40. KAPITEL

Selbstmord, begriff Jameson. Als er den Raum betrat, entdeckte er eine offene Flasche Whiskey und ein umgefallenes Glas auf dem Schreibtisch. Daneben lag eine leere Schachtel Schlaftabletten. Tiefe Trauer übermannte Jameson. Die Szene vor seinen Augen schien Daniels' Erpressungsvorwürfe zu bestätigen, was für Jameson noch schwerer zu akzeptieren war. Niemand hätte Frank einen Heiligen genannt, trotzdem hatte er immer wie ein anständiger Kerl gewirkt.

Während er um den Schreibtisch ging, wurde Jameson bewusst, dass er die Leiche seines Bruders nur wenige Tage zuvor entdeckt hatte. Billy und Frank hätten nicht unterschiedlicher sein können, weder im Leben noch im Tod. Obwohl er wie ein Baby zusammengerollt auf dem Badezimmerboden gelegen hatte, schien Billy friedlich gestorben zu sein. Franks Gesicht war angstverzerrt. Jameson mochte ihn kaum ansehen.

In dem schwachen Licht hatte es so ausgesehen, als hätte Frank auf den See hinausgeschaut. Bei näherer Betrachtung wirkte es, als sei der Teufel persönlich hinter Frank her gewesen. Der Anblick, der sich Jameson bot, ähnelte Van Goghs grotesken Selbstportraits. Dieser unheimliche, starrende Blick und der verzerrte Mund, der jetzt offen stand. Der Speichel, der auf dem Kinn klebte.

Er ist noch nicht lange tot, stellte Jameson fest. Das Blut hatte aufgehört zu zirkulieren; wegen der aufrechten Position hatte es den Kopf als Erstes nicht mehr erreicht. Das erklärte Franks fleckiges Gesicht. Jameson schätzte, dass weniger als eine Stunde vergangen war.

Um sein Entsetzen zu beenden und dem Mann Frieden zu geben, hätte Jameson Frank gern die Lider geschlossen. Aber er konnte nicht. Wenn er die Polizei erst mal verständigt hätte, würde sie darauf bestehen, dass nichts angefasst würde. Jameson war kein Polizist, doch er hatte schon viele Fälle untersucht. Er kannte die Fallstricke.

Jameson warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er sollte Lane anrufen und einen Weg finden, ihr die Nachricht beizubringen. Irgendetwas hielt ihn davon ab. Frank war tot, und trotzdem schien in dem Zimmer etwas erledigt, beendet werden zu müssen. Sogar Franks Haltung drückte das Unmittelbare eines Schnappschusses aus, eine Momentaufnahme, bevor es weiterging.

Jameson konnte Franks Arme und Hände sehen, den Nacken. Die Muskeln waren nicht weich, sie schienen immer noch angespannt zu sein. Jameson berührte die Haut und fühlte Wärme. Er hatte richtig geraten – Frank war noch nicht lange tot. Trotzdem war es seltsam, dass er nicht vornüber gefallen war, sich nicht gelöst hatte von dem, was ihn zu diesem Akt der Selbstzerstörung getrieben hatte.

Warum hatte Frank das getan? Die Angst vor der Bloßstellung vielleicht. Scham. Schuldgefühle. Jameson hasste die Vorstellung, dass Menschen sich zu so einem Extrem drängen ließen, und das aus all den falschen Gründen. Normalerweise konnten sie nicht mit dem Gefühl leben, versagt zu haben, tatsächlich waren sie doch nur an dem Versuch gescheitert, den Ansprüchen anderer zu genügen. In Billys Fall lag es an den Erwartungen des Vaters. Harlan Broud war so darauf versessen gewesen, die Illusion von Güte und Frömmigkeit zu bewahren, dass er dafür seinen Sohn geopfert hätte – und Jameson hatte seinen Teil dazugetan.

Einen Rebellen, der ihn in Verlegenheit brachte und ihm vor Augen führte, dass er nicht Gottes Abgesandter auf Erden war, konnte Harlan nicht ertragen. Er hatte eine sanftmütige Frau geheiratet, die ihn bis zum Tage ihres Todes anbetete, als ihr Körper von Krebs zerfressen war. Außerdem gab es den zweiten Sohn, der Zeuge von Billys Fehltritten geworden war und deshalb mehr als bereit war, an die Stelle des missratenen Erstgeborenen zu treten.

