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Die Stimme im Lautsprecher klang drängend. »Heide 41 und 2 von Heide 1 kommen!«
Heide 1 war die Einsatzleitstelle für den gesamten Kreis Sennefeld. Gropp nahm den Hörer des Funktelefons.
»42 für Heide 1«, sagte er. »41 ist zur Zeit nicht besetzt«, meldete er dann. Die Kollegen von Heide 41 hatten sich vor zehn Minuten bei der Wache in Uhlenbeck abgemeldet.
»42, fahren Sie zur Kreissparkasse. Alarmauslösung — Heide 33 und 51 von Heide 1. Halten Sie sich bereit . . .«
Jochen schaltete das Blaulicht an. Er scherte aus der Reihe der Lieferwagen, die sich vor der Einmündung in die Bundesstraße stauten, aus und zog links vorbei.
»Wahrscheinlich Fehlalarm«, vermutete Gropp. Er behielt den Hörer des Funktelefons jedoch in der Hand.
Jochen trat das Gas durch und schoss auf die Bundesstraße. Bis zum Zentrum von Uhlenbeck waren es vom Gewerbegebiet aus knapp zwei Kilometer Luftlinie. Aber die Kirchstraße war eine Einbahnstraße stadtauswärts, und die Rathausstraße war um diese Zeit, kurz vor halb fünf, meistens verstopft.
Ein grüner Mercedes zockelte vor ihnen her in Richtung Uhlenbeck. Als Jochen das Martinshorn aufheulen ließ, riss der Fahrer das Lenkrad erschreckt zur Seite. Jochen setzte zum Überholen an.
Ein gelber Postwagen kam ihnen entgegen. Der Fahrer blinkte warnend, bis er das Blaulicht bemerkte. Er trat auf die Bremse. Jochen fegte am Ortsschild vorbei. Die Ampel an der Ilmenauer Straße zeigte Grün.
»Sirene aus«, befahl Gropp.
Das gellende Auf und Ab, das weithin hörbar war, erstarb.
»Wenn da welche drin sind, lassen wir sie lieber abziehen«, sagte Gropp dann.
Bei den immer kürzer werdenden Abständen zwischen der Auslösung eines Alarms und der Reaktion der Polizei kam es immer häufiger vor, dass die ersten Funkwagen am Tatort eintrafen, während die Gangster noch mit dem Zusammenraffen der Beute beschäftigt waren. Wenn die Polizei mit Blaulicht und Sirene am Tatort eintraf, machten die Täter möglicherweise dicht, und es gab einen neuen Fall von Geiselnahme.
Der Haupteingang der Uhlenbecker Filiale der Kreissparkasse lag an der Brunnengasse. Die Brunnengasse war sehr schmal. Sie verband die Rathausstraße mit der Hanstedter Landstraße.
In der Brunnengasse gab es weder Park- noch Ausweichmöglichkeiten. Für die motorisierten Kunden der Sparkasse waren einige Parktaschen auf dem Platz zwischen dem Stadtcafe und der Adler-Apotheke reserviert. Zwei Zufahrten führten auf diesen Parkplatz, von dem aus ein Hintereingang in die Schalterhalle der Sparkasse führte.
»Wir sperren am besten die Durchfahrt bei der Apotheke«, schlug Jochen vor. Er musste das Gas wegnehmen, als er in die Rathausstraße einbog. Der Bahnbus blinkte links und wollte von seiner Haltestelle wieder auf die Straße zurück. Jochen blinkte, und der Bus stoppte. Jochen quetschte den Streifenwagen haarscharf zwischen dem Bus und einem Kombi hindurch.
Gropp löste den Sicherheitsgurt. Er hob den Hörer.
