.
Alex räusperte sich und hob seine Hände – deren Gelenke immer noch in Plastikfesseln steckten. »Wenn ich verurteilt werde, kann ich dich genauso gut mit hineinziehen.« Er schaute auf, nass und betrübt und zitternd in eine Decke gewickelt zwischen zwei schwergewichtigen Soldaten. Sein langes teilweise verfilztes Haar war mit einem Stück Rohleder zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Er trug eine einfache Halskette mit einem einzelnen matten Stein als Anhänger.
Einer der Soldaten trat vor und hob vorsichtig einen Rucksack hoch, den Alex in seiner Jacke verborgen hatte; er war vollgepackt mit Ziegeln, die wie Lehm aussahen, sowie Drähten und Steckern.
»C-4?«, fragte Marcus fassungslos. »Oh Gott, Alex, was hast du dir nur dabei gedacht?«
Sein Sohn ließ den Kopf hängen. »Dad, ich weiß, dass es zwei Jahre her ist und was du von mir denkst, aber …«
»Ich kann das einfach nicht glauben. Ausgerechnet jetzt platzt du in mein Leben?«
Nun schrie Alex ihn an: »Ich klammere die Heuchelei in dieser Frage mal aus und stelle stattdessen dir eine: Ist dir klar, dass das Ding dort unten lebt?«
»Du hast also bereits gesehen«, entgegnete Marcus nun leiser, »worauf wir dort unten gestoßen sind?«
Alex schüttelte vehement den Kopf. »Ja, das … es ist völlig unglaublich, und Glückwunsch für den Fund deines Lebens, aber ich schwöre dir: Es lebt.«
Daraufhin schüttelte Marcus den Kopf. »Es lebt nicht. Die durchschnittliche Wassertemperatur dort unten beträgt etwa -3 Grad, und das sehr wahrscheinlich schon seit Abermillionen von Jahren, und davor wäre es fest in einer Gletscherschicht eingeschlossen gewesen, also ein regelrechter Eiswürfel. Kein Kreislauf kann unter solchen Bedingungen arbeiten, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er außerstande gewesen wäre, zu atmen oder etwas zu essen. Auch wenn du es für ein Wunder der Evolution gehalten hast wie das Monster von Loch Ness, hätte es Nahrung aufnehmen müssen.«
»Dad, es hat sein Auge geöffnet – und sein Maul, verdammt.«
»Vielleicht aufgrund von Gasblasen, die aus seinen Eingeweiden entwichen sind, als die Düsen deines Tauchbootes das Wasser aufgewühlt haben und somit den Druck veränderten.«
»Quatsch.«
»Ach ja? Was wäre denn die Alternative? Dass ein 65 Millionen Jahre alter Dinosaurier die ganze Zeit über ein Kälteschläfchen gehalten hat?«
Marcus erkannte, dass sein Sohn fieberhaft überlegte, um auf eine andere Möglichkeit zu kommen. Er musste diese Sache klären, damit er sich wieder dringenderen Angelegenheiten widmen konnte. »Hör zu, du hast dir ziemlich übel den Kopf gestoßen und warst wer weiß wie lange extrem tiefen Temperaturen ausgesetzt. All das zusammengenommen und – ich kenne dich ja – Schlafentzug … Da ist es kein Wunder …«
»Wir haben auch das gefunden«, warf ein Soldat ein und zeigte ihm eine Kamera mit kaputter Blende. »Wir werden die Aufnahmen sichten müssen.«
»Genau!«, verlangte Alex, wobei seine Augen wieder funkelten. »Sieh dir das an, dann hast du den Beweis.«
Marcus runzelte die Stirn und schaute von der Kamera zu seinem Sohn. Er sah den irren Blick des Jungen und einen Anflug von Angst darin, die weit über jene hinauszureichen schien, die ihm diese Soldaten hätten einjagen können. »Den Beweis wofür?«
»Dass du größere Probleme hast als die Frage, ob ich spinne oder nicht; größere Probleme als den Fund eines prähistorischen Ungeheuers, das nicht hier sein sollte.«