Jameson hatte seine Rolle akzeptiert, ohne zu begreifen, dass dies dem Selbstbild seines Vaters diente. Egoistisches Arschloch. Warum war Harlan nicht gestorben? Er hatte seinen unschuldigen Sohn an den Rand des Selbstmords getrieben und die Gefühle seiner zarten Frau an jedem Tag ihrer Ehe verletzt. Warum waren es nie die Arschlöcher, die jung und auf tragische Art und Weise ums Leben kamen?

Das Leben ist fair, überlegte Jameson. Nur die Menschen nicht, sie sind Schweine, selbstsüchtig und rücksichtslos, wenn es um ihr Ego geht.

Die Schatten wurden länger und dunkler, sie tauchten den Raum in wabernde Dunkelheit. Jameson lief die Zeit davon. Sosehr er den Gedanken hasste, Franks Ruhe zu stören und seine Würde selbst im Tod noch zu verletzen, Jameson musste den Raum absuchen. Das könnte seine einzige Chance sein, das Video zu finden, wenn es hier wäre.

Aus der Schachtel auf dem Schreibtisch zog er ein Kleenex und benutzte es wie einen Handschuh, um keine Spuren zu hinterlassen. Mit den Schubladen wollte Jameson anfangen, aber er konnte die erste nicht öffnen. Auf dem Boden lag eine Kassettenhülle. Es sah aus, als ob sie Frank aus der Hand gefallen und neben seinen Stuhl gefallen war.

"Oh, Gott", flüsterte Jameson.

Er kniete sich hin, um einen genaueren Blick darauf werfen zu können. Sobald er in der Hütte fertig sein würde, hatte er Lane anrufen wollen. Vielleicht sollte er stattdessen die Polizei anrufen. Als er den Aufkleber auf der Hülle las, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Was wenn Mattie recht hatte und Lane in der Erpressungsgeschichte mit Frank unter einer Decke steckte? Lane hatte Jameson an diesen Ort geschickt – damit er die Leiche fände? Wenn Frank sich entschlossen haben sollte, die Wahrheit zu sagen und das Band herauszugeben, hatte Lane ihn womöglich umgebracht, bevor er seine Ehefrau belasten konnte.

Andererseits gab es viele Leute, die hinter dem Band her waren, wie zum Beispiel die Mitglieder des Sexrings, wenn er denn existierte. Jameson wusste, dass Mattie die Kassette haben wollte. Sie hatte es ihm offen gesagt. Ihre zwei Freundinnen hatten ebenfalls ein Interesse daran. Und das träfe außerdem auf jeden zu, der ein Mitglied des Sexrings schützen wollte.

Einen Abschiedsbrief hatte Jameson nicht entdeckt. Das Blut gefror ihm beinah in den Adern. Hatte er den Mörder dabei gestört, Frank zu töten?

Jameson griff nach dem Band, aber er war nicht schnell genug. Ein Schlag, stark genug, seinen Schädel zu zertrümmern, traf ihn von hinten. Jamesons letzter Gedanke galt den Leichen, der seines Bruders, Franks und seiner eigenen. Dann sah er noch ein leuchtendes rotes Feuer und den Fußboden, der auf ihn zuzukommen schien. Der Schmerz war unbeschreiblich, bevor Jameson nichts mehr spürte.

"Dir fällt gleich der Finger ab. Wen rufst du eigentlich an?"

Mattie klappte ihr Handy zu. "Jameson. Er geht nicht ran."

Breeze warf ihr einen misstrauischen Blick zu. "Gibt es etwas, das du mir verheimlicht hast? Dich beschäftigt heute Abend nur ein Gedanke, und der gilt Jameson. Hier, nimm das und entspann dich."

Breeze goss duftenden Tee in eine Porzellantasse und reichte sie Mattie. Gerade war Breeze zu Mattie ins Wohnzimmer gekommen, um vor dem Schlafengehen noch etwas zu plaudern, und hatte beim Roomservice ein Betthupferl bestellt – Ingwerkekse und eine Kanne ausgezeichneten Tee. Wahrscheinlich wollte Breeze damit ihre Behauptung stützen, dass das "Vier Jahreszeiten" alles konnte. Mattie hatte auf Champagner und Schokolade gehofft.