»Heide 1 von 42, kommen.«
»Kommen Sie, 42.«
»Erreichen Einsatzort von der Rathausstraße her. Bleiben Brunnengasse und Hanstedter Landstraße ungedeckt?«
»33 ist unterwegs. Ihre Station wurde telefonisch alarmiert. 41 ist ebenfalls unterwegs und auf Empfang.«
»41, kommen über Marien und Steinstraße«, meldete der Streifenführer des anderen Uhlenbecker Funkwagens.
»Dann kann ja nichts mehr passieren«, bemerkte Gropp. Er spähte in die Brunnengasse, als der Streifenwagen sich dort vorbeischob. »Nichts zu sehen«, sagte er zu Jochen.
Das Blaulicht kreiste unermüdlich. Passanten blickten dem Wagen nach. Weder Jochen Teske noch Gropp hatten einen Blick für sie.
Da war die Einfahrt auf den Platz zwischen den alten Fachwerkhäusern der Innenstadt. Ein R4 schob sich vorsichtig hinaus. Am Steuer saß ein junger Mann mit langen zottigen Haaren.
Als er den Streifenwagen erspähte, der hart stoppte, machte er eine Bewegung mit der Hand, die den Polizisten Vorfahrt signalisieren sollte.
Gropp deutete energisch auf die Fahrbahn.
»So ein Idiot!«, knirschte Jochen. »Vorfahrt hätten wir sowieso!«
Endlich begriff der Fahrer des R4. Ruckend bewegte sich das Fahrzeug vorwärts.
Jochen gab Gas und nahm den freigewordenen Platz in der Einfahrt ein.
Sie sahen die Rückfront des Stadtcafes vor sich. Dazwischen die Parktaschen mit den Parkuhren. Rechts die rückwärtigen Fenster und der Hinterausgang der Sparkasse.
Zwei Männer rannten aus dem Eingang und deuteten aufgeregt auf die Ausfahrt beim Stadtcafe.
Ein brauner Wagen schoss in die enge Passage. Eine Frau auf einem Fahrrad, den Korb vor der Lenkstange voll beladen, konnte nicht mehr ausweichen. Die Flanke des braunen Wagens streifte den Lenker und das Pedal und riss die Frau mitsamt ihrem Fahrrad zu Boden.
Dann verschwand der Wagen.
»Das ist ein Überfall«, sagte Gropp betont. »Na, dann wollen wir mal, mein Junge.«
Jochen knallte den ersten Gang ein und gab Gas. Im Slalom wand er sich zwischen den abgestellten Fahrzeugen her.
Der Funk meldete sich.
»Heide 1 an alle! Überfall Kreissparkasse Uhlenbeck. Mindestens zwei Täter. Achtung! Verdächtige sind bewaffnet! — 42, sind Sie am Einsatzort?«
»Ein verdächtiges Fahrzeug hat eben den Parkplatz an der Ausfahrt Hanstedter Landstraße verlassen«, meldete Gropp. »Brauner PKW, Kennzeichen oder Typ unbekannt. Nehmen die Verfolgung auf.«
»Verstanden«, bestätigte die Zentrale. »Der Kreis Buchholz wird informiert. Sie bekommen Unterstützung.«
»Das heißt, alle anderen Streifenwagen des Kreises Sennefeld stehen auf der anderen Seite von Uhlenbeck«, schimpfte Gropp.
Jochen achtete weder auf Gropp noch auf die Funkdurchsagen. Er lenkte den Passat um die Parkinsel in der Mitte herum und steuerte die Ausfahrt an. Die Frau, die mit ihrem Fahrrad gestürzt war, hatte sich aufgerafft und rannte hinter ihren Orangen her, die über den Boden kullerten. Jochen stellte das Martinshorn an. Das laute Gellen brach sich in der engen Ausfahrt.
Zwischen vier und fünf Uhr nachmittags, wenn die Betriebe im Gewerbegebiet von Uhlenbeck schlossen, war die Hanstedter Landstraße stark befahren.
Jochen stoppte auf dem Gehweg. Er spähte nach rechts und dann nach links.
Keine Spur von einem braunen Wagen.
»Links«, entschied Gropp.
