Mittwoch, 12. Mai, München, Krankenhaus Schwabing

 

JP hätte sich nicht von Mosche Heiligenschein überzeugen lassen dürfen! Mosche wollte unbedingt, zusammen mit FATBOY, die Recherchen über die weiteren Verdächtigen betreiben. Die Entschlüsselung der Zugangsberechtigung zu den Archiven von Franz Korber lief weitestgehend automatisiert. Mosche hatte vier Großrechner von Universitäten dafür angezapft – und so fühlte er sich nicht mehr ausgelastet und nutzlos. Er wollte unbedingt näher ran ans Geschehen. Und nun hatte JP den Salat: Anstatt eines Dossiers über einen möglichen Mittäter bei Malinger hatte er nun gleich zwei Stück gleichzeitig vorliegen! Seine beiden Shadow-Detectives dachten einfach nicht genug betriebswirtschaftlich! Verdammt! Wie sollte er bei dieser Geschwindigkeit auf seine vereinbarten Manntage kommen. Natürlich würde er die gelieferten Dossiers wieder massiv überarbeiten und vor allem kürzen müssen. Das Team FATBOY/MOSCHE sprengte jeglichen rechtlich vertretbaren Rahmen bzgl. der zusammengestellten Informationen. Sie waren förmlich im Informationsrausch. Die Liste der noch ausstehenden Dossiers umfasste bisher:

1) Dr. Willibald Bucher, Hauptgeschäftsführer und designierter Nachfolger von Joseph Malinger,

2) Dr. Elisabeth Drager, Personalchefin der Malinger Gruppe,

3) Dr. Andreas Hildebrandt, Leiter Administration, Informationstechnologie und Verwaltung.

4) Dkfm. Hans-Joachim Fuchs, Wirtschaftsprüfer der Firma Malinger, Eigentümer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Fuchs & Partner, Berlin.

JP lagen nun die Dossiers über Dr. Bucher und Dkfm. Fuchs vor. Jedes über 270 Seiten lang. Das Rechercheteam hatte wieder maßlos hingelangt und ALLES, bis auf die Farbe der jeweiligen Unterwäsche, so detailliert dokumentiert, dass selbst das Studieren der Unterlagen für JP schon peinlich war. Es gab einfach keine Geheimnisse für das FATBOY/MOSCHE-Team. JP widmete sich zuerst dem Wirtschaftsprüfer Fuchs. Den detaillierten Lebenslauf legte er erst mal beiseite und widmete sich den betriebswirtschaftlichen Daten des Unternehmens Fuchs & Partner. Er verfluchte seine fehlenden diesbezüglichen Fachkenntnisse, aber soweit er es bewerten konnte, waren dort keine offensichtlichen Unregelmäßigkeiten erkennbar – wie auch! Ein Wirtschaftsprüfer konnte betriebswirtschaftlich maximal von einem anderen, besseren Wirtschaftsprüfer, überführt werden. Und das war JP ganz sicher nicht. Außerdem vermutete JP, dass die illegalen Transaktionen im Zusammenhang mit Malinger und ausländischen Firmenkäufen sicherlich nicht über die Bücher der deutschen Firma Fuchs & Partner geführt wurden.

Da McGregor Auslandsbankkonten für sich und die anderen Partner verwaltete, war FATBOY auf die Idee gekommen, bei einer dieser Banken, die er schon gehackt hatte, auch nach einem weiteren Konto von Herr Hans-Joachim Fuchs zu suchen und er war fündig geworden! Auf dem privaten Konto von Fuchs auf den Cayman Islands war in den vergangenen Tagen viel passiert. Es waren etliche Aktienverkäufe getätigt und Überweisungen auf dieses Konto vorgenommen worden und es befanden sich dort in bar 2.700.102,08 Euro plus 651.145,89 US-Dollar. Es musste einen konkreten Grund dafür geben, warum im Moment so viel Geld auf diesem Konto lag. Normalerweise waren dort kaum Barmittel über 25.000,- Euro und 20.000,- US-Dollar deponiert. Herr Fuchs würde wohl in nächster Zeit eine große Anschaffung tätigen wollen. Aber das war keinerlei Beweis für kriminelle Machenschaften im Zusammenhang mit der Firma Malinger Autoteile.

