17
»Um ein Haar hätte dieser Schweinehund unser Fell bekommen«, knurrte Thiemann. Er stürzte seinen zweiten Kurzen hinunter. »Du bist ein Arschloch, ein verdammtes, hirnverbranntes Arschloch, weißt du das?«
»Ach, red doch keinen Scheiß! Ist doch nichts passiert!«
»Die waren scharf auf 'nen Mörder! Du Idiot hättest mich um ein Haar mit reingerissen!«
»Ich?« Hanke sah den dicken Thiemann böse an. »Wer wollte denn die schnelle Mark greifen? Wer ist denn pleite? Du oder ich?«
»Sag bloß, du hast Zaster!«, höhnte Thiemann.
»Ich hatte 'n bisschen Pech in der letzten Zeit. Aber wenn mir die Knilche von der Sittenschmiere nicht mehr so auf den Füßen rumstehen, hab ich wie nix wieder zwei Hühner an der Mauer stehen. Dann kannste mal sehen, wie die Kohle rollt.«
»Jetzt stehen dir nicht nur die Kerle von der Sitte auf den Füßen rum. Bei Mord kennen die nichts ...«
»Mit dem Mord habe ich nichts zu tun, das musst du mir glauben!«
»Erzähl das diesem Bandisch. Der hat sich blamiert. Der gibt nicht auf.«
»Da musste nur hart bleiben, haste ja gesehen. Dann können die dir gar nichts.«
»Die sind schon ziemlich hart rangegangen, Junge, Junge«, meinte Thiemann.
»Die können dir nichts«, wiederholte Hanke. Er beugte sich nah zu Thiemann hinüber. »Wo haste denn den Kracher gelassen?«, erkundigte er sich.
»Den hab ich weggeschmissen. In den Rhein. Als ob ich's geahnt hätte.«
»Schade drum, eigentlich. Na ja, was soll's. Die Mützen hab ich aufm Markt in den Müll gestopft, ganz unten. Die sind längst weg.« Hanke trank von seiner Limonade. »Ich zisch 'ne Weile ab, ist vielleicht besser«, sagte er dann. »Bin hier sowieso das Klima leid. Immer nur kalt und dauernd dieser verdammte Regen. Wirste ja gemütskrank.«
»Und wo willste hin?«
»Mal sehen. Mai ist die richtige Jahreszeit für Mallorca. Was meinste, was da jetzt für Weiber sind. Da klinkste aus.«
»Haste denn Knete?«
»Ich hab noch die achthundert von den ...«
»Halt die Schnauze!«, zischte Thiemann. Er sah sich schnell um, doch niemand von den anderen Gästen, die sich neben ihnen an der Theke festhielten, kümmerte sich um sie.
»Na, und dann kann ich vielleicht einen anzapfen.« Kalle Hankes Augen nahmen einen nachdenklichen Ausdruck an, der dann etwas Gieriges bekam. »Da wird noch einem der Arsch auf Grundeis gehen, wenn er hört, was der Bulle da alles faselt.« Hanke hatte es plötzlich eilig. Er klopfte Thiemann auf die Schulter. »Halt die Ohren steif, und lass dich nicht bluffen. Die Bullen können uns gar nichts, haste ja gemerkt.«
»Hab ich. Sie ha'm uns hochgenommen.«
Kalle Hanke grinste nervös, dann trat er auf die Straße hinaus und suchte eine Telefonzelle.
Das Teilnehmerverzeichnis war zerfleddert, doch die Seite mit der Nummer, die er suchte, war unversehrt. Er suchte sein Kleingeld zusammen und wählte.
»Hallo? Ich will den Chef sprechen ... Schon weg? Mann, wann arbeitet der denn?« Hanke sah auf die Uhr. Es war halb sechs. »Wo isser denn? Das is privat, verstehen Sie? Warten Sie, ich hab nichts zu schreiben. Noch mal! Ja, kann ich behalten.«
Hanke drückte die Gabel nieder und warf seine letzten Zehnpfennigstücke ein. Dann wählte er erneut.
»Hallo, Chef? Sind Sie das?«
»Wer spricht denn da?«
»Meine Name sagt Ihnen ja doch nichts, Chef. Aber vielleicht klingelt's bei Ihnen, wenn ich sage, ich war damals der dritte Mann ...«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Die Bullen haben mich aufgegriffen«, fuhr Hanke unbeirrt fort. »Wollen Sie wissen, weshalb?« Hankes Stimme wurde schrill. »Wegen Mord, Chef! Verstehn Sie? Wegen Mord an dem jungen Dattner.«
»Weshalb rufen Sie mich dann an?«, fragte der Mann am anderen Ende mit tonloser Stimme.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Chef, die ha'm mich wieder laufenlassen.«
»Ich verstehe immer noch nicht ...«
»Nein? Ich war der Freund von Tito und dem anderen. Aus Wuppertal, erinnern Sie sich? Tito war mein Freund. Der hat mir alles erzählt. Alles, verstehen Sie, Chef?«
»Ich verstehe kein Wort. Ich kenne keinen Tito.«
»Dann legen Sie auf, Chef!«, sagte Hanke herausfordernd. »Ich rufe dann Herrn Dattner an. Der interessiert sich bestimmt für meine Geschichte.« Er wartete.
»Was wollen Sie?«
Ein hinterhältiges Grinsen huschte über Hankes spitzes Gesicht. »Ich glaube, der alte Dattner hat mich durchschaut. Der hat meine Stimme erkannt, aber den Bullen nichts gesagt. Weshalb wohl?«
»Ich weiß es nicht. Sagen Sie endlich, was Sie wollen!«
»Ich denke, es ist vielleicht besser, wenn ich einige Zeit verreise.«
»Wenn Sie meinen ...«
»Meine Reisekasse ist leider ziemlich leer. Vielleicht können Sie mir was leihen. So um die fünf Mille. Sie haben doch den großen Schnitt gemacht mit all dem Zeug aus dem Safe.«
»Wann?«
»Na, so bald wie möglich.«
»Wo kann ich Sie erreichen?«
»He, he! Mit Speck fängt man Mäuse!« Hanke lachte nervös.
»Haben Sie Angst vor mir?«
»Vor Ihnen? Nee. Und Tito und sein Freund sind längst wieder in Italien. Killer laufen nicht mit 'nem Reklameschild um'n Hals inner Stadt rum.« Hanke lachte wieder.
»Na also. Ich will ja auch nur wissen, wie ich Sie erreichen kann. Nicht, wo. Ich habe so viel Geld nicht bei mir rumliegen. Und wenn ich es einfach von meinem Konto nehme, könnte jemand Fragen stellen.«
»Das ist Ihr Problem!«
»Eben. Also?«
»Tja, ich arbeite aufm Gemüsemarkt, 'ne halbe Schicht. Morgens um sieben. Halb acht bin ich immer in 'ner Schenke an der Ecke.«
»Morgens um sieben? Kommt nicht in Frage.«
»Tja, dann komme ich zu Ihnen, Chef. Ins Büro? Oder lieber nach Hause?«
»Rufen Sie mich morgen wieder an. Um die Mittagszeit.«
»Bis eins penne ich immer, ist schließlich 'ne irre Maloche, da is man kaputt!«
»Um zwei. Im Geschäft.«
»Is gebongt, Chef. Und keine linken Sachen, nicht mit mir. Ich pass auf.«