Mitte Februar 2010, Dresden
Victor Ivan Kurostzov war durch und durch Soldat. Ehemals Fremdenlegionär, im Moment allerdings freischaffender Spezialist für Alles. Für Alles das viel Geld brachte! Victor liebte es „einfach und effizient“. Aufträge nur telefonisch, Cash oder Nummernkonto in der Schweiz – 50 % vorab – 50 % bei Lieferung, keine Fragen, keine Namen! Dann, nach Auftragserledigung: ab ins Puff, dann Urlaub, dann nächster Auftrag. Skrupel: keine. Moral: keine, Gewissen: keines, Loyalität: ja, dem Geld gegenüber. Er war durch und durch Profi!
Victor Ivan musste sich um Aufträge nicht sorgen. Er war gut im Geschäft. Kumpels aus der Fremdenlegion, vom Ex-KGB, Stammkunden – es kamen immer neue Aufträge herein. Mal Personenschutz, mal Informationsbeschaffung, mal Infiltration, mal Einschüchterung, mal Geld eintreiben, mal finale Endlösungen für problematische Zielobjekte. Sogar eine Entführung war schon mal dabei. Immer abwechslungsreich, immer mit vollem Einsatz, ohne Netz und doppelten Boden – und wichtig: sehr gut bezahlt! Es wurde Victor Ivan nie langweilig.
Er war vielseitig und mochte sein unkompliziertes Leben. Solange der Euro/Dollar-Betrag stimmte, war das WAS eines Auftrags egal. Seine Preisliste war variabel. Abhängig von Job, Risiko, Zeitaufwand, Angebot und Nachfrage und manchmal vom Spaßfaktor! Preise wurden vorab vereinbart und waren dann nicht mehr verhandelbar. Aufträge waren nicht stornierbar. Rückzahlung von Vorauskasse nicht möglich. Nicht bezahlen nach Auftragserledigung war sehr ungesund und verkürzte durchaus die Lebensdauer des Auftraggebers. Victor Ivan war Profi und arbeiten ohne die entsprechende Bezahlung gehörte nicht zu seinem Repertoire. Humor auch nicht! Versagen war nicht akzeptabel! Versagen kam bei ihm nicht vor! Victor Ivan hatte einen guten Ruf! Das war sein Kapital für diskrete Empfehlungen.
Wer ihn beauftragte, sollte genau wissen, was er wollte. Er bekam genau das geliefert, wofür er bezahlte. Ganz sicher! Seinen derzeitigen Auftraggeber kannte Victor nicht persönlich. Aber er wusste sehr genau, wer es war. Das war seine Rückversicherung. Trotz aller paranoiden Geheimniskrämerei dieses Auftraggebers wusste Victor vom ersten Tag an, wer ihn engagiert hatte. Sein Auftraggeber kam vor etwa drei Jahren auf Empfehlung über die Ex-KGB-Schiene. Seitdem hatte Victor Ivan hatte schon gut zehn Aufträge für ihn erfüllt. Kleine wie auch Große, manchmal über mehrere Wochen, eine finale Endlösung vor Kurzem, irgendein Italiener im Gefängniskrankenhaus.
Bezahlt wurde immer Cash über wechselnde, geheime Briefkästen. Keine persönlichen Kontakte. Nur kurze Auftragsabsprachen. Er bekam immer eine SMS, Prepaid oder Wegwerfhandy, Rück-SMS, ob Interesse bestand – maximal eine Minute Telefonat. Details im Briefkasten. Jeder Auftrag, solange er auch dauerte, hatte seine eigene Telefonnummer. Dies war nun die Fortführung eines früheren Observierungsauftrages. Er hatte diese Zielperson schon vor Weihnachten beobachtet, aber durch eigene Unvorsichtigkeit auf dem Münchner Weihnachtsmarkt verloren. Ziel dieser Obervierung: Belastendes Material sammeln – zwei eindeutige Digitalvideos! Unterschiedliche Akteure. Zielperson: männlich, 42 Jahre, vereinbarter Preis: 12.000,- Euro. Kohle stimmte – Spaßfaktor ging gerade noch so durch.
Victor Ivan war soweit zufrieden. Ein Video war schon im Kasten, gedreht vor ein paar Wochen in Augsburg. Das Zweite war gerade im Entstehen – im Nachbarraum. Die kleine digitale Kamera surrte vor sich hin und zeichnete fleißig auf. Filmszene: Schwulensex. Mehr als eindeutig!
Der Stricher war seine 500,- Euro Prämie wert. Die Zielperson war so unglaublich scharf, dass sie Victor wohl nicht mal bemerkt hätte, wenn er direkt daneben gestanden und gefilmt hätte. Aber schwuler Sex, das war nicht so sehr Victor Ivans Ding. Es reichte ihm vollkommen, den Film nachher bearbeiten und schneiden zu müssen.