Also stadtauswärts. Jochen wischte vor einem bremsenden Wagen her auf die Mitte der Fahrbahn. Dann schaltete er die Gänge hoch. Gropp hob den Hörer des Funktelefons.
»42 für Heide 1. Fahren Richtung B 4. Verdächtiges Fahrzeug nicht zu sehen.«
»Verstanden, 42. Den Fahrzeugtyp haben Sie nicht erkannt?«
»Nein«, antwortete Gropp.
Jochen blieb in der Mitte, auch als ihnen ein Traktor mit beladenem Anhänger entgegenkam. Gropp knirschte mit den Zähnen.
Im letzten Augenblick schwenkte Jochen vor einen Ford. Vor dem Streifenwagen rollte ein alter Audi her, dessen Fahrer nicht wusste, ob er anhalten oder zügig weiterfahren sollte. Ungeduldig wedelte Jochen nach links. Mehrere Wagen kamen mit hoher Geschwindigkeit entgegen.
Endlich konnte er den Lenker herumreißen. Der Passat zog an dem Audi vorbei. Hinter der nächsten Kurve lag die Straße frei vor ihnen.
Ein brauner Wagen verschwand gerade in der Kurve. Durch die Stämme der Alleebäume hindurch sah Jochen ihn für Augenblicke im Profil.
»Es ist ein Ascona«, sagte er.
»Opel Ascona«, wiederholte Gropp in den Hörer.
»Verstanden«, bestätigte die Zentrale.
»Der ist schneller als wir«, sagte Gropp zu Jochen.
Jochen packte das Lenkrad fester. Noch nie hatte er mit dem Wagen einen flüchtigen Verdächtigen verfolgt.
Nach seiner Ausbildung hatte er einige Zeit der Einsatzbereitschaft Hannover angehört. Da war er bei Demonstrationen während der Messen eingesetzt worden. Später, in einem Innenstadtrevier, war er einige Male hinter flüchtigen Taschendieben, Trunkenbolden und Automatenknackern her gejoggt. In allen Fällen war er Sieger geblieben.
Das hier war etwas Anderes. Bewaffnete Kriminelle in einem schnellen Wagen, die einen heißen Reifen fuhren. Jochen wusste nicht genau, ob er sich auf seine Nerven, seine Reflexe und seinen Mut verlassen konnte. Er durfte seinen Verstand nicht ausschalten. Er musste abwägen, ob er durch seinen Einsatz Andere gefährdete, ob er einem Verdächtigen gegenüber seine Mittel angemessen einsetzte.
Und er musste an seine Eigensicherung denken.
Niemand würde ihn tadeln, wenn er den Anderen verlor.
Er entspannte sich. »Ich möchte wissen, was die vorhaben«, sagte er.
»Die wollen zur Bundesstraße. Wohin sonst.«
»Da haben Sie doch keine Chance! Da werden sie von den Streifen aus Buchholz und Hanstedt in die Zange genommen. Und wenn die Autobahnleitstelle einen Hubschrauber schickt, ist es ganz aus.«
Jochen überholte einen Möbelwagen. Von dem braunen Ascona war nichts zu sehen. Ein Schild flog vorbei, das vor einer engen Rechtskurve warnte. Die Straße war trocken.
Jochen ließ den Fuß auf dem Gas. Mit harter Hand zwang er den Wagen durch die Kurve.
Gropp atmete flach. Er hatte sich nicht wieder angeschnallt.
»Gut«, sagte er heiser. »Gut ... Da ist er!«
Wie ein Schatten schoss der braune Ascona auf der schmalen Landstraße dahin. Jochen war sich nicht ganz sicher, ob sie dem Anderen näher gekommen waren. Aber vergrößert hatte sich der Abstand gewiss nicht.
Bis zur Bundesstraße waren es jetzt noch sieben Kilometer. Vorher kam ein Wäldchen, und dahinter die Abzweigung nach Hanstedt.