Um ehrlich zu sein, fand JP im gesamten Dossier nichts Eindeutiges, das auf die Mittäterschaft in diesem Syndikat schließen ließ. So widmete sich JP wieder dem Lebenslauf von Hans Joachim Fuchs. Außer, dass Herr Fuchs als Offizier in einer Stabsstelle der Ex-DDR Staatssicherheit gedient hatte, konnte er auch dort nichts wirklich Besonderes finden.

Ganz offensichtlich hatte Herr Fuchs eine sehr gute Schule im Vertuschen von Geheimnissen durchlaufen. Dies würde eine harte Nuss zum Knacken werden! Was in dieser Auswertung z. B. maßgeblich fehlte, war ein Scan der privaten PCs von Herrn Fuchs. FATBOY hatte dazu noch keine IP-Adressen ausfindig machen können. Vielleicht würde er später fündig werden. Etwas frustriert kürzte JP das Dossier auf vernünftige 92 Seiten, gliederte es neu und übergab es Hauptkommissar Holzner für die weitere Recherche in der Fachabteilung der Kriminalpolizei. Die ausländischen und inländischen Bankkonten führte er dabei zwar detailliert mit Kontonummer auf, aber ohne Details der Kontostände. Die Besitzverhältnisse von Herrn Fuchs listete er auf, ließ aber Kaufurkunden, Auszüge aus dem Liegenschaftsregister, PDFs von Verträgen mit Unterschrift etc. weg. Die Kontoauszüge sollte sich die Polizei auf dem offiziellen Wege beschaffen. Wenngleich dies mit ausländischen Banken auf den Cayman Inseln sicherlich nicht so einfach war. Dieses Dossier über Fuchs war wirklich nur eine Grundlage – wenn auch eine sehr gute.

Für eine Richtung der Ermittlungen, konkrete Beweise beinhaltete es diesmal leider nicht.

 

***

 

 

Die Witwe Youl war etwas unentschlossen. Ihr Rechtsanwalt Dr. Dolcon hatte ihr von dem Angebot für die Firmenanteile ihres verstorbenen Gatten berichtet. Er hatte ihr auch geraten, es anzunehmen, auch wenn es nur 12% der ursprünglich geforderten Summe waren. Aber Frau Youl hatte im Laufe der vergangenen Tage beim Aufräumen eher zufällig einen blauen Ordner von Fiodr Youl gefunden, der sie durchaus in eine vorteilhaftere Verhandlungsposition bringen konnte. In dem Ordner waren viele und so offensichtliche Betrügereien dokumentiert, dass sogar sie als Laie, deren Tragweite und Beweislast erkennen konnte. Damit als Druckmittel würde sie durchaus mehr Geld für den Verkauf der Firmenanteile verhandeln können. Aber sie hatte Dr. Dolcon noch nichts davon erzählt. Er war geldgierig und würde sie sicher zwingen, mit den Deutschen nachzuverhandeln, um auf diese Weise sein unverschämtes Honorar, das ein Prozentsatz des Verhandlungserlöses war, zu steigern. Ihre beiden Töchter waren keine Entscheidungshilfe und ließen ihr vollkommen freie Hand. Wenn sie dieses Beweismaterial an die Ex-Partner ihres Mannes verkaufen würde, würden diese offensichtlichen Betrügereien niemals ans Tageslicht kommen. Das fand sie nicht richtig!

Sie überlegte gerade, daß Fiodr sie und ihre Kinder so gut finanziell abgesichert hatte, dass dieses Geld ganz locker für die nächsten Jahrzehnte reichen würde. Sie hatte keinen aufwändigen Lebensstil und brauchte nicht viel fürs Leben. Was sollte sie mit noch ein paar Millionen mehr auf dem Konto, wenn sie vor lauter schlechtem Gewissen nicht mehr schlafen konnte? Fiodr konnte nicht mehr polizeilich belangt werden, aber seine Partner durchaus, und zu diesem bisschen Gerechtigkeit wollte sie nun ihren Beitrag leisten.

Diese Verbrecher gehörten ins Gefängnis! Sie waren auch Schuld an Fiodrs Tod, da war sie sich ganz sicher. Und so formte sich der Plan der drei Schritte in ihrem Kopf:

1.    Das neue Angebot mit den zusätzlichen 1,2 Millionen annehmen und am Freitag die Geldübergabe in Prag abwickeln. 200.000,- Euro waren für ihren Anwalt Dolcon.