***
Marcus war nicht klar gewesen, dass Alex seine Karriere verfolgt hatte, geschweige denn etwas über die Verbreitung von Dinosauriern aus dem Jura und deren geografischer Vorherrschaft wusste. Wenngleich es einleuchten konnte, dass wohl kaum ein Laie unten an diesem Pol mit so etwas wie Fossilien gerechnet hätte, stimmte Alex’ Aussage. Die vormals wenigen Entdeckungen in der Antarktis hatten nur auf die Präsenz bestimmter vogelartiger Dinosaurier, einiger pflanzenfressender Spezies und eines bisher unbekannten Karnivoren hingedeutet. Dem sogenannten Cryolophosaurus, von dem man bisher nur nicht geschlechtsreife Exponate gefunden hatte, also blieben Beschreibungen zu Größe und Merkmalen ausgewachsener Tiere weiterhin nur reine Spekulation. Marcus war einmal zu der Theorie gelangt, dass die Landmasse, welche die Antarktis mit Australien verbunden hatte, wohl durchaus so beschaffen gewesen sei, dass sie zu einer Zeit, als der Südpol fruchtbar und subtropisch gewesen war, ohne weiteres eine größere Vielfalt von Dinosaurierarten ermöglicht habe. Genau diese Annahme hatte das Interesse des Milliardärs DeKirk an Marcus geweckt. Egal welche Motive der Mann genau hegte (er hatte ihn definitiv nicht eingeweiht), war sich der Paläontologe sicher, dass seine eigenen Vermutungen dabei eine große Rolle spielten. Im Zuge dieser Entdeckung fiel DeKirk nun vor Aufregung offensichtlich aus allen Wolken.
Dass Alex jetzt in Erscheinung getreten war – ein nicht zu verachtender Stachel in seinem Fleisch –, hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt passieren können.
»Die Russen«, fuhr Alex fort. »Die andere Seite. Wir fingen dort an und …«
»Sir!« Jetzt stürzte ein anderer Soldat herein und kam schlitternd neben seinen Kameraden zum Stehen. »Gerade habe ich erfahren … zwei Meilen östlich von hier wurde ein Erdstoß aufgezeichnet. Theta-1, anders kann es nicht sein …«
Marcus warf seinem Sohn einen bösen Blick zu und schaute dann auf den Rucksack voller C-4. »Was hast du getan?«
Alex zerrte an seinen Handfesseln und wollte sich einem der Soldaten entziehen, der ihn am Arm festhielt. Endlich nickte Marcus und gab ein Handzeichen, woraufhin der Junge von dem Plastik befreit wurde.
»Danke. Also, dort drüben hat es vielleicht wirklich eine Explosion gegeben, aber Tony und ich hatten nichts …«
»Oh nein«, unterbrach Marcus ihn mit leiser Stimme. »Nicht Tony Harrison, oder?«
»Dad, hör mir einfach zu.«
»Wo steckt er?« Marcus sah die Soldaten an, dann wieder seinen Sohn. »Was habt ihr beiden getan? Gary, verständigen Sie Theta-1 und …«
»Habe ich schon versucht, Sir. Keine Antwort.«
»Dad …«
»Versuchen Sie es wieder.«
»Dad!«
Marcus wandte sich wieder Alex zu. »Was?«
»Tony ist … tot.«
»Oh, Alex.«
»Es war ein Unfall, jedenfalls zuerst. Wir sind in die Grube gefallen. Er hat sich schwere Schnittwunden zugezogen und ist in den See …«
Während Marcus ihn ungläubig anschaute, stellte er sich das Ganze vor, doch etwas am Tonfall seines Sohnes hielt ihn davon ab, weiter nachzufragen.
»Die Russen, sie waren dort … sie … sie waren so seltsam. Haben uns angegriffen, ich sag’s dir, sie …«
»Warte, euch angegriffen? Herr im Himmel, dann wird der Vorfall jetzt wirklich ein internationales Problem.«
Er sah es schon kommen: amerikanische Eindringlinge, die man als CIA-Agenten oder etwas Ähnliches abstempeln würde, sodass die Russen fein raus wären, weil man ihr Handeln als Selbstverteidigung interpretieren könnte. Ein toter Aktivist auf der Seite der USA, ein weiterer wegen krimineller Vergehen gesucht. Marcus stützte den Kopf in seine Hände. Die Sache geriet rasch aus den Fugen.