»Vielleicht fahren die nach Hanstedt«, überlegte Gropp.
»Was wollen sie denn da?«
»Den Wagen wechseln?«
»Dafür käme das Wäldchen eher in Frage . . .« Jochen nahm etwas Gas weg, als vor ihm ein kleiner Lieferwagen auftauchte und aus der Kurve ein Motorrad kam. Der Ascona hatte den Lieferwagen längst überholt.
Der Wald kam in Sicht. Ein niedriges Gehölz mit verwachsenen Kiefern und dichten Sträuchern. Ein sandiger Weg führte hinein. Vorige Woche erst war ein kühner Liebhaber mit seinem Mädchen im weichen Sand steckengeblieben.
Die Gangster hatten den Ascona, mit dem sie bei der Sparkassenfiliale vorgefahren waren, wahrscheinlich vor der Tat gestohlen. Wenn sie den Überfall vorbereitet hatten und über ein unverdächtiges Fluchtfahrzeug verfügten, mussten sie es an einem sicheren und zugleich leicht erreichbaren Platz versteckt haben, wo es beim Fahrzeugwechsel keine Zeugen gab und sie möglichst wenig Zeit verloren.
Hanstedt erfüllte diese Bedingungen nicht.
»Heide 1 an alle!«, meldete sich der Funk. »Bundesstraße 4 in Richtung Autobahn gesperrt. Autobahnleitstelle dirigiert Hubschrauber zur B 4 . . .«
»Endlich«, knurrte Gropp. In den Hörer sagte er: »Verdächtiges Fahrzeug hält Vorsprung, Fahrtrichtung nach wie vor B 4 . . .«
Der Ascona verschwand zwischen den Stämmen. In der blau verhangenen Luft war er nicht mehr zu sehen.
Die Landstraße beschrieb im Bereich des Wäldchens einen scharfen Bogen. Dahinter fiel die Straße leicht in eine Mulde ab. Es war ein gefährliches Straßenstück. Als die Kiesgrube noch in Betrieb war, war es im Bereich der Ausfahrt häufig zu schweren Unfällen gekommen.
»Die Kiesgrube!«, sagte Jochen laut.
Er schaltete zurück, als der Funkwagen in das Waldstück schoss. Der Motor heulte auf. Jochen erkannte die Biegung an den reflektierenden Warnbaken. Er bremste den Wagen herunter, und unmittelbar vor dem Scheitelpunkt der Kurve gab er wieder Gas.
Sie konnten über die Mulde hinweg bis zur Abzweigung nach Hanstedt sehen. Sie sahen den Kamin der Zuckerfabrik, die Traktoren auf den Feldern, den Bahnbus, der von Hanstedt kam.
Aber keinen braunen Ascona.
»Also die Kiesgrube«, sagte Gropp. Er griff an seine Hüfte und öffnete die Klappe über der Pistole. »Scheiße«, sagte er dann leise.
»Ist was?«, fragte Jochen.
»Nichts. Ich habe nur Schiss.«
»Ich auch«, sagte Jochen. Sein Herz hämmerte plötzlich.
Nachdem die Bundesstraßen 4 und 404 großzügig ausgebaut worden waren, war die Sand und Kiesgrube zwischen Hanstedt und Uhlenbeck stillgelegt worden. Nach all den Jahren war die Einfahrt kaum noch auszumachen. Der Wind hatte die tiefen Spurrillen mit Sand gefüllt. Zwischen den Pfosten der Schranke wucherte Gras. Der Sperrbalken war längst verschwunden.
Früher, als es in Uhlenbeck noch kein Schwimmbad gab, waren Jochen und seine Freunde an den warmen Wochenenden im Sommer oft mit ihren Fahrrädern hier herausgefahren. Am oberen Rand der Grube, zwischen Abraum und den Schienen des Schrägaufzugs, hatten sie ihre Zelte aufgeschlagen. Das smaragdgrüne Wasser tief unten in der Grube war immer sauber und kühl gewesen.