"Es gibt tatsächlich etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe." Mattie setzte sich gerade hin und nahm die Tasse Tee in einer Haltung entgegen, die Miss Rowe zur Ehre gereicht hätte.

"Und was?" Breeze schenkte sich selbst eine Tasse ein, hielt die Kanne professionell und ließ Mattie dabei nicht aus den Augen.

In beiläufigem Tonfall sagte Mattie: "Er hilft uns."

"Jameson Cross hilft uns? Das Letzte, was ich mitbekommen habe, war, dass er uns als Serienkiller bezeichnet hat."

"Er scheint seine Meinung geändert zu haben." Mattie nippte formvollendet an ihrem Tee, genau wie man es ihr beigebracht hatte: die Lippen leicht geschürzt, die Augenbrauen entspannt und unbewegt. In der linken Hand hielt Mattie die Untertasse, die teure Porzellantasse in der rechten und berührte den zarten Griff nur mit Daumen und Mittelfinger. Nur dumm, dass sich ihre Finger vom Schweiß klebrig anfühlten.

Wohlerzogene junge Damen glühen vor Aufregung. Sie transpirieren nicht, und ganz sicher schwitzen sie nicht. Sie erröten, sie haben rote Wangen, sie glühen.

Das war einer von Matties Lieblingssprüchen – den sie von Miss Rowe gelernt hatte.

"Mattie, hast du mich gehört?"

Anscheinend hatte Breeze genug von der Teezeremonie. Das kostbare Geschirr landete mit einem nicht besonders eleganten Klappern auf dem Silbertablett. "Erzähl mir mehr von seinem Sinneswandel. Hat er irgendwo unterhalb der Gürtellinie begonnen? Du warst nicht mit ihm im Bett, oder?"

Oh doch, und wie. Mattie setzte die Tasse ab, bevor sie ihr aus den schwitzigen Fingern gleiten konnte. Dabei bemühte Mattie sich um einen feindseligen Gesichtsausdruck, der Breeze den Wind aus den Segeln nehmen sollte.

Mit angestrengter Stimme sagte sie: "Hör ein für alle Mal damit auf, okay? Es dreht sich nicht alles um Sex. Jameson hat sich angeboten, mit Frank O'Neill zu sprechen. Vielleicht kann er erreichen, dass der Sexring in der Geschichte des Polizeichefs möglichst heruntergespielt wird oder dass man zumindest unsere Namen heraushält."

"Sprich weiter vom Sexring und sag mir noch mal, dass sich nicht alles um das Eine dreht. Aber um auf den Punkt zu kommen, warum sollte auch nur einer der beiden uns helfen wollen?"

"O'Neill und Jameson sind seit Jahren befreundet. Und Jameson ist genauso daran interessiert, den Mörder seines Bruders zu finden wie wir. Er kooperiert sogar mit mir, und wir alle sollten verdammt dankbar dafür sein."

Breeze wirkte nicht dankbar, und Mattie konnte nicht behaupten, dass es sie überraschte. Schließlich entsprach Jameson nicht dem Bild des guten Samariters, Mattie verstand die Motive für sein Entgegenkommen auch nicht ganz. Von ihrem Verhältnis hatte sie niemandem erzählt, und das aus guten Gründen. Jane und Breeze würden sie für verrückt erklären … was sie war.

"Neuigkeiten über David Grace?", fragte Mattie in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können. Sie hatte Breeze bereits ihre Überlegungen zu Cynthia Grace' Tod und Miss Rowes Urlaub erzählt. Breeze hatte versprochen, sich darum zu kümmern.

"Grace ist ein Zauberer", sagte Breeze. "Meine Leute hatten noch nie so viele Probleme, Hintergrundinformationen zu sammeln. Die Recherchen drehen sich im Kreis, es gibt viele Spuren, die ins Nichts führen. Keine falschen Identitäten, aber überall falsche Spuren. Mein Sicherheitsexperte glaubt, dass Grace falsche Lebenswege konstruiert hat, so wie manche Menschen Scheinfirmen aufbauen. Es ist unmöglich, zu erkennen, was echt ist und was nicht. Eine echte Herausforderung." Sie winkte ab. "Aber der stelle ich mich natürlich gern."

