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Rechtsanwalt Dieter Deugius sah sich suchend um. Wie immer am frühen Abend war es bei Schuhmacher sehr voll.

»Hallo, Deugius, hier sind wir.«

Deugius entdeckte den Sprecher vor einer Nische. Hubert Landauer war aufgesprungen und winkte. Deugius steuerte die Nische an, in der er außer Landauer auch Ruda und Söntgen erkannte.

»Hallo«, sagte er leicht verwundert. »Unser Stammtisch ist ja fast komplett.« Er sah die Männer der Reihe nach lächelnd an.

»Botthof musste heute zeitig nach Hause, seine Frau ist krank. Und Dattner war schon weg, als ich kurz nach sechs bei ihm anrief«, erklärte Landauer. Er rieb seine weichen weißen Hände aneinander und versuchte zu lächeln. »Immerhin gut, dass Sie gekommen sind.«

»Wollen Sie den Stammtisch auf dienstags verlegen? Ich habe um acht eine Besprechung mit einem Klienten.«

»Wir brauchen uns nicht lange aufzuhalten«, meinte Ruda. »Vielleicht ist es sogar gut, dass Dattner erst mal nicht dabei ist.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Deugius.

»Er schnüffelt in unserer Vergangenheit herum!«, stieß Landauer hervor.

»Dattner?«

»Dieser Polizist. Bandisch.«

»Und? Haben Sie etwas zu verbergen?«

Landauers Gesicht lief rot an. »Ich kenne Ihren unterentwickelten Sinn für Humor, Deugius, aber mir ist nicht nach Scherzen zumute.«

»Nun mal der Reihe nach. Was ist geschehen? Und was erwarten Sie von mir?«

»Dieser Polizist überschreitet bei weitem seine Kompetenzen«, sagte Söntgen.

»Ich komme immer noch nicht mit«, sagte Deugius. Er sah Söntgen an, dessen Augen rote Äderchen aufwiesen.

Landauer deutete auf Ruda. »Er hat Rudas alte Geschichte mit der Baufinanz ausgegraben, und er wusste auch, dass ich Schwierigkeiten hatte. Weiß der Teufel, welche Schlüsse er daraus zieht.«

»Deshalb brauchen Sie sich doch nicht zu beunruhigen!« Deugius lächelte beschwichtigend. Er wandte sich wieder Söntgen zu. »Und was hat er über Sie herausgefunden?«

»Über mich gibt es nichts herauszufinden. Wenn Dattner hier wäre, würde ich ihn fragen, ob er dahintersteckt.«

»Das können Sie ja immer noch. Morgen, oder spätestens Freitag.«

Ruda räusperte sich. »Wir haben uns gedacht, Sie könnten sich bei den Vorgesetzten dieses Bandisch beschweren.«

»Ich müsste mich da an den Staatsanwalt wenden, aber das spielt prinzipiell keine Rolle. Was soll ich als Beschwerdegrund nennen?«

»Sie sind doch der Jurist!«, rief Landauer aufgebracht. »Es muss doch irgendetwas geben!«

»Ich werde mit ihm sprechen. Mit Bandisch. Einverstanden?«

»Wissen Sie, welchen Eindruck ich habe?«, fragte Söntgen. »Dieser Bandisch interessiert sich gar nicht für den letzten Überfall, sondern viel mehr für den Mord.«

»Er sieht da einen Zusammenhang, da ist es also durchaus konsequent ...«

»Aber er gehört doch nicht dem Morddezernat an. Die Mordkommission hat meines Wissens die Ermittlungen nicht auf den Raubüberfall der vorigen Woche ausgedehnt. Oder?«

»Soviel ich weiß, stimmt das.«

»Also hält man nichts von Dattners Behauptung, einer der Täter sei auch damals dabei gewesen«, stellte Landauer fest.

»Dattner hat den Mann nicht wiedererkannt«, sagte Söntgen entschieden. »Also wird der Verdächtige doch weder für die eine noch für die andere Sache beschuldigt werden können, oder?«

»Wenn sich keine neuen Anhaltspunkte ergeben, nein.«

»Was könnten das für Anhaltspunkte sein?«, erkundigte sich Ruda.

»Neue Indizien. Zum Beispiel Teile der Beute in seinem Besitz. Oder das Geständnis eines Komplizen, der ihn gleichzeitig mit belastet. Oder sein eigenes Eingeständnis.«

»Da müsste er ja schön blöd sein!«, lachte Landauer.

Deugius wiegte den Kopf. »Das will ich nicht so sagen. Um vielleicht einer Mordanklage zu entgehen, könnte ein Beschuldigter für eine andere Tat, die nicht mit einer so hohen Strafe wie bei Mord versehen ist, ein Geständnis ablegen. Und sich vielleicht sogar noch als Zeuge gegen seine Komplizen oder Mittäter zur Verfügung stellen.«

»Was glauben Sie«, wandte sich Ruda an den Rechtsanwalt. »Waren die Männer, die Bandisch ermittelt hat, die Täter?«

»Ich glaube, ja«, nickte Deugius. »Und ich glaube auch, dass der eine damals dabei war. Er war damals ein Mittäter, der dritte Mann, den die anderen aus irgendwelchen Gründen gebraucht haben. Als ortskundigen Fahrer, zum Beispiel. Nachdem es damals zu dem Mord gekommen ist, haben die Täter die Beute nicht angerührt. Oder der Mann ist ohnehin nur pauschal bezahlt worden. Und weil es damals so verhältnismäßig gut geklappt hat, aus der Sicht der Täter, denn sie sind ja bis heute nicht ermittelt worden, hat er sich gedacht, das kann man also wiederholen. Und als er einen Komplizen gefunden hatte, der bereit war, mitzumachen, hat er es getan. So sehe ich die Sache.«

»Was ist das denn für ein Typ?«, fragte Söntgen. »Der muss doch besonders kaltschnäuzig und abgebrüht sein!«

»Ich kenne ihn nicht, nicht mal seine Akte. Ich habe nur gehört, dass es sich um einen Zuhältertyp handelt, der wegen verschiedener Delikte vorbestraft ist.«

»Ein Zuhälter!« Söntgen schüttelte angewidert den Kopf. »Mein Gott, dieses Land verwandelt sich langsam in eine Kloake!«