»Nicht so schnell«, warnte Gropp. Er hob den Hörer des Funktelefons und sprach schnell hinein.
Jochen hörte nicht hin. Er nahm den Fuß vom Gas und peilte die Stelle an, wo der Boden über dem Seitenstreifen fest sein musste. Er scherte zur Straßenmitte hin aus, und als er die verrosteten Schrankenpfosten über dem Gras entdeckte, gab er wieder Gas.
Der Wagen sprang über den unbefestigten Seitenstreifen. Im losen Sand drehten die Antriebsräder kurz durch, packten aber sofort wieder und zerrten den Streifenwagen vorwärts.
Jochen bemerkte die tiefen, Konturen losen Spuren im Sand, wo vor ihm der andere Wagen hergefahren war. Er stieß einen Warnruf aus, als ein heller Wagen hinter einem Schotterberg hervorkam.
Es war ein alter Opel Rekord, mit Rostflecken auf der Haube und einer verbogenen Stoßstange. Mit seinem Hinterradantrieb war der ohnehin schwerfällige Rekord dem Passat mit seinem Frontantrieb in diesem Gelände unterlegen.
Das erkannte der Fahrer auch sofort. Er schaltete den Rückwärtsgang ein. Sand spritzte unter den durchdrehenden Rädern auf. Der Wagen schlingerte und ruckte dann zurück. Jochen sah zwei helle Gesichter hinter der Scheibe, weit aufgerissene Augen, offene Münder.
Dann verschwand der Rekord wieder hinter dem Schotterberg.
Jochen fuhr im zweiten Gang weiter. Gropp sprach in den Hörer.
»42 für Heide 1. Haben Kontakt. Verdächtige sind in hellen Opel Rekord umgestiegen . . .«
Der Streifenwagen zog vor.
»Warten Sie Verstärkung ab, 42!«, klirrte die Lautsprecherstimme. »Die Täter haben bei dem Überfall mehrere Schüsse abgegeben und eine Person verletzt!«
»Verstanden«, bestätigte Gropp. »Halt an«, sagte er zu Jochen.
Der Passat schlingerte um den Fuß der Schotterhalde. Der braune Ascona erschien in Jochens Blickfeld. Der Rekord krachte mit dem Heck in die Seite des Ascona. Der leichtere Wagen flog herum und drehte mit dem Heck auf den Passat zu.
Jochen wirbelte das Lenkrad herum und gab Gas. Knapp vor dem heran schlitternden Ascona wischte er rechts weg.
Die Vorderräder gerieten auf den festeren Untergrund am Rand der senkrecht in die Grube abfallenden Wand. Sie rissen den Wagen vorwärts. Gropp stieß einen scharfen Laut aus, als er plötzlich über den Rand hinweg in die Tiefe blickte.
Jochen schlug die Räder ganz ein. Das Heck des Streifenwagens kam der Kante noch näher, aber der Wagen schwang fast auf der Stelle herum.
Der schwere Rekord pflügte auf die Ausfahrt zu. Der Ascona stand quer zwischen dem Polizeiwagen und dem Rekord. Jochen sah durch die Scheiben des Ascona hindurch, sah, wie ein Seitenfenster des Rekord herunterfuhr. Und er sah die Bewegung hinter dem Fenster, sah dunkles Metall.
Da kam der Passat auch schon hinter dem Ascona hervor, der ihn eben kurz gedeckt hatte, und die Scheibe neben Jochen löste sich förmlich auf und überschüttete ihn mit einem Regen feinster Glassplitter.
»Verdammt, die schießen!«, brüllte Gropp.
Jochen hatte den Schuss nicht einmal gehört. Er nahm den Fuß vom Gas und warf sich zur Seite, auf Gropp. Der Motor blieb sofort stehen. Gropp entriegelte die Tür, sie flog auf, und die beiden Männer rollten hinaus.
