Donnerstag 29. April, München
Verdammt! Es war schlichtweg eine Katastrophe! Es war bereits Ende April und JP war dieses Frühjahr erst ein paar wenige Male beim Fliegenfischen gewesen! Er fand das nicht weiter akzeptabel und einfach nur unmöglich. Der Job hatte ihn in den vergangenen Wochen förmlich mit Haut und Haaren verschlungen. Der Job war für ihn die Grundlage für ein komfortables Leben, aber nie der alleinige Lebensmittelpunkt gewesen. Deshalb hatte er sich den heutigen Tag kurzfristig frei genommen. Vielleicht auch aus Wut auf Franz Korber! Tatsächlich war er, nicht nur im Sinne von Lebensqualität, froh um diesen freien Tag, sondern er musste auch unbedingt über das Anliegen von Dr. Drager, der Personalchefin des Malinger Konzerns, in Ruhe und ungestört nachdenken. Und das ging besonders gut beim Forellenfischen mit der Fliegenrute.
Überstunden hatte er genug gesammelt – die reichten für über vier Wochen Urlaub im Stück. Dieser Franz Korber sollte sehen, wo er blieb und wie er mal einen Tag ohne JP zurecht käme! Franz war seit Montag zurück aus seinem Urlaub. JP hatte sich auf die Rückkehr seines Chefs gefreut, er hoffte natürlich nun im Job wieder entlastet zu werden. Leider, weit gefehlt! Mit Müh und Not und erst nach mehrmaligem Quengeln konnte JP gestern am Mittwoch endlich nachmittags die Urlaubs-Rückübergabe machen. Aber seinen Chef interessierte das Alles irgendwie gar nicht. Eine zehnminütige Übergabe für 14 Tage Urlaub, mit sehr vielen Ereignissen während der Abwesenheit, das alleine sprach schon für sich und war ein Hohn. „Was regen Sie sich auf, JP? Es läuft doch alles Bestens! Sie haben doch alles hervorragend im Griff! Wozu eine detaillierte Übergabe? Der grobe Überblick reicht mir vollkommen. Wenn ich was brauche, frage ich Sie oder Sebastian!“ erwiderte Franz Korber, als JP aufmuckte.
JP war sauer! Franz verbrachte seinen Arbeitstag im Wesentlichen nur noch mit Zeitunglesen, privat telefonieren, blöde Witze reißen und „die Kollegen von der Arbeit abhalten“, wie JP fand. Die schlechte Arbeitsmoral vom Chef war leider auch sehr ansteckend für das restliche Team. Jeder begann zu faulenzen und die bisherige Disziplin innerhalb der IT-Abteilung begann schon jetzt zu bröckeln. JP schien der Einzige zu sein, der seine Arbeit noch wirklich ernst nahm. Mit dem Ergebnis, dass er noch mehr schuften und letztendlich auch kleinere Jobs seiner Kollegen so nebenbei mit erledigen musste. Außerdem musste JP ständig irgendjemanden, besonders natürlich Franz, nach oben hin decken und so vor Konsequenzen schützen.
Seine eigene Autorität wurde durch die Anwesenheit von Franz komplett unterhöhlt und keiner der IT-Kollegen sah einen Anlass, mal einen Zahn zuzulegen, wo doch der Chef es auch „so locker angehen“ ließ. Wo sollte das noch hinführen, wenn in drei Tagen bereits ein derartiger Verfall festzustellen war? JP hatte jedenfalls keine Lust, unter diesen Bedingungen die nächsten Monate zu arbeiten. Irgendwann würde er mit der Geschäftsleitung ein vertrauliches Gespräch führen und entweder über Franz Korber Klartext reden oder sich selbst einen neuen Job suchen müssen.
