9. März 2010, München, JPs Wohnung, abends
Er war um 19:30 Uhr zu Hause und war in letzter Zeit immer total müde. Das Projekt „Datenanalyse“ musste warten. Ein gut 30-minütiges Nickerchen wirkte geradezu Wunder. Er wachte auf und hatte Hunger und große Lust, sich was Leckeres zu kochen. Opa Giovanni hatte ein spezielles Gericht, das nur er so gut konnte und das JP noch nie in einem Restaurant auf der Speisekarte gesehen hatte. Da durfte die Oma beim Kochen nicht mal in die Küche. Das Gericht gab es häufig, wenn alles Mädels außer Haus und sie eine „Menneraben“ hatten – also „senza ragazze“ (ohne Mädels).
Sein Rezept hieß „Spaghetti Caraibi“ also „karibische Spaghetti“, keine Ahnung, wie er auf diesen Namen kam. Mit Karibik hatte das Gericht rein gar nichts zu tun. „Spaghetti Caraibi gibse de Manne gude Grafd, wäge die Lauche, schwarze Pfeffe un der Scampi, capisci? A guud für d ´Frau, had auch Spase dabei, wenn Manne gude Grafde had um die Midde...“ Und dann kam sein obligatorischer Griff in seinen Schritt und ein sehr anzügliches Zwinkern mit dem rechten Auge. Opa Giovanni war definitiv leichter zu verstehen, wenn er in seiner Muttersprache benutzte. Selbst für einen Deutschen, der kein Wort Italienisch sprach, war Opa Giovannis Italienisch leichter zu verstehen als sein furchtbares „Deutalienisch“. Nach über 40 Jahren in Deutschland sprach er immer noch ein solch grauenvolles Deutsch! Er war wohl nicht besonders sprachbegabt. Aber seiner Meinung nach war sein Deutsch makellos.
Wenn er ein deutschsprachiges Gegenüber hatte, hätte er niemals Italienisch mit ihm gesprochen. Das fand er unhöflich und unnötig, da er ja schließlich fließend deutsch sprach. Trotz der langen Zeit in Deutschland war er immer noch durch und durch Italiener. Er ging ausschließlich nur zum Italiener zum Essen. Er kochte nur italienisch, hatte hauptsächlich Italiener als Freunde und schaute Fußballspiele nur dann, wenn italienische Mannschaften mitspielten. Aber was die Politik betraf, war er deutscher als die Deutschen! Er wählte schon immer die CDU/CSU, las immer den politischen Teil der Tageszeitung und bekundete lautstark seinen Unmut, wenn die „Roten, Grünen oder Gelben“ seiner Meinung nach Mist bauten. Opa Giovanni war außerdem durch und durch Nationalist. Er fühlte sich als Deutaliener und er hasste alle Ausländer! Er schimpfte auf die Türken, Russen, Polen, Ungarn, Holländer, Engländer, egal. Jeder, der uns „ordentliche Deudschä“ den Job, die Rente, die Sozialhilfe oder den Platz im Krankenhaus, in der Schule, dem Kindergarten oder die Luft zum Atmen „wegnahm“, war für ihn nur „Gsoxe“. Ein Beispiel: „Da lebd das Gsoxe 20 Jarä inde schöne Deutschelande, nimmd unsere Männa die Arbeide wege und kanne dann nich mal richtig Deutsche spräche.“ Wenn dann Einer: „blöder Itaker, kannst ja selber nicht richtig Deutsch“ zu ihm sagte und ihm die Unlogik seiner Sichtweise klarmachen wollte, war das Gespräch sofort beendet. Diskussionen auf diesem dilettantischen Niveau führte er prinzipiell nicht. „Iche diskudiere nich mit Debbe, capisce.“ Ja, ja, Opa Giovanni hatte da seine Prinzipien ...
Nun zum kulinarischen Teil: Die Vorbereitung für die Soße brauchte am längsten, deshalb musste man damit logischerweise als Erstes beginnen: Frische Frühlingszwiebelchen klein schneiden, eine Lauchstange halbieren und quer in dünne Streifen schneiden, ein bisschen Bauchspeck in Würfelchen schneiden, etwas Petersilie hacken („Nur die gladde – nie der gegreuselde Pedersielie, capisce!“).
Wasser kochen, italienische Hartweizengrieß-Spaghetti in das kochende, stark gesalzene Wasser geben und je nach Dicke der Nudeln kochen – al dente (bissfest), das „isse MOLTO importante, capisce.“ In der Zwischenzeit in der Pfanne Butter und ein bisschen Öl erhitzen, geschnittene Zwiebeln und Lauchstreifen anschwitzen, den Speck dazu, mit Salz und gemahlenem Pfeffer ordentlich würzen, einen guten Schuss Kochsahne unterheben, einen kleinen Fingerhut milden Whisky dazu, die gehackte Petersilie darüber und ganz zum Schluss die Pfanne vom Herd nehmen, ein Schälchen kleine Krabben („Nimme nur di gude scampi, capisce!“) sanft untermischen. Zuerst die Spaghetti auf den Teller, die Soße oben drauf geben, großzügig frisch gemahlenen Pfeffer drüber und dann während des Essens mit den Spaghetti vermischen. Mai Parmigiano! “Nie, nixe Parmesano, pasde nich su Fishe ode tsu scampi, capisce Buon Appetito!”
Und den hatte JP heute tatsächlich! Der feine Duft des angebratenen Lauchs, der Zwiebeln und des Specks hatte ihn noch hungriger gemacht. Bei diesem Gericht hatte er kein Maß und aß jedes Mal viel mehr, als er eigentlich Platz im Bauch hatte. Auch diesmal hatte er eine unglaubliche 500g-Packung Spaghetti ganz alleine verdrückt und von der Soße war kein Fitzelchen mehr übrig. Dazu gab es eine Flasche Gran Delmio, ein Gran Reserva aus der La Mancha in Spanien, mit soliden 13,5 % Alkohol und vollmundig erdigem Geschmack. Die Flasche war inzwischen leer und das zweite Glas Grappa Vecchio Muscato von Giaccomo Polli, Bassano del Grappa, Italien, war auch schon stark an Inhalt reduziert. Ein kleines Eis wäre jetzt noch gut, so etwas rutscht immer noch irgendwie dazwischen, aber leider hatte der Chef des „Ristorante Il JPs“ wohl vergessen, derart Leckeres einzukaufen. Also entfällt dieser Menüteil ersatzlos. Mittlerweile war es 22:00 Uhr. Seine Zunge war etwas schwer, aber es war Zeit einen Anruf über Skype nach Tel Aviv zu machen.
Cousin Mischa sollte nicht warten ... Und JP war sehr neugierig. It´s time to rock!