Jochen hörte den Motor des Rekord heulen und die Räder im Sand pfeifen.
»Sie kommen nicht weg«, sagte Jochen. Er presste sich gegen das Hinterrad des Funkwagens und versuchte, seine Pistole herauszubekommen.
Gropp hatte seine Pistole in der Hand. »Bist du in Ordnung, Junge?« fragte er.
»Ja, ja!«
»Wenn die Kavallerie aus Buchholz nicht bald kommt, müssen wir selbst was tun«, meinte Gropp.
»Sie kommen nicht weg«, wiederholte Jochen.
Das Getriebe des Rekord krachte hörbar, dann heulte der Motor auf. Das Geräusch kam erschreckend schnell näher.
Gropp schob sich an der Flanke des Passat hoch. Keuchend stieß er die Luft aus, dann knallte er die Hand mit der Pistole auf die Motorhaube.
Jochen schoss ebenfalls in die Höhe.
Der Rekord rumpelte rückwärts, wurde dabei immer schneller. Gropp schrie irgend etwas. Es hörte sich an wie: »Polizei! Bleiben Sie stehen, oder ich schieße!«
Jeden Augenblick musste der schwere Opel in die Seite des Streifenwagens krachen. Und den leichteren Passat auf den Abgrund zu schleudern.
Jochen sah über die Schulter zurück. Nur drei, vier Meter trennten sie von der Kante. Er spürte die Angst tief in seinem Inneren. Weg, schrie es in ihm. Spring zur Seite!
Jochen fuhr wieder herum, als Gropp einen Schuss abgab. Einen ungezielten Warnschuss. Der dünne, trockene Knall war bei dem Lärm, den der Opel machte, kaum zu hören.
Gropp zielte jetzt auf die Heckscheibe des Opel.
Da sprang Jochen ihn von der Seite an. Gropp wurde zwei Meter zur Seite geworfen. Jochen stürzte und rollte sofort weiter.
Knirschend grub sich das Heck des Opel in die Seite des Passat. Der Passat rutschte ein Stück auf den Abhang zu. Der Fahrer des Opel ließ den Fuß auf dem Gas. Das Vorderrad des Streifenwagens bewegte sich an Jochens Gesicht vorbei.
Er sprang auf. Geduckt kam er neben der rechten Tür des Opel hoch. Er riss sie auf.
Ein Kopf ruckte herum. Ein weißes, angespanntes Gesicht, die Augen glitzernd, die Lippen gespannt wie Wolfslefzen.
Jochen packte zu. Seine Finger gruben sich in eine olivfarbene Bundeswehrjacke, schlossen sich und zerrten den Mann heraus. Er schleuderte ihn zu Boden. Die Tür des Opel traf Jochen an der Hüfte. Der verdammte Wagen fuhr immer noch.
Jochens rechte Hand fuhr in die Höhe. Über den Lauf der Pistole hinweg sah er in die Augen des Fahrers.
»Fuß auf die Bremse, Hände aufs Lenkrad!«, schrie er.
Der Wagen stoppte endlich.
Jochen ließ den Fahrer nicht aus den Augen. Er hatte nicht vergessen, dass die Kerle Waffen besaßen.
Er sah sich nicht um, als Gropp dem anderen Gangster Handschellen anlegte, und er blickte nicht auf, als der Hubschrauber der Autobahnbereitschaft aus der Luft herabstieß und auf dem ausgefahrenen Weg aufsetzte. Die Rotoren trieben feinen Sand gegen das Blech der Fahrzeuge.
Er löste sich erst aus seiner verkrampften Haltung, als Kollegen den Fahrer hinter dem Lenkrad hervor zerrten und abführten.
Dann erst sah er sich nach dem Streifenwagen um.
Der Passat saß auf der Kante des Steilhangs auf. Sein rechtes Hinterrad hing über dem Abgrund.
Da erst begannen Jochen Teskes Knie zu zittern.