Dann rief gestern Dr. Elisabeth Drager kurz nach der Mittagspause bei JP an. „Hallo, Herr Santa Cruz, Drager hier. Würden Sie wohl bitte heute so gegen 18:30 Uhr zu mir ins Büro kommen? Ich muss etwas Vertrauliches mit Ihnen besprechen.“ Na klar war JP um 18:30 Uhr dort. Allerdings sehr nervös, er fühlte sich bei Weitem noch nicht bereit, das Thema Franz Korber bei der Personalchefin anzusprechen und allein von diesem Thema ging er aus. JP wünschte Franz wirklich nichts Schlechtes und wollte ganz sicher nicht Schuld daran sein, wenn dieser eine Abmahnung bekommen oder gar seinen Job verlieren würde. JP hatte sich vorgenommen, nichts von sich aus zu sagen. Er wollte vor allem erst mal zuhören.
Dr. Drager empfing JP an der Eingangstür zu ihrem durchgestylten, geräumigen Büro. Sie sah wie immer umwerfend aus und strahlte, neben ihrer natürlichen Eleganz, förmlich die pure Erotik einer mächtigen und extrem selbstbewussten Frau aus. JP war mit seinen rein männlichen Trieben von ihr als Frau fasziniert. Aber Dr. Drager schien keinerlei Interesse an ihm als Mann zu haben. Dies war unmissverständlich ein rein geschäftliches Treffen.
„Danke für Ihr Kommen, Herr Santa Cruz! Nehmen Sie bitte Platz, Kaffee, Tee, Wasser? Nein? OK“, begann Dr. Drager. „Ich gehe davon aus, dass Sie niemandem erzählt haben, dass wir beide einen Termin haben?“ JP nickte zustimmend. „Gut, dann komme ich mal gleich zur Sache. Sie haben mir damals, als wir zusammen diese Werkspionage mit dieser italienischen Verbrecherbande aufgedeckt haben, ein – wie soll ich sagen – spezielles Spywareprogramm installiert. Ich habe davon eine eingeschränkte Clientversion auf meinem Rechner ... ähm... nicht, dass ich dieses Programm tatsächlich nutze, aber .... ähm .. aber ich denke, es gibt davon auch eine uneingeschränktere Profi-Version mit viel mehr Möglichkeiten. Können Sie mir die besorgen?“ „Frau Dr. Drager, dies ist eine sehr mächtige Software, die in der Vollversion nur Geheimdienste und Militärs für sich einsetzen. Die Version, die Sie damals gekauft haben, ist natürlich stark eingegrenzt, aber dafür für einen kommerziellen Einsatz in einigen Ländern erlaubt... Einige internationale Sicherheitsunternehmen nutzen wohl diese kommerzielle Version. Allerdings nicht in Deutschland, soviel ich weiß und sicherlich nur sehr wenige innerhalb der EU, aber das wissen Sie. Also: Ich kann Ihnen legal keine Vollversion beschaffen. Sie, besonders in ihrer Position, müssten sowieso extrem vorsichtig sein. Sie würden sich massiv strafbar machen, da Sie damit jegliche Privatsphäre jeder Person in der Firma aushebeln könnten. Sie würden für den Einsatz der Vollversion unter Umständen ins Gefängnis gehen....“, entgegnete JP vorsichtig.