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Warum machte er das nur? Franz war glücklich verheiratet, hatte zwei kleine Kinder, Haus, Autos, Hund … und dennoch. Immer wieder wurde er rückfällig! Es war wie eine Krankheit, eine Sucht. Er wollte es nicht, aber er konnte nicht anders! War er nun schwul oder bi? Nein, weder noch – er war nur homosexuell. Er brauchte den harten Sex mit Männern – groß, muskulös, derb und brutal – das waren seine liebsten Sexualpartner! Er mochte den Schweiß, die behaarten kräftigen Arme, Brust und Beine! Und große Schwänze, die ihn erbarmungslos nagelten. Er wollte ein wildes Tier, kein Schmusekaterchen. Aber er liebte seine Frau! Sehr sogar! Sex mit ihr war OK, manchmal zumindest. Sex mit Kerlen war für ihn aber Therapie, Befriedigung, Erlösung, Entspannung. Direkt zur Sache kommen, kein Rumgezicke, Arsch hin und rein, rein, rein. Er wollte dominiert werden – war gerne vorne. Dieser junge Wilde war etwas Besonderes! Er musste unbedingt bald wieder nach Dresden kommen – alleine um sich sexuell auszutoben! Zu Hause in München war es undenkbar für ihn, seine „dunkle Seite“ auszuleben. So etwas tat man nicht daheim! Wer weiß, wer dich sieht und wer dich erkennt. Er hatte zu viel zu verlieren! Eine Scheidung, undenkbar! Die Kinder, das Haus, seine Frau, sein Ruf – undenkbar. Offizielles Coming-out – niemals!
Dieser miese „Doc“ in der Firma hatte es irgendwie herausgefunden, Franz` dunkle Seite entdeckt. Hatte ihn seitdem immer und immer wieder erpresst: „Machen Sie mir das, bringen Sie das in Ordnung, löschen Sie mir diese Daten, manipulieren Sie jene Daten, beschaffen Sie mir dieses und jenes, halten Sie die Klappe und schauen sie weg! Was, Sie wollen nicht mehr? Gut, Ihre Familie wird Augen machen. Ihre horrenden Prämienzahlungen werfen gar kein gutes Licht auf Sie – das wird Ihnen jeder Richter bestätigen. Ihre Familie, Ihr Haus können Sie vergessen. Fünf bis zehn Jahre Knast sind Ihnen sicher.“
Immer und immer wieder war Franz eingeknickt – aus Angst vor Konsequenzen, unvorstellbaren, nicht akzeptablen Konsequenzen. Aber nun wollte er nicht mehr mitspielen! Er wollte sich nicht mehr erpressen lassen! Er musste sich befreien! Sonst würde er daran zugrunde gehen! Er würde kündigen – neue Firma, neue Stadt, neue Chance, neues Leben! Heute war sein Bewerbungsgespräch in Leipzig. Es sah gut für ihn aus! Er war in der engsten Wahl. Er war sehr zuversichtlich! Seine Frau wusste noch nichts von seinen Plänen.
Der neue Job wäre zum 1. September. Solange würde er noch irgendwie durchhalten. 28 Urlaubstage hatte er auch noch. Die bräuchte er für den Umzug, Hausan- und verkauf etc. Dieser Arbeitgeber in Leipzig war sehr viel kleiner, andere Branche, weniger international, weniger Verantwortung, aber fast gleiches Gehalt. Das Leben in den neuen Bundesländern war günstiger, er konnte sich ein größeres Haus leisten und würde sich schon irgendwie einleben. Die Leute waren nett und freundlich. Und Dresden war mit dem Auto auch mal für einen Nachmittag erreichbar ... Natürlich ist München mit keiner Stadt in Deutschland zu vergleichen, aber er musste raus aus diesem Sumpf bei Malinger! Es war schlichtweg überlebensnotwendig für ihn. Wenn er diesen Job in Leipzig bekam, würde er ihn nehmen - AUF JEDEN FALL!! Auch für weniger Geld.
Er hatte schon die richtigen Weichen gestellt. Für seinen eigenen Nachfolger gesorgt. Er hatte ihn schon mal vorsorglich befördert ... Einen guten Mann als Nachfolger zu benennen, das war er dem alten Malinger und seinen anderen Kollegen einfach schuldig. Nach allem, das er Ihnen angetan hatte. Und er hatte den fähigsten Mitarbeiter in seiner Abteilung, den er jemals in seinem Leben kennengelernt hat. Jung, hochintelligent, verlässlich und unglaublich kompetent. Er kannte niemandem, der so viele Sprachen fließend sprach und derart effizient und professionell arbeiten konnte. Aber: durch und durch hetero, daran bestand kein Zweifel. Zum Glück! Denn: Für ihn würde er alles aufgeben. Für ihn würde er seine dunkle Seite die Überhand gewinnen lassen. In ihn würde er sich bedingungslos und Hals-über-Kopf verlieben ...