»Dad, das Wasser! Glaub mir, mit diesen Mikroben stimmt etwas nicht. Du musst deine Männer von dort abrücken, zieh sie alle hoch und …«
»Ausgeschlossen«, unterbrach ihn Marcus. »Wir beginnen heute mit der Bergung des T-Rex und der anderen beiden …«
»Was?« Alex schaute entsetzt und blickte dann auf den Schreibtisch, wo Marcus drei Monitore stehen hatte. Zwei zeigten in einer Mehrfacheinstellung mit künstlicher Beleuchtung verschiedene Bereiche der Infrastruktur am Fuß der Grube. Die Laufstege, Drähte und Gitternetze, außerdem sechs Tauch- und fünf Gummiboote. »Jesus, das war also ein Tyrannosaurus? Und was meinst du mit ‘die anderen beiden’?«
»Alex, dort unten arbeitet ein Team aus fünfzig ausgebildeten Fachleuten mit hochmoderner Ausrüstung. Wir sprechen hier von Gurtgeschirr, wie es das Militär einsetzt, Transportsystemen auf hydraulischer Basis mit computergesteuerten Winden und anderem Zeug, das noch nicht einmal auf dem freien Markt erhältlich ist. All dies steht bereit, um den größten Fund in der Geschichte der Paläontologie zu heben, einen einwandfrei erhaltenen Tyrannosaurus Rex!
Jawohl, vergangene Woche haben wir zwei weitere Cryolophosaurier in den Ablagerungen geortet. Da sie jeweils nur zwanzig Fuß lang sind, werden sie sich viel leichter bergen lassen.«
Er betätigte mehrere Tasten, woraufhin sich ein anderes Fenster auf einem der Bildschirme öffnete, das wie es aussah, zwei nasse gefrorene Hunde zeigte. Marcus konnte gerade eben noch die vielsagenden Höcker auf ihren Köpfen erkennen, die Kronen ähnelten; Kämme an ihren Schädeln, und die heimtückisch wirkenden Zahnreihen in den Mäulern.
Er strahlte begeistert, doch genau in diesem Moment leuchtete der dritte Monitor auf, weil er einen Anruf über Skype erhielt.
Ein Gesicht mit angegrautem Bart – es sah aus wie eine uralte Straßenkarte, weil die ledrige Haut stark vernarbt war – und stechendem Blick erschien: William DeKirk. Das Haar, silbergrau und schütter, hing ihm zwar in die etwas gelblich verfärbten Augen, konnte seine Begeisterung aber nicht verhehlen.
»Ich möchte minütlich auf den neuesten Stand gebracht werden, Marcus. Klären Sie mich genau über die Operation auf.«
Der Paläontologe stellte den Monitor sofort schräg, damit DeKirk seinen Sohn beziehungsweise die Soldaten hoffentlich nicht sah. Bitte nicht …
»Sehr wohl, Mr. DeKirk, aber … Es gab einen Zwischenfall. Gut möglich, dass wir warten müssen.«
»Welche Art von Zwischenfall?« Er klang nun wie ein bissiger Hund, weshalb Marcus entsprechend gereizt reagierte. »Sie meinen die Explosion bei den Russen? Davon habe ich gehört, aber sie hat doch keinerlei Folgen für uns.«
»Sie haben davon gehört?«
»Ich verfüge über gewisse Quellen, und nein, es interessiert mich nicht. Ich habe die US-Botschaft in Moskau alarmiert; dort kann man es wie üblich handhaben, indem man alles leugnet und Unwissen vorschützt – was ja auch stimmt, oder?«
Die Augen des Milliardärs blinzelten zwischen den Silbersträhnen. Er sah Marcus intensiv an, ehe er versuchte, aus seinem begrenzten Blickwinkel der Kamera hinaus etwas zu erkennen. »Sie hatten doch nicht zufällig irgendetwas damit zu tun, oder? Schließlich besteht ja da diese beunruhigende Verwandtschaft …«
Oh Gott. Marcus warf einen raschen Blick auf seinen Sohn, der gerade die Hände gehoben hatte.
»Entschuldigung«, wisperte Alex. »Meine Kamera … Wir haben die Aufzeichnungen mit halbstündiger Verzögerung live in unserem Blog übertragen. Jedenfalls, bis das Chaos losbrach.«
Marcus massierte gestresst seine Schläfen. Er schloss die Augen und holte tief Luft, bevor er sich wieder dem Monitor zuwandte. »Sir, ich hatte wirklich keine Ahnung davon.«
»Da bin ich mir sicher.« DeKirk zog sich vor seiner Kamera zurück und grinste diebisch.
