28
Oberstaatsanwalt Landauer schloss die Akte, dann nickte er Deugius und Dattner mit verkniffenem Gesicht zu.
»Ich werde keinen Haftbefehl beantragen. Die Ermittlungen gegen Unbekannt werden fortgeführt. Ich danke Ihnen, meine Herren.«
»Kommen Sie, Dattner«, sagte Deugius. Er schob Dattner aus dem Zimmer des Staatsanwalts, wo die Beamten der Mordkommission zurückblieben. In der Tür stieß er mit Bandisch zusammen.
»Herr Bandisch, ich möchte Sie gleich einen Augenblick sprechen.«
»Ich warte hier«, sagte Bandisch.
Elisabeth küsste ihren Vater auf die Wange, was er teilnahmslos geschehen ließ.
Deugius zog Dattner ein Stück zur Seite. »Mann, Dattner, was haben Sie sich bloß dabei gedacht! Ein Ganove gibt Ihnen ein Alibi! Werden Sie denn nie vernünftig?«
Dattner schwieg.
Deugius schnaubte. »Wenn man etwas heimzahlen will, dann doch wohl an die richtige Adresse!«
»Ich gebe auf«, sagte Dattner dumpf.
»Das können Sie jetzt vielleicht nicht mehr, Dattner. Sie haben Geister gerufen ... Oder besser gesagt, einen Geist.«
»Ich verlasse Deutschland. Aber sprechen Sie noch nicht darüber.«
»Warum, Dattner?«
Dattner sah Elisabeth an, die seinem Blick auswich.
»Kann ich Sie jetzt allein lassen? Ich sehe Sie morgen Abend beim Stammtisch.«
Dattner sagte nichts. Elisabeth und Jutta nahmen ihn in ihre Mitte.
»Brehm wartet mit dem Wagen unten«, sagte Jutta.
»Meine Freunde waren ziemlich aufgebracht«, sagte Deugius zu Bandisch. In seinen scharfen Augen blitzte es amüsiert. »Ich sollte mich über Sie beschweren. Einigen Herren ist es wohl unangenehm, wenn da etwas ans Licht kommt, was besser der Gnade des Vergessens überlassen bliebe.«
»Sie haben mir doch den Tipp gegeben!«
»Jetzt brausen Sie nicht gleich auf, mein lieber Herr Bandisch. Sie haben mich missverstanden. Sicher, ich habe Ihnen durch die Blume zu verstehen gegeben, dass Sie sich mit der Vergangenheit von Dattners Freunden auseinandersetzen sollten. Ich meinte aber nicht die jüngere Vergangenheit.«
»Warum rücken Sie nicht damit raus, wenn Sie etwas wissen?«
Deugius seufzte. »Es sind auch meine Freunde. Und, verstehen Sie mich nicht falsch, es ist eigentlich unvorstellbar. Absolut unvorstellbar. Andererseits ...« Er wiegte den Kopf.
Bandisch spürte, wie ein Gefühl des Ärgers heiß in ihm aufstieg. »Inzwischen habe ich auch geschaltet. Ich habe Herrn Landsberg gebeten, einige Namen überprüfen zu lassen.«
»Und wo, wenn ich fragen darf?«
»Bei der Zentralstelle für die Verfolgung von NS Verbrechen in Ludwigsburg, beziehungsweise bei der Zentralen Staatsanwaltschaft für Nordrhein Westfalen in Köln.« Bandisch schob seine Hand in die Hosentasche, und als er dort keine Zigaretten fand, zog er sie wieder heraus.
»Und? Ist der Herr Staatsanwalt tätig geworden?«
»Er hat mir einen Vortrag über Kompetenzen gehalten«, antwortete Bandisch bitter.
Deugius nickte. »Das habe ich mir gedacht. Es ist ungeheuer schwierig, da etwas in Gang zu setzen. Dattner gibt auf, hat er gesagt, und ich bin geneigt, ihm dieses Mal zu glauben. Er will nach Israel. Ich weiß nicht, ob es die richtige Entscheidung ist. Er wird damit leben müssen, dass man seinen Sohn erstochen hat, weil er ein Jude war, vierunddreißig Jahre nach Auschwitz.«
»Sie glauben es also auch«, stellte Bandisch fest.
»Was glauben Sie?«, gab Deugius zurück.