2.    Allen Besitz in der tschechischen Republik sofort verkaufen und das Land für immer verlassen, Österreich lockte.

3.    Dann den blauen Ordner mit allen Beweismitteln anonym an die Kriminalpolizei schicken.

Sie rief Dr. Dolcon an und teilte ihm mit, dass sie und ihre Töchter das Angebot der Deutschen annehmen und am Freitag nach Prag zur Unterzeichnung und Geldübergabe kommen werden. Dr. Dolcon sollte sich bitte um einen überwachten Geldtransport zu ihrem Bankschließfach kümmern. Sie würde nicht mit so viel Bargeld durch die Gegend fahren wollen.

 

***

 

Es war 17:30 Uhr als das Handy klingelte. Offensichtlich eine ausländische Nummer, aha, Prager Vorwahl. „Doc“ antwortete einsilbig nur mit „Hallo?“ „Hier Dr. Dolcon! Ich rufe im Auftrag meiner Mandantinnen an. Wir werden Ihr Angebot von 1,2 Millionen Euro in bar annehmen. Ich schlage vor, wir unterzeichnen und regeln das Finanzielle am kommenden Freitag um 14:00 Uhr bei mir in der Kanzlei. Lassen Sie mir die Verträge von Ihrem Anwalt morgen zusenden.“ „Dr. Dolcon, ich hatte gesagt: Bei unserem Anwalt! Aber sei´s drum, ich will Ihnen dieses Mal entgegenkommen. OK, wir können uns ausnahmsweise in Ihrer Kanzlei treffen. Aber 17:30 Uhr wäre mir lieber.“ „Nein, später als 14:00 Uhr geht es leider bei mir nicht mehr.“ „Gut, dann muss ich umplanen. Ich muss die Uhrzeit noch mit meinem Prager Anwalt abstimmen. Er wird Ihnen dann direkt das Treffen bestätigen. Ich denke, Sie kennen sich ja. Wahrscheinlich werde ich selbst kommen und stellvertretend für meine Partner unterzeichnen. Guten Abend, Dr. Dolcon.“

Es lebe der Bluff!

Soviel Geld in so kurzer Zeit gescheffelt zu haben, das war selbst für Doc ein absoluter Rekord. Dennoch: Doc war immer noch nicht zufrieden. Gier ist eine schlimme Last! Bedächtig wurde das Büchlein mit alten Kontakten aus Stasi-Zeiten durchgeblättert. Schließlich stach der Name Juri Corcan ins Auge. Ein Kleinkrimineller, erfolgreicher Taschendieb und Gelegenheits-Einbrecher aus Prag. Doc rief sofort bei Juri an und erreichte ihn tatsächlich auf dem Handy. Das Wiederhören löste bei Juri keinerlei Freude aus. Trotzdem nahm er die Instruktionen für einen anstehenden Überfall an. Es ging um einen einfachen Job und anscheinend für gutes Geld. Und Juri war wieder mal klamm, wie eigentlich immer.

Raubopfer: die Witwe Youl und deren Töchter. Tatort: der Nachhauseweg von ihrem Anwalt. Tatzeit: am kommenden Freitag nach 14:00 Uhr. Auftrag: das gesamte, mitgeführte Bargeld stehlen. Betrag: unbekannt. Beute: 15% waren für Juri, 85% für Doc. Juri kannte Doc von früher sehr gut, noch als Genosse Oberst bei der Staatssicherheit der DDR. Juri hatte Doc Oberst immer gefürchtet. Und er würde definitiv ehrlich die Beute teilen, sonst wäre sein Leben verwirkt, egal um welchen Betrag es sich handelte oder wo er sich verstecken würde. Mit Doc Oberst durfte man sich nicht anlegen, das wusste Juri aus bitterer Erfahrung. Er war immer noch ein hinkender Krüppel seit dem siebenfachen Bruch seines linken Beines, den ihm damals Doc Oberst hatte zufügen lassen und völlig ungerührt dabei zugesehen hatte... und das alles nur, weil Juri dem Doc Oberst eine Packung Zigaretten geklaut hatte.

Ohne Skrupel
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