„Das weiß ich wohl, Herr Santa Cruz. Aber, ich bin einer sehr großen Sache auf der Spur und brauche zwingend mehr und vor allem tiefere Einblicke.“ „Eine neue Industriespionage? Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Frau Dr. Drager. Ich bin für viele Systeme auch der Administrator und kann für Sie eventuell einzelne Informationen extrahieren.“ „Nein, nein ... danke, Herr Santa Cruz! Ich denke, bei dieser speziellen Angelegenheit können Sie mir im Moment nicht helfen. Da muss ich ganz alleine durch. Können Sie mir diese Profi-Vollversion irgendwie besorgen?“ „Wie gesagt, ich nicht, aber wir haben den Softwarevertragspartner in Zypern, der sehr viel beschaffen kann, Frau Dr. Drager. Aber das wird teuer. Da sind Beträge jenseits der 50.000 US-Dollar pro Arbeitsplatz durchaus möglich und Sie werden keine offizielle Rechnung dafür bekommen.“ „Verstehe ... gut, Santa Cruz: Sie machen sich schlau und ich kümmere mich um das Budget! Eine Rechnung über IT-Dienstleistungen ist mir auch recht. Haben wir einen Deal?“
„Nein, wir zwei haben keinen Deal! Aber ich werde mein Bestes tun und für Sie vermitteln, Dr. Drager. Offiziell will und werde ich nichts damit zu tun haben, diese Leute von Lucky Eagle Ltd . aus Zypern sollen es ihnen z. B. per remote installieren. Ich werde sie aber nicht einschulen und ich will auch nichts wissen. Übrigens: Mein PC ist für Sie absolut tabu! Ich würde jeglichen Zugriff auf meine Systeme sofort bemerken.“
„Ach Junge, Sie sind absolut nicht auf meinem Radar, glauben Sie mir! Beschaffen Sie mir, was ich brauche und wir bleiben die besten Freunde. Nun gut, Themawechsel: Wie läuft es in Ihrer Abteilung?“ „ ... Gut, danke ... Dr. Drager“, entgegnete JP vorsichtig. „Sie haben in den vergangenen Wochen sehr, sehr gute Arbeit geleistet, Herr Santa Cruz! Jeder Abteilungsleiter in der Firma scheint nur Lob über Sie und ihre Arbeit zu haben! Franz Korber scheint diesmal gar nicht so sehr gefehlt zu haben. Sonst, wenn Franz im Urlaub war, schien die Firma fast zusammenzubrechen und er hat immer fühlbar gefehlt, aber diesmal gar nicht! Es lief alles weiter wie am Schnürchen. Ich bin beeindruckt von Ihren Leistungen, Herr Santa Cruz! Hat Franz Korber nun wieder übernommen, oder schmeißen immer noch Sie die IT-Abteilung?“
„Herr Korber ist wieder zurück aus dem Urlaub, Dr. Drager. Er ist der Chef und nur der Chef kann den Laden schmeißen.“ „Tja, die einen sagen so, die anderen so, wie auch immer, ich schätze ihre Loyalität, aber ich mag es absolut nicht …, ach, was soll´s – sprechen wir darüber vielleicht ein andermal. Ich baue auf Ihre absolute Diskretion wegen der anderen Sache! Habe ich ihr Wort?“
„Natürlich, Dr. Drager! Ich werde die Brücke zur Lucky Eagle Ltd . für Sie herstellen, vielleicht noch heute Abend. Darf ich Ihre Handynummer an den Eigentümer Mosche Heiligenschein weitergeben? Ok, gut. Bitte vereinbaren sie alle Details nur mit ihm persönlich. Er ist sehr diskret, vertrauenswürdig und extrem kompetent. Er spricht aber nur Englisch. Ich bin damit raus aus dieser Sache, OK?“ „Ja, ja schon gut – ich hab‘s schon vorhin verstanden! Ist mir auch lieber so! Herr Heiligenschein soll mich bitte abends anrufen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Herr Santa Cruz.“ „Auch für Sie, Dr. Drager.“
Was hatte die gute Dr. Drager, Personalchefin von über 4.000 Mitarbeitern in der Malinger Gruppe, in Gottes Namen mit dieser Profi-Spyware vor? Sie konnte damit wirklich jeden Winkel der meist ungesicherten, persönlichen Daten ausspionieren und jedes Detail über jeden Mitarbeiter in Erfahrung bringen. Eine gefährliche Waffe in den Händen einer Personalchefin. Aber für sich selbst würde JP sich definitiv zu schützen wissen. Alleine der Einsatz dieser Profi-Software in einer Firma konnte jemanden ins Gefängnis bringen, in Dr. Dragers Position schon gleich dreimal! Das Perverse war, dass JP eine Raubkopie der Vollversion ohnehin für sich selbst schon lange installiert hatte, er nutze sie zwar sehr, sehr wenig, aber er konnte, theoretisch, jeden Arbeitsplatz ausspionieren, bis ins kleinste Detail, wenn er nur wollte. Natürlich wusste dies niemand außer ihm selbst.