Auch deshalb musste er einfach weg, weg von der Firma und weg aus der Stadt! Zum Schutz seiner Existenz, seiner Familie, vor sich selbst. Die große, emotionale Gefahr für ihn, Franz Korber, hieß: Giovanni Paul Davide Santa Cruz, genannt JP, ein Name mit Melodie, mit Kraft und mit Dramatik.
Ein Mann zum Lieben!
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Victor Ivan Kurostzov schickte seine SMS an die Telefonnummer, die nur für diesen Job gültig war. Es war nur eine kurze SMS, nur ein Wort: erledigt. Dann nahm er 6.000,- Euro aus dem geheimen Briefkasten, legte den 32 GB USB-Stick mit zwei eindeutigen Videos hinein und verließ den Ort. So, jetzt setzte wieder sein geliebter Rhythmus ein – Puff – Urlaub – nächster Auftrag. Er hatte die zwei Filme, einen aus Augsburg, den anderen aus Dresden, gestern bearbeitet und auf den USB-Stick kopiert. Wider Erwarten hatten ihn plötzlich beide Videos interessiert und regelrecht angetörnt. Diese harte Nummer war genau sein Ding!
Wobei er beim Rollenspiel auf jeden Fall hinten stehen und nicht vorne knien würde. Er hatte es noch nie mit Männern getrieben, aber einen Versuch war es vielleicht mal wert. Jetzt war Freitag und erst mal Olga dran. Sie war seine Lieblingshure, sie verstand ihn nicht nur sprachlich gut, da sie auch Russin war, sondern war auch sonst sein Typ. Sehr massig, große Titten und einen fetter Arsch. Der Rest war egal. Victor Ivan war nicht kompliziert. Und Olgas fetter Arsch brachte ihn nun auf eine neue Idee. Die Videos inspirierten ihn geradezu. Olga war zuerst nicht sonderlich interessiert.
Aber der Wunsch des Freiers ist die Pflicht der Hure! Und ein paar Scheinchen mehr machten den Griff tief in die Vaselindose geradezu selbstverständlich. Zumal der Landsmann hier ein häufiger Freier war und Olga nicht mehr so viele spendable Stammkunden hatte. Ihre besten Jahre waren vorbei und mit ihren 41 Jahren war sie einfach schon zu lange in diesem Geschäft. Sie träumte von einer eigenen Bar – irgendwo, wo es warm war und die Sonne die meiste Zeit des Jahres schien. Weit weg von ihrem derzeitigen Arbeitsplatz, weit weg aus Deutschland ... weit weg von all den Hans´, Peters, Michaels oder wie sie sonst noch hießen ...
Irgendwann wollte Sie das wirklich machen, aber heute noch nicht. Heute war Ivan der Stier dran. Dieses Schätzchen da, sie sagte der Einfachheit halber zu allen Schätzchen, Namen interessierten sie nicht wirklich, war ein sehr brutales Exemplar. Der reinste Begattungs-Stier. Er konnte sich gar nicht mehr beruhigen und hatte zweimal sein Zeitlimit überzogen, musste ordentlich nachblechen, was ihn aber nicht interessierte.
Er hatte sogar noch ein richtig gutes Trinkgeld springen lassen – zwei Hunderter obendrauf gab’s nicht allzu oft. Sie hatte in dieser Nacht mehr verdient als sonst in einer guten Woche. Das war auch gut so – die nächsten zehn Tage war nix mit „in den Arsch ficken“, denn ihr Arsch war buchstäblich „im Arsch“. Und der musste erst mal wieder heilen. Wahrscheinlich würde sie Windeln tragen, wenn sie alleine war.
Victor Ivan war zufrieden. Das war ehrlicher, guter, abgefahrener Sex. Jetzt konnte er einen schönen kleinen Urlaub machen. Vielleicht Gran Canaria. Er würde am Wochenende irgendwas „Last-Minuteiges“ suchen. Einfach raus zum Flughafen und in den nächstbesten Urlaubsflieger steigen.
Piep, piep, meldete sich sein Handy. Eine SMS – eine neue Handynummer. Shit, es war 01:30 Uhr morgens. Aber was soll’s – Job ist Job. Sein Stammkunde vom Videoauftrag hatte schon wieder etwas Neues für ihn. Er rief sofort an und hörte aufmerksam zu. 59 Sekunden später war das Gespräch beendet. Victor dachte nach und schickte eine kurze SMS an die neue Nummer „40K, liefere in 2 Wo“ (40.000,- Euro, liefere binnen zwei Wochen). Es dauerte Minuten und er hatte die Antwort. „Ok20KMoleBrika“.
Klang wie ein Passwort, war aber keines. Es bedeutete ganz einfach: OK, 20.000,- Euro und die Unterlagen für den nächsten Auftrag liegen ab Montag im letzten, geheimen Briefkasten.
Victor Ivan war gut im Geschäft. Ein paar Tage Urlaub waren auch noch drin. Der nächste Urlaub konnte etwas teurer ausfallen. Gemäß des Telefonates war für eine Zielperson das Verfalldatum abgelaufen. Kohle: gut, Spaßfaktor: sehr vielversprechend.