Das Klingeln von Matties Handy ließ beide Frauen aufschrecken. Mattie klappte es auf und sah auf das Display. Es war Jane. Gott sei Dank.

Nachdem Mattie auf den Knopf gedrückt hatte, bemühte sie sich, ein "Hallo" herauszubringen.

"Mattie, wir haben hier ein echtes Problem."

"Jane, vielleicht ist es nicht so schlimm, wie du denkst."

Aus dem Augenwinkel beobachtete Mattie, wie Breeze nach der Fernbedienung griff und den Fernseher einschaltete. Wie nonchalant sie sich angesichts dieser Katastrophen verhielt. Vielleicht sollte Breeze Janes Anrufe entgegennehmen, dachte Mattie. Das wäre interessant.

"Es ist sogar schlimmer", fuhr Jane for. "Du hast keine Ahnung, wie schlimm, aber ich kann jetzt nicht ins Detail gehen. Du und Breeze müsst hierherkommen, sofort, heute Abend noch, wenn möglich. In der Zwischenzeit überlegt euch schon mal eine Strategie für das denkbar schlimmste Szenario. Ich muss euch wohl nicht erzählen, dass Daniels' Geständnis nur die Spitze des Eisberges ist."

Nach Breezes verhaltener Reaktion war Mattie nicht sicher, ob sie Jamesons Hilfe jetzt erwähnen sollte. Sie sprach in einem beruhigenden Tonfall. "Eine Strategie für das schlimmste Szenario. Gute Idee. Ich werde darüber nachdenken."

"Mattie?" Janes Stimme hatte einen leisen, verzweifelten Ton angenommen. "Bitte beeil dich. Kannst du Breeze finden? Wie schnell könnt ihr hier sein?"

"Ich bin hier bei Breeze im 'Vier Jahreszeiten'. Wir können den ersten Flug nach D. C. nehmen. Vielleicht gibt es auch einen Nachtflug."

"Gott sei Dank", sagte Jane. "Mein Leben ist hinüber, Mattie. Es ist alles vorbei."

Ein Piepston drang in Matties Ohr. Jane hatte aufgelegt, doch ihre panischen Worte hallten mit einer solchen Kraft in Mattie nach, dass sie sich aufsetzte und alarmiert aufkeuchte. "Wovon redet sie bloß?", flüsterte sie laut.

Während Breeze ins Fernsehprogramm versunken dasaß und sie nicht hörte, sank Matties vornüber. Die Ellbogen auf den Knien, stützte sie mit den Handflächen ihre Stirn. Mattie hatte keine Energie, um zu versuchen, sich Janes Anruf zu erklären. Die Müdigkeit, die sie überfiel, schmerzte in jeder Zelle ihres Körpers. Als Mattie daran dachte, noch einmal quer durch das Land zu fliegen, stieg Verzweiflung in ihr hoch.

Wo ist Jameson? Warum hat er nicht angerufen? Und was zur Hölle ist mit Jane los?

"Mattie, sieh dir das an, sieh dir das an!" Um Matties Aufmerksamkeit zu erregen, winkte Breeze mit der Fernbedienung. Sie deutete auf den Fernseher, wo von dem Selbstmord einer bekannten Persönlichkeit berichtet wurde. "Meinst du den Frank O'Neill?"

Auf dem Bildschirm verfolgten sie, wie eine Gruppe Sanitäter eine Trage aus einer rustikalen Holzhütte trug. Etwas, das wie die Leiche eines Mannes aussah, war von Kopf bis Fuß verhüllt. Die Reporterin des lokalen Nachrichtensenders brachte ihre Bestürzung und ihr Beileid für alle Hinterbliebenen, Freunde und Kollegen des Staatsanwaltes von Marin County zum Ausdruck.