Kaum war JP im Auto, rief er seinen Cousin Mosche Heiligenschein an: „Mosche, Schalom! JP hier, pass auf, ich habe da einen fetten Deal an der Hand, hör genau zu und mach‘ genau, was ich Dir jetzt sage“. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf. Um 1:39 Uhr morgens kam eine SMS auf JPs iPhone. JP war noch wach, Tina war bei ihm, er las neugierig die Nachricht: „Wir sind uns einig geworden. 53.200,- US-Dollar. Installiere noch heute Nacht. Rechnung ist für Programmierarbeiten. Freischaltung nach Blitzüberweisung und Geldeingang heute. Gute Nacht. Mosche.“ Na dann, der guten Nacht stand nun nichts mehr im Wege, so kurz vor dem Einschlafen und auf die Schnelle gut 26.000,- Dollar verdient zu haben, das war echt cool!!! Mosche würde sicherlich, alleine schon aus Sicherheitsgründen, wegen der Geheimdienst- und Militär-Story nur eine Raubkopie installieren. Also fielen keinerlei Lizenzkosten für den Einkauf an. Damit war dies sozusagen „cash auf die Kralle“. Diese 50% waren JPs Anteil an dem Deal und das steigerte natürlich seine gute Laune ganz gewaltig.
Der nächste Urlaub für JP konnte ruhig ein bisschen kostspieliger ausfallen. Tina war alleinige Nutznießerin von JPs euphorischer Stimmung, sie schnurrte förmlich bis in die Morgenstunden unter JPs körperlichem Einsatz und seinen Liebkosungen.
***
Franz Korber hatte absolut keine Lust, an diesem Donnerstag in die Arbeit zu gehen! JP hatte den Tag kurzfristig frei genommen und Franz hatte keine Lust, sich heute um alles selbst kümmern zu müssen. Außerdem stand heute eine harte Konfrontation an. Seine offensichtliche Arbeitsunlust der vergangenen Tage ging ihm selbst auf die Nerven. So eine Arbeitseinstellung konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Aber er verfolgte ein konkretes Ziel und das hieß: „Doc“ bis zur Weißglut ärgern! Und heute wollte er die Krönung seiner Kür starten. Der Plan von Franz war brutal, unerbittlich und final, final gegen sich selbst.
Er traute „Doc“ all das Schlechte auf dieser Welt zu! Natürlich auch Mord, falls nötig. Franz hatte sich in den letzten Jahren über seinen Auftraggeber und ständigen Erpresser informiert und wusste mit Bestimmtheit, dass eiskalter Verstand und absolute Skrupellosigkeit zu den besten von „Docs“ Eigenschaften gehörten. Franz wusste auch ein bisschen von dem militärischen Hintergrund von „Doc“ als hochrangiger Offizier bei der Staatssicherheit in der Ex-DDR. Also hatte er den Plan gefasst, „Doc“ so sehr zu reizen, ihm zu drohen und ihn in die Ecke zu drängen, bis dieser einen Auftragsmord an Franz veranlassen würde. Damit konnte Franz` Familie die Lebensversicherung kassieren und er seine Schuld an der Firma Malinger ein bisschen gut machen.
