21
Die Frings starrte auf den Monitorschirm, dann sah sie Dattner entsetzt an. »Aber den Mann kennen wir ja gar nicht!«, sagte sie schrill. Ihr Kopf ruckte zurück. Wie bei einem Huhn, dachte Dattner.
»Lassen Sie ihn endlich rein! Und kochen Sie mir eine Tasse Kaffee.«
Die Frings sprang auf und rannte hinaus. Dattner schielte mit einiger Skepsis auf den Bildschirm. Das kleine Bild vermittelte den Eindruck eines kompakten Muskelpakets, ein Eindruck, der sich beim direkten Anblick bestätigte. Der Mann, der sich durch die Tür schob und langsam näher kam, wirkte wie ein geballtes Bündel Energie.
Er war nur mittelgroß, aber mit seinen breiten Schultern, den schmalen Hüften und der tonnenförmigen Brust hatte er eine fast perfekte athletische Figur. Das eine Bein zog er ein wenig nach, ein Makel, den Dattner überhaupt nicht registriert hätte, wenn Walkowiak es nicht erwähnt hätte, als er vor einer Stunde anrief.
»Er ist mir verpflichtet, Herr Dattner, er wird alles für Sie tun, alles. Er heißt Alfons Vogel, seine Freunde nennen ihn die Amsel. Er war Boxer, und er hätte es im Profilager zu etwas gebracht, wenn er seinen Porsche nicht gegen einen Baum gesetzt hätte. Er hat bei dem Unfall den rechten Fuß verloren. Aber mit seiner Prothese ist er immer noch besser als die meisten Kerle mit ihren beiden Füßen ...«
»Ich bin Vogel«, sagte der Athlet. Er war zwei Schritte vor Dattners Schreibtisch stehen geblieben und deutete eine Verbeugung an, die etwas linkisch ausfiel. Er trug eine schwarze Hose, ein salatgrünes Hemd und ein weites braungrau kariertes Jackett, das, wie Dattner schätzte, einen halben Tausender gekostet hatte, seinen Träger aber dennoch wie einen Ganoven auf Knasturlaub aussehen ließ. Dazu trug er eine schwarze Krawatte.
»Nehmen Sie sich einen Stuhl«, sagte Dattner.
Vogel sah sich um, zog den Drehstuhl der Frings um den Tisch herum, warf dabei einen eher belustigten als erstaunten Blick auf den Monitor, bevor er sich setzte und die breiten, schaufelförmigen Hände auf die kräftigen Schenkel stützte. Er hatte lockiges schwarzes Haar, unter dem die Stirn niedrig wirkte, breit vorspringende Wangenknochen und eine Nase, die für das Gesicht zu groß war. Unbewusst strich er mit einem Daumen über die Nase, wobei er unüberhörbar schnaubte, und als er die Nüstern blähte, weiteten sie sich zu der Größe von Mauselöchern.
Ungeniert sah er sich im Raum um, wobei ein leicht kindliches Erstaunen in seinen kleinen Augen erkennbar wurde.
»Gefällt Ihnen etwas nicht?«, erkundigte sich Dattner.
Vogel hob die Schultern. »Ich weiß nicht ... Die Bude von 'nem Millionär hätte ich mir eigentlich ganz anders vorgestellt. Mehr Teppiche, Seidentapeten, schöne Bilder und so was. Und andere Möbel.«
Dattner lächelte. »Ich brauche nicht mehr. Und außerdem bin ich kein Millionär.«
»Na ja«, entschied Vogel, »spielt ja auch keine Rolle. Ich soll ein bisschen auf Sie achtgeben?« Er lächelte gutmütig. »Ich hab gehört, was hier passiert ist. Ist 'ne richtige Sauerei, 'nen alten Mann zu misshandeln, das ist einfach nicht drin.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Wenn ich so einen zwischen die Finger kriege ...«
Er verstummte, als die Frings mit der Kaffeekanne und einer Tasse hereinkam.
»Ich trinke nie Kaffee«, sagte Vogel. »Aber wenn Sie etwas Mineralwasser hätten ...«
Die Frings sah Dattner an, und er nickte. Die Frings holte eine Flasche und ein Glas und verzog sich wieder.
»Treue Seele, so eine, was?«, stellte Vogel fest. Er trank in kleinen Schlucken. »Ich trinke keinen Kaffee und keinen Alkohol. Ich muss mich fit halten, sonst bekomme ich Gewichtsprobleme.« Er reckte die Schultern und hob den Kopf, zeigte sein glattrasiertes Gesicht. »Für wie alt halten Sie mich, Herr Dattner?«
»Achtundzwanzig.«
»Ich werde im Sommer siebenunddreißig!«
»Alle Achtung«, sagte Dattner. »Haben Sie Zeit?«
»Sicher, jede Menge. Wie lange brauchen Sie mich denn?«
»Ich weiß es noch nicht. Ein paar Tage, ein paar Wochen ...«
Vogel griff in die Innentasche seines Jacketts und zog eine Steuerkarte heraus. »War mir ganz lieb, wenn Sie mich für 'ne Weile richtig anstellen könnten. Gibt dann keine dummen Fragen, und ich krieg wieder was auf die Rente.«
»Das können Sie nachher mit Frau Frings besprechen.«
»Ich sag Ihnen aber gleich, dass ich vorbestraft bin.«
»Das interessiert mich nicht«, beschied Dattner dem anderen unwillig. »Walkowiak hat nicht gesagt, was Sie ... erwarten.«
»Das hängt davon ab, was Sie erwarten, Herr Dattner«, sagte Vogel vorsichtig.
»Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll ... Sie sollen mich begleiten. Was sonst ist, werden wir vielleicht sehen.«
»Für so was nehme ich fünfhundert pro Tag. Rund um die Uhr, wenn Sie so wollen. Nur Freitagabend muss ich frei haben, da hab ich Training. Für Sondereinsätze geben Sie mir dann 'ne Prämie, wie Sie wollen.«
Dattner betrachtete den Mann nachdenklich, und er fragte sich, welchen Weg er beschritten hatte, seit er Bandisch den Namen des Verdächtigen entlockt hatte. Lächerlich einfach war es gewesen, die Anschrift des Verbrechers herauszufinden. Jetzt trug er eine Pistole in der Tasche, und er hatte sich mit einem vorbestraften Schläger eingelassen, der auf seinen Wink hin einen anderen »aufmischen« würde.
»Kommen Sie heute Abend um sechs wieder. Sie fahren mich nach Hause. Später werden wir jemanden besuchen.«
Vogel schlug die rechte Faust in die offene linke Handfläche. »Nur so?«, fragte er. »Oder brauche ich 'nen Ballermann?«
Dattner überlegte angestrengt. Dann meinte er: »Ich glaube, es geht so. Seien Sie pünktlich.«