Montag, 23. Februar, 13.00 Uhr
Abe verabscheute den Geruch in der Gerichtsmedizin. An einem guten Tag roch es antiseptisch wie im Krankenhaus. Er hasste Krankenhäuser. Und an einem schlechten Tag … Zum Glück war Conti noch nicht lange genug tot, um einen schlechten Tag zu verursachen.
»Wir sind gekommen, sobald wir konnten, Julia«, sagte Mia, während sie zum Tisch ging, auf dem Contis Leiche lag. »Was ist denn los?«
»Ich wollte, dass ihr euch das einmal anseht.« Julia kam zu ihnen an den Tisch. »Von allen Opfern, die wir bisher ausgegraben haben, war Contis Leiche im schlechtesten Zustand. Der Typ hat ihn nicht nur verprügelt, der hat Hackfleisch aus ihm gemacht.«
»Medium gebraten, bitte ohne das Gürkchen«, alberte Mia, und Julias Lippen zuckten.
»Bring mich bitte nicht zum Lachen. Meine Rippen tun von gestern noch immer weh.«
Abe runzelte die Stirn. »Hat Jacob Conti dich so heftig attackiert?«
Julia zuckte die Achseln. »Ein paar Prellungen, mehr nicht. Es hätte schlimmer kommen können.«
»Ja. Jack hätte ihn zerlegen können.« Mia wirkte sehr zufrieden bei dem Gedanken.
Julias Wangen röteten sich leicht. »Dass Jack sich so auf ihn gestürzt hat, war nicht richtig von ihm.«
»Nein? Also mir hat’s gefallen«, sagte Mia.
Julia zögerte einen Moment. »Mir auch«, gab sie schließlich zu.
»Und du hättest darauf bestehen können, dass wir ihn verhaften«, meinte Abe.
»Ja, weiß ich, aber ich fand, dass die Situation auch so schon hitzig genug war. Zumal die Reporter jede Bewegung gefilmt haben. Conti hatte gerade herausgefunden, dass sein Sohn ermordet worden ist, du lieber Himmel.«
»Sein Sohn, der jemand anderen zu Tode geprügelt hat«, murmelte Mia. »Ich würde keine Träne an ihn verschwenden, Julia. Angelo Conti ist so gestorben wie Paula Garcia – mit einem Wagenheber erschlagen.«
Julia seufzte. »Ja, ja, ich weiß … ausgleichende Gerechtigkeit und so weiter. Wie auch immer. Seht euch das hier bitte mal an.« Sie drehte den Körper ein Stück herum und zeigte auf eine Stelle oberhalb von Contis Kniekehle. »Schwach und unvollständig, aber besser als nichts.«
Abe beugte sich näher heran, und sein Puls beschleunigte sich. »Ein Teilabdruck.«
Mias Blick begegnete seinem. Ihre Augen leuchteten. »In Contis Blut. Gut gemacht, Julia.«
»Die Totenflecke weisen darauf hin, dass der Killer Conti kurz nach dem Tod auf die Seite gerollt hat. Das Blut muss noch feucht gewesen sein.«
»Er hat keine Handschuhe getragen«, murmelte Mia.
Ein Funken Hoffnung regte sich in Abe. »Er hat einen Fehler gemacht, weil er die Beherrschung verloren hat.«
»Das denke ich auch«, sagte Julia zufrieden. »Für die Schwere der Verletzungen war relativ wenig Blut auf der Leiche. Er muss sich klar gemacht haben, dass er ausgeflippt ist, und hat anschließend versucht, die Leiche zu säubern. Aber nachdem er Conti auf die Seite gelegt hat, ist der Körper erstarrt, wodurch der Fleck verborgen wurde und er ihn übersehen konnte.«
Abe stieß einen leisen Pfiff aus. »Wir haben Glück, dass die Reibung der Beine den Fingerabdruck nicht verwischt hat.«
»Das kann man wohl sagen. Ich habe Jack angerufen, damit er uns hilft. Es muss gleich hier sein.«
»Es ist nur ein Teilabdruck«, gab Mia zu bedenken. »Wir sollten nicht all unsere Hoffnungen daran hängen.«
»Tun wir auch nicht.« Abe betrachtete den Abdruck erneut. »Aber er hat einen Fehler gemacht. Er kann weitere machen, und dann finden wir ihn.«
Julia streifte die Handschuhe ab. »Gut. Ich will, dass die Sache bald vorbei ist. Um unser aller willen, aber vor allem um Kristens willen. Ich habe schon gehört, was gestern Nacht geschehen ist. Wie geht’s ihr?«
»Kristen«, begann Mia mit einem vergnügten Seitenblick zu Abe, »schien es recht gut zu gehen, als ich gefahren bin. Aber schließlich war ja nicht ich es, die die Nacht über geblieben ist.«
Julia verkniff sich ein Grinsen. »Aber du hast auf der Couch geschlafen, richtig, Abe?«
Abe verdrehte die Augen. »Ja, das habe ich zufällig tatsächlich. Und das Ding ist ganz schön unbequem.« Sie war in seinen Armen eingeschlafen, und er hatte sie im Schlaf beobachtet und einmal mehr zu ergründen versucht, warum er sich so stark zu ihr hingezogen fühlte. War es die Tatsache, dass sie die erste für ihn attraktive Frau war, die er nach einer sechsjährigen Durststrecke kennen gelernt hatte, oder lag es tatsächlich daran, dass er sie insgeheim mit Debra verglich? Er war zu dem Schluss gekommen, dass nichts von beidem der Fall war, sondern dass er schlicht reagierte, wie ein gesunder Mann in den besten Jahren auf eine schöne, intelligente, sinnliche Frau eben reagierte. Anschließend hatte er sich auf den zweifelhaften Komfort der Ausziehcouch begeben, den Rest der Nacht wach gelegen und die Tatsache verflucht, dass er ein gesunder Mann in den besten Jahren und sie eine schöne, intelligente, sinnliche Frau war. Nach den wenigen morgendlichen Küssen wieder aufzuhören war eine der härtesten Prüfungen gewesen, die er je durchgemacht hatte.
»Ausziehcouchen sind eben so«, sagte Julia trocken. Dann sah sie auf, und ihre Miene verwandelte sich. »Jack.«
Jack schloss die Tür hinter sich. »In deiner Nachricht hast du gesagt, dass es dringend sei.«
»Das kann man so sagen«, bemerkte Abe. »Geh vorsichtig damit um, Jack. Bisher ist es das Beste, was wir haben.«