Franz hatte um 9:30 Uhr einen privaten Termin mit „Doc“ in der Villa im Nobelstadtteil Nymphenburg. Franz hatte um diesen Termin gebeten. Es war nun 10:19 Uhr, „Doc“ hasste Unpünktlichkeit. Franz wusste das. „Doc“ hasste auch schlampige Kleidung und eine ungepflegte Erscheinung, also trug Franz heute Jeans und ein 15 Jahre altes, ausgewaschenes T-Shirt, war nicht geduscht und unrasiert. „Na, auch schon da, Herr Korber, kaum wartet man 50 Minuten, schon erscheint der Herr IT-Leiter.... Wie sehen Sie denn aus, haben Sie in der Altkleidersammlung gewühlt und haben Sie getrunken?“
„Hören Sie „Doc“, lassen Sie Ihre blöden Sprüche. Ich bin nicht in der Laune dazu! Ich hatte Ihnen vor meinem Urlaub gesagt, dass ich aus ihrer Betrüger-Sache raus will. Dass ich ein neues Leben anfangen will. Ich werde Ihre Sauereien gegen die Firma Malinger nicht mehr mitmachen! Ich werde keine einzige Manipulation mehr für Sie machen. Finito, Basta, Ende! Verstanden?“
„Herr Korber, ich habe Ihnen schon vor Ihrem Urlaub gesagt, dass ICH und NUR ICH Ihnen sage, wann Sie aussteigen dürfen. Wir arbeiten gerade an einer großen Sache im Ausland und das werden wir durchziehen. Sie werden das wieder IT-mäßig für uns hinbiegen, sonst wird ihre Frau Äuglein über gewisse Videoaufnahmen machen und Ihre Kinder kein Wort mehr mit Ihrem schweinischen Papi reden.“ „Doc, ihre Erpressungen ziehen nicht mehr! Die können Sie sich sonst wo hinschieben. Ich habe im Urlaub mit meiner Frau über meine sexuellen Vorlieben ganz offen gesprochen. Wir werden uns trennen. Ich bin schon zu Hause ausgezogen! „Doc“, Ihre Drohungen gehen mir am Arsch vorbei! Ich bin raus – lassen Sie mich ab sofort in Ruhe!“ „Wollen Sie ins Gefängnis? Was glauben Sie, wird die Staatsanwaltschaft zu Ihren Datenmanipulationen sagen, Herr Korber?“ „Gar nichts, „Doc“! Sie werden mich ganz sicher nicht anzeigen! Wenn ich untergehe, dann gehen Sie auch unter – 100%! Und Ihre Mitverbrecher ganz genauso! Ich habe seit Jahren Vorsorge getroffen und jedes Gespräch mit Ihnen im Büro aufgezeichnet und alle Beweismittel an einem sicheren Ort gehortet. Wenn ich für ein paar Jahre ins Gefängnis muss, dann fahren Sie für den Rest ihres Lebens ein!“
„Ich werde Sie vernichten, Korber! Sie sollten mich niemals zum Feind haben, denn …“ „Na was „Doc“, wollen Sie vielleicht Ihre Bluthunde aus der Stasi-Zeit auf mich hetzten? Lecken Sie mich! Sollte meiner Familie oder mir irgendwas zustoßen, dann werden sehr interessante Daten an alle möglichen Leute verteilt! Ich versichere Ihnen, Sie werden diesen Sturm, der dann über Sie losbricht, nicht überstehen. Wahrscheinlich wird Sie Ihr allmächtiger, ominöser russischer Freund in tausend Stücke hacken lassen und an die Fische verfüttern, bevor die ersten Hühner mit dem Eierlegen begonnen haben.“ „Lassen Sie diese Anspielungen auf russische Freunde, Korber!! Sie wissen nichts! Sie bluffen!“ „Ach ja, „Doc“.... Sie meinen, ich bluffe nur? Hören Sie, „Doc“, ich lebe in einer Welt von Einsen und Nullen, ein oder aus – ich war immer konkret oder habe es ganz bleiben lassen. Ich kann gar nicht bluffen, da es nicht meiner Natur entspricht. Ich meine, was ich sage und ich sage Ihnen jetzt und hier: Lassen Sie mich und meine Familie ab sofort und für immer in Ruhe oder ich werde zur Polizei gehen und alles offenlegen, was ich mir sehr gewissenhaft in den vergangenen Jahren zusammengetragen habe.“