"Nach Ansicht der Ärzte handelt es sich hier scheinbar um einen Selbstmord", erklärte sie, gegen den Lärm der Feuerwehrwagen anschreiend. "Wir wissen nicht, warum ein öffentlicher Bediensteter, der mit so viel Hingabe bei der Arbeit war, seinem Leben auf diese Weise ein Ende hätte setzen sollen, aber es ist ein trauriger Tag für uns alle."

Mattie lauschte den Nachrichten, verblüfft und schweigend. Sie wartete darauf, dass die Frau von dem Fund eines Videos berichtete, das die Identität jedes Mannes und jeder minderjährigen Schülerin des Sexrings enthüllte. Mattie wartete darauf, dass ihr Name genannt würde.

Um zu sehen, ob sie irgendwelche Polizeiautos entdeckte, warf Mattie einen Blick in den Rückspiegel. Mit einem gemieteten Mercedes raste sie in einer derartigen Geschwindigkeit von der Golden Gate Bridge, die jede Radarfalle hätte explodieren lassen müssen. Mattie musste zu Jameson fahren und pünktlich wieder zurück am Flughafen sein, um mit Breeze den Nachtflug zu nehmen.

Jameson ging immer noch nicht ans Telefon, und Mattie wusste nicht, ob er versucht hatte, mit Frank O'Neill zu sprechen. Vielleicht wusste er noch gar nicht, was passiert war. In den Nachrichten hatte es geheißen, dass es scheinbar Selbstmord war. Vor dem Hintergrund von Daniels' Erpressungsvorwürfen ergab es einen traurigen Sinn, aber Mattie hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Bei fast allem kam es ihr so vor. Die Menschen benahmen sich merkwürdig, sogar ihre zwei engsten Freundinnen. Breeze war in ihr Haus eingebrochen und hatte Mattie fast zu Tode erschreckt – und das Geschehen ließ Breeze seltsam unberührt, selbst für ihre Verhältnisse.

Mattie sagte sich, dass Breeze sich zufällig in der Nacht in ihrem Haus aufgehalten hatte, in der eingebrochen worden war. Trotzdem hatte es einen komischen Nachgeschmack. Breeze brachte nichts aus der Ruhe, wohingegen für Jane alles eine Katastrophe darstellte, das entsprach gar nicht Janes Art. Mattie fürchtete, dass Jane in echten Schwierigkeiten steckte – und vielleicht jahrelang etwas verschwiegen hatte.

Mattie gab etwas weniger Gas. In zu kurzer Zeit passierte zu viel. Als ob sie auf dunkler Straße auf eine Gestalt zurasen und nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte, so fühlte sich Mattie. Und das Schlimmste war: Irgendwo da draußen gab es ein Video, das wie eine Landmine darauf wartete, zu explodieren, sobald jemand drauftreten würde.

Wer wird die nächste Leiche sein? Bitte nicht Jameson.

Als sie die Einfahrt hinauffuhr, brannte kein Licht in seinem Haus. Mattie ließ den Motor laufen und rannte zur Haustür. Nichts tat sich auf das Klingeln hin. Mattie drückte die Klingel mehrfach und fragte sich, wo zur Hölle sie Jameson finden sollte. So früh würde er nicht zu Bett gegangen sein, und sein Auto stand nicht in der Einfahrt.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Die Zeit rannte ihr davon. Wenn sie den Nachtflug verpasste, müsste sie bis zum nächsten Morgen warten.

Sorgenvoll lenkte Mattie den Mercedes zurück auf die Straße. Als sie sich auf den Weg zum Flughafen machte, ging sie im Geiste alle zurückliegenden Ereignisse durch. Vielleicht fand sie eine Verbindung, ein Zeichen oder ein Muster. Mit einem Mal stand es ihr klar vor Augen: Etwas jenseits des Begreifbaren war im Gang. William Brouds Behauptungen über eine Verschwörung schienen Mattie jetzt sehr realistisch zu sein, möglicherweise handelte es sich um eine Verschwörung, die über alles hinausging, was sie sich vorstellen konnte.

Als alles begonnen hatte, schien Jameson der Einzige zu sein, dem Mattie nicht trauen konnte. Jetzt, so unmöglich es schien, deutete alles darauf hin, dass er der Einzige war, dem sie vertrauen konnte.