»Wirklich. Alex ist hier bei mir. Er wurde gefangengenommen, und ich kläre das mit ihm auf die harte Tour oder …« Er sah seinen Sohn abermals an. »… indem ich ihn den Behörden ausliefere, falls es erforderlich ist.«
»Darüber entscheiden wir später«, erwiderte DeKirk, »je nachdem, wie sich die Situation entwickelt und auf welche Art und Weise die russische Seite reagiert. Ich hörte, es gab Todesopfer?«
»Bedauerlicherweise ja«, gestand Marcus. »Es war Alex’ Kollege, um genau zu sein, und …« Er suchte den Blick seines Sohnes. »… die russischen Forscher?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es sich wirklich um Forscher gehandelt hat«, entgegnete Alex, der jetzt neben den Schreibtisch trat, damit DeKirk und er einander sehen konnten. »Ich weiß nicht genau, ob sie … normal waren. Sie kamen mir einfach merkwürdig vor. Da unten ist irgendetwas passiert, Sir …«
»Was ist passiert?«, fragte DeKirk, der nun hellhörig wurde.
»Ich kann es nicht genau erklären, aber ich wollte gerade mit meinem Vater darüber sprechen. Der See dort unten, die Bakterien oder Mikroorganismen … Sie können nicht erwarten, dass es überhaupt kein Nachspiel hat, wenn Sie etwas, das Millionen von Jahren alt ist, einfach so gegenwärtigen Lebensbedingungen aussetzen. Tony und ich, wir kamen her, um eine heimische Spezies zu beschützen, doch nach dem, was ich dort unten gesehen habe, und infolge dessen, was es, glaube ich, mit Tony getan hat, als es in seine Wunden eindrang … Ich weiß nicht, es zeigte rasch Wirkung, und etwas …«
DeKirk nickte in eine Richtung abseits der Kamera und hielt nun lediglich eine Hand hoch. »Schon gut, junger Freund, Ihre Besorgnis wurde zur Kenntnis genommen, aber wir untersuchen die Mikrobewohner des Sees nun schon seit mehreren Monaten. Folglich wissen wir genau, womit wir zu tun haben, und deshalb besteht kein Grund zur Sorge.«
Marcus wunderte sich. Wir untersuchen sie? Das war ihm neu, und soviel er wusste, gab es außer ihm auch keinen anderen richtigen Wissenschaftler auf der Basis. Beim restlichen Personal handelte es sich entweder um Techniker, die speziell auf diesen Einsatz zugeschnittene Gerätschaften bedienten, oder zupackendes Fußvolk, also Söldner – eine Mannschaft ehemaliger Militärdienstleister, die über DeKirk angeheuert worden war, aber offiziell auf der Grundlage eines Vertrags für Exploration und Polarforschung mit der amerikanischen Regierung arbeiteten. Falls jemand Untersuchungen im Wasser durchführte, dann nicht Marcus.
Log sein Auftraggeber also, oder ließ er den Paläontologen einfach nur im Ungewissen?
»Aber Sir …«
»Alex, stopp.« Marcus wandte sich wieder dem Bildschirm zu. »Passen Sie auf, die Männer sind bereit, und wir stehen kurz vor unserem Ziel, sollten aber vielleicht wirklich auf ihn hören. Warten wir doch noch ein, zwei Tage; gehen sicher, dass wir nicht tief in einem internationalen Konflikt stecken und – was weiß ich? – nicht irgendetwas zutage fördern, das uns über die Köpfe hinauswächst.«
»Uns wächst nichts über die Köpfe.« Nie zuvor hatte Marcus eine so überzeugte Aussage gehört.