„Korber, Sie sollten mich nicht derart reizen“. „Doc“ machte eine Pause von einigen Sekunden. Sein Blick zeigte kalte Wut und wilde Entschlossenheit. „Korber, ich werde übers Wochenende über unsere Verbindung gründlich nachdenken. Ich gebe ihnen dann am Montag Bescheid, ob und wie sich unsere Wege trennen könnten.“ „Nein, nicht „ob“, „Doc“. Unsere Wege werden sich auf jeden Fall trennen! Ich habe noch Resturlaub und würde am liebsten am Dienstag nächste Woche meinen letzten Arbeitstag bei Malinger Autoteile haben. Übers Wochenende nachdenken, dass ich nicht lache, ich glaube eher, dass der große “Doc“ ein alter, zahnloser Tiger ist, der nicht selbst entscheiden kann und darf und erst seine Verbrecher-Partner demütig um Anweisung und Erlaubnis bitten muss.“
Das saß! „Doc“ wurde abwechselnd grün und weiß im Gesicht! Nur mit äußerster Selbstbeherrschung kamen die Worte über seine Lippen. „Gehen Sie jetzt, Korber, bis Montag.“
Das war's! Es war endlich raus und Franz fühlte sich so erleichtert wie schon seit vielen Jahren nicht mehr! Er glaubte „Doc“ natürlich kein einziges Wort, von wegen „gütliche“ Trennung! Es tat so gut, nicht zu kuschen und so richtig austeilen zu können. „Doc“, dieser Aal von einem Mensch, würde nun konkret über einen Plan zur Vernichtung von Franz Korber nachdenken. Das wusste Franz so sicher, wie das Amen in der Kirche immer auf ein Gebet folgte. Aber genau so sollte es ja laufen. Es war eine gute Idee, dass Franz die Trennung von seiner Familie vorgetäuscht hatte. So würden sie hoffentlich aus der Schusslinie bleiben.
Tick, tick, tick – der Countdown von Franz Korbers Lebensuhr lief unweigerlich ab!
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Victor Ivan war vereinbarungsgemäß auf Abruf. Das ständige Warten gehörte irgendwie zu seinem Job, aber er konnte es nach all den Jahren immer noch nicht ausstehen. Er war ein Mann der Tat. Sein Handy zeigte den Eingang einer SMS an. Es war 10:29 Uhr. „Verkaufe sofort 70 Nelken. Objekt Dänemark.“ Na, das war ja mal ein Wort! Ein guter Preis und noch dazu ein willkommenes Subjekt! 70.000,- Euro für die Liquidation von Franz Korber! Das klang GUT! Victor Ivan hatte seine sinnlose Reise durch Dänemark von vergangener Woche bei Leibe nicht vergessen und war immer noch voller Zorn gegen diesen Korber. Aber ein Profi handelt nie unüberlegt. Deshalb schickte er seine Antwort wie folgt: „Interesse. Hängt von Details ab.“ Die SMS war kaum verschickt, da klingelte schon das Telefon. Es war diesmal eine Münchner Festnetznummer, sehr ungewöhnlich für diesen Klienten. Victor Ivan hatte schon mehrmals mit ihm gesprochen, aber er hatte ihn noch niemals so emotional erlebt. Ansonsten war der Klient immer extrem nüchtern und sachlich gewesen, diesmal konnte man die Wut förmlich aus jedem Satz hören. Das Telefonat endete: „Finden Sie heraus, wo er die Dateien versteckt hat, dann zerstören sie alle elektronischen Daten vollständig! Und dann eliminieren Sie ihn!“ Das war Klartext und dafür hatte Victor 85.000,- Euro statt 70 gefordert und auch bekommen. 50K sofort, den Rest nach Erledigung. Persönlicher Spaßfaktor garantiert!