Donnerstag, 19. Februar, 0.30 Uhr

Zoe Richardson verriegelte ihre Haustür, nachdem sie ihren Liebhaber nach Hause zu seiner Frau geschickt hatte. Sie schaltete den Fernseher ein, um sich die Zehn-Uhr-Nachrichten anzusehen, die sie aufgenommen hatte, weil sie zu dem Zeitpunkt anderweitig beschäftigt gewesen war. Sie streckte sich genüsslich und dachte einmal mehr, was für eine angenehme Überraschung der Mann doch war. Sie hatte ihn wegen seiner Position und der Verbindungen, die er hatte, verführt, aber sie wollte verdammt sein, wenn er sich nicht als richtiges kleines Wunder im Bett herausgestellt hätte. Sie musste ihm niemals etwas vorspielen, kein einziges Mal.

Aber jetzt war, wenigstens vorübergehend, der Spaß vorbei. Sie hatte zu tun. Sie spulte das Band zurück, bis der hemdsärmelige Anchorman der heutigen Ausgabe erschien, und ihre gute Laune verschlechterte sich augenblicklich. Sie hasste es, diese Idioten auf dem Platz zu sehen, der eigentlich ihr gebührte. Dabei hatte sie ihr Lehrgeld längst bezahlt, hatte jede jämmerliche Human-Interest-Geschichte, die man ihr zugeworfen hatte, aufgegriffen. Aber im Grunde genommen zählte das nicht mehr. Mit ihren neuen Verbindungen war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die richtige Story erwischte und ihr Gesicht in jedem Fernseher quer durch die USA zu sehen sein würde. Und wenn sie erst einmal dort war, dann würde sie so schnell auch nicht wieder abtreten.

Ahh, dachte sie, da haben wir es ja. Ihr eigenes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Sie erinnerte die Zuschauer an ihr Interview mit der Zweiten Staatsanwältin, ASA Mayhew, am Nachmittag und an Mayhews Niederlage im Prozess gegen den Sohn des vermögenden Industriellen Jacob Conti. Sie war stolz auf sich, dass sie sich aufrichtig und besorgt anhörte, obwohl sie sich in Wahrheit höllisch über Mayhews öffentliches Versagen freute. Dann wandte sich die Zoe auf dem Bildschirm zur Seite – Hübsches Profil, Mädchen! –, und die Kamera fuhr zurück, um den berühmten Jacob Conti zu erfassen.

»Mr. Conti, was haben Sie bei dem Urteil Ihres Sohnes empfunden?«

Contis attraktives Gesicht nahm einen Ausdruck unendlicher Erleichterung an. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh meine Frau und ich sind, dass die Geschworenen ihn für nicht schuldig erklärt haben. Diese haltlosen Vorwürfe hätten sein junges Leben beinahe vollkommen ruiniert.«

»Manche sagen, es sei das Leben von Paula Garcia und ihrem ungeborenen Kind, das ruiniert ist, Mr. Conti.«

Seine Miene schmolz zu einem Ausdruck unendlichen Kummers. »Die Garcias besitzen mein tiefes, aufrichtiges Mitgefühl«, sagte er. »Ihr Verlust muss entsetzlich sein. Aber mein Sohn hatte keine Schuld daran.«

Sie beobachtete, wie sie auf dem Bildschirm nickte, selbst einen kurz Augenblick lang mitfühlend die Lippen schürzte und dann zum Hauptschlag ausholte. »Mr. Conti, was sagen Sie zu den Gerüchten, dass einer der Geschworenen bestochen worden ist?«

Ha! Die Frage hatte ihn unvorbereitet getroffen. Aber er zügelte sein Temperament und hatte sich bewundernswert rasch wieder im Griff. »Ich gebe grundsätzlich nichts auf Gerüchte, Miss Richardson. Am wenigsten auf solch groteske Gerüchte.« Dann neigte er den Kopf in einem halben Nicken, und sie war entlassen. »Entschuldigen Sie mich. Ich muss wieder zu meiner Familie zurück.«

Ihr Ebenbild wandte sich wieder der Kamera zu. »Das war der Industrielle Jacob Conti, der für Paula Garcias Familie Mitgefühl empfindet, jedoch über die Rückkehr seines Sohnes erleichtert ist. Ich gebe zurück ans Studio.«

Zoe hielt das Band an und holte es aus dem Rekorder. Sie würde den Mitschnitt später auf ihr Masterband kopieren, auf dem sie alle ihre besseren Aufnahmen festhielt. Eine Art Portfolio, wenn man so wollte. Sie stand auf und seufzte wohlig, als die Seide wie eine Liebkosung über ihre Beine glitt. Sie liebte Seide. Der Mantel war ein Geschenk von einem Assistenten des Bürgermeisters gewesen. Eine Weile lang hatten sie sich gegenseitig die politischen Rücken gekratzt. Sie lächelte. Anschließend hatten sie eine Weile länger an anderen juckenden Stellen gekratzt. In ihren ehrlichen Momenten konnte sie zugeben, dass sie ihn vermisste, aber meistens vermisste sie bloß die Seide.

Bald würde sie in der Lage sein, sich selbst Seide zu kaufen. Bald würde sie in der Lage sein, sich alles zu kaufen. Denn bald würden es ihr Gesicht und ihre Stimme sein, die die Nachrichten zur besten Sendezeit repräsentierten. Sie begann, unruhig in ihrem kleinen Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Sie brauchte eine Story. Die Rechnung, Kristen Mayhew – unnachgiebige Kämpferin gegen das Böse und Rächerin der Witwen und Waisen! – zu beschatten, war bisher immer recht gut aufgegangen, und Zoe war der Meinung, dass man nicht zu früh auf ein anderes Pferd setzen sollte. Geistesabwesend strich sie sich über den seidenen Ärmel. Sie musste herausfinden, was Kristen morgen früh auf dem Terminkalender stehen hatte.

Chicago Reihe 03 - Des Todes liebste Beute
titlepage.xhtml
haupttitel.html
chapter1.html
chapter2_split_000.html
chapter2_split_001.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
chapter171.html
chapter172.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html