Er seufzte. »Ich meine nicht einmal die Mikroben, aber dies ist der erste gut erhaltene Prüfkörper, der aus einer Zeit vor über fünfundsechzig Millionen Jahren stammt. Wer weiß, welche Viren oder Bakterien er vielleicht in sich trägt? Wir können ihn noch nicht bergen, denke ich.«
»Ich bezahle Sie nicht dafür, dass Sie denken«, schoss DeKirk aufgebracht zurück. »Zumindest nicht über so etwas. Sie haben Ihren Teil Kopfarbeit geleistet und uns so weit gebracht, wofür Sie auch großzügig entlohnt werden. Geld und Ruhm sind erst der Anfang; ich übernehme die volle Verantwortung für alles Weitere, und wir werden es unter Verschluss halten. Wir verfügen über alle notwendigen Mittel, um biologische Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Mein Tanker nimmt gerade bereits Kurs auf den Hafen. Wir werden vor Ort sein, ehe Sie mit der Bergung des Exponates fertig sind. Ich habe den Frachtraum bereits ausbauen lassen, um es unter biologisch optimalen Sicherheitsbedingungen lagern und nicht nur den Verwesungsprozess aufhalten zu können, sondern auch die Ausbreitung jeglicher möglicher Krankheitserreger.«
DeKirk grinste, während er so dicht vor seine Kamera rückte, dass sein Gesicht den gesamten Monitor ausfüllte. »Dr. Ramirez, so einen Fund macht man höchstens einmal im Leben! Diese Leistung stellt sie auf die gleiche Stufe wie Kolumbus und Neil Armstrong. Sie werden als Pionier neuer Welten in die Geschichte eingehen!«
Alex rückte näher. »Aber der T-Rex … ich habe gesehen, dass er verletzt gewesen ist. In seiner Haut klafften tiefe Löcher, wo Fleisch herausgerissen war. Jetzt könnte er mit dem gleichen Erreger infiziert sein – was immer es auch genau ist – wie mein Freund und die Russen …«
»Warum redet diese Person immer noch?«, echauffierte sich DeKirk. »Ich überlege mir glaube ich gerade noch einmal, ob wir den Russen die Nervensäge nicht vielleicht doch übergeben sollten. Pfeifen Sie Ihren Sohn zurück, Marcus!«
»Jawohl, Sir, aber ich finde wirklich, dass wir uns in dieser Sache noch ein wenig gedulden sollten. Wie wäre es, wenn wir den Gesundheitsschutz und andere Experten hinzuziehen würden?«
Nun lachte DeKirk. »Ich beende diese Sitzung jetzt, um zu Ihnen zu kommen und mir die Extraktion persönlich anzuschauen. Ich freue mich schon darauf, unsere Schätze aus der Nähe begutachten zu können.« Er schüttelte staunend den Kopf. »Ein T-Rex und zwei Cryos! Fabelhafte Arbeit. Wir sehen uns auf Adranos, Mr. Ramirez.«
Als die Verbindung getrennt wurde, hakte Alex nach: »Adranos?«
Marcus seufzte wieder. »Das ist seine Privatinsel mit eigenem Forschungslabor im Südpazifik, benannt nach irgendeinem sizilianischen Feuergott oder so etwas. Ich schätze, dort muss ich als Nächstes hin.«
»Feuergott?«
Marcus zog seine Schultern hoch. »Der Vulkan ist nicht mehr aktiv.«
»Wunderbar. Also schaffen sie das Ding dann dorthin?«
»Erst wenn ich es hochgeholt habe«, antwortete Marcus, »und nach dem, was du mir erzählt hast, gehe ich nicht davon aus, dass wir es hochholen. Zur Hölle mit dem, was DeKirk sagt.«
»Ich glaube, das zu entscheiden steht dir nicht zu, Dad.« Alex zeigte auf das Fenster.
Die Scheinwerfer der Kräne waren eingeschaltet, weil sie sich gerade in Bewegung setzten und einander zugekehrt wurden. Auf den Monitoren flackerten helle Lichter, Männer auf Flößen schwenkten schwelende Fackeln, Wasser wallte auf, und Dampf stieg in die Höhe, kurz bevor ein dorniger Grat auftauchte – ein riesiger Rückenschild, der die Oberfläche wie ein Kraken durchbrach.
»Das wird sich noch zeigen.« Marcus nahm sich sein Mikrofon und befahl im strengen Ton, sofort mit allem aufzuhören, wusste aber insgeheim, dass es zwecklos war. Diese Männer arbeiteten für DeKirk, und die Operation unterstand anscheinend fortan nicht mehr seinem Kommando – falls es überhaupt je anders gewesen war.
»Fünfundsechzig Millionen Jahre«, sagte Alex. »Dieses Ding kommt nun zu uns, und zwar nicht alleine.«