12. April 2010, Prag, Tschechische Rupublik
Anna Katarina Youl war nun seit gut einem Monat Witwe. Ihr Mann Fiodr Youl war in volltrunkenem Zustand von einem LKW überfahren worden. Anna war entsetzt, aber nicht allzu traurig. Sie und Fiodr hatten sich die letzten zehn Jahren stark entfremdet und keine gute Ehe mehr geführt. Zur Beerdigung von Fiodr kamen viele Trauergäste, da Fiodrs Firma einer der größten Arbeitgeber in der Gemeinde war. Außerdem war es Brauch, die Trauergemeinde nach der Beisetzung zu bewirten und ein warmes Gratis-Essen war so Manchem im Ort Motivation genug um einer Beerdigung beizuwohnen. Aber so richtige Trauer konnte Anna nicht auf den Gesichtern der Trauergemeinde erkennen. Fiodr hatte eigentlich keine Freunde vor Ort. Die meisten sahen in ihm nur ein Kapitalistenschwein, das ihre Arbeitskraft ausbeutete und miserable Gehälter für gute Arbeit zahlte. Und das war auch Annas Meinung von ihrem verstorbenen Mann. Sie war eine religiöse Frau und mochte diesen brutalen Arbeitgeber und Menschenausnutzer Fiodr Youl nicht.
Nach der Beerdigung war Anna zunächst rat- und ein bisschen hilflos. Sie war es nicht gewohnt, sich um finanzielle oder geschäftliche Angelegenheiten zu kümmern und hatte keine Ahnung, über wie viel Geld sie nun verfügte. Sie und ihre beiden Töchter waren laut Testament Alleinerbinnen und besaßen nun die große Villa, die vier Autos und einen Bargeldbetrag von gut 200.000,- Euro bei zwei Banken in Prag. Zusätzlich wusste Anna noch von irgendeinem Schweizer Konto, wo Fiodr wohl Schwarzgeld außer Landes geschafft hatte. Aber die Kontodaten hatte sie noch nicht gesucht und somit auch nicht gefunden. Anna wollte nur weg aus ihrem Wohnort. Sie überlegte, die Villa, die 26% Firmenanteile und zwei der großen Autos zu verkaufen und sich damit eventuell nahe ihrer Schwester in Wien ein neues Leben aufzubauen. Sie war gerade damit beschäftigt, die Unterlagen ihres Mannes zu sortieren, als das Telefon schellte. Das Hausmädchen meldete eine Dame von einer Versicherung. Anna war nicht motiviert, das Telefonat anzunehmen und war komplett überrascht von einer Lebensversicherung von Fiodr zu erfahren, einer sehr, sehr hohen Lebensversicherung. Zwei Millionen Euro für sie und jede ihrer beiden Töchter! Das machte Fiodr sofort im Nachhinein sehr viel liebenswerter als er es zu Lebzeiten jemals gewesen war.
Der gleiche Tag brachte allerdings noch eine große Überraschung! Annas Wunsch wegzuziehen und sich ein neues Leben in Österreich aufzubauen, war nun viel konkreter und realisierbarer als noch am Vormittag dieses Frühlingstages. Jetzt wollte sie genau wissen, wie viel Kapital sie für ihr neues Leben wirklich zur Verfügung hatte. Sie wollte sich bei dem Anwalt der Firma ihres Mannes erkundigen, wie viel seine Firmenanteile wert sein könnten und ob es eventuell einen Interessenten dafür gäbe. Sie traute ihren Ohren nicht, als sie erfuhr, dass ihr Mann seine gesamten Firmenanteile an seinem Todestag an seine Partner verkauft hatte. Das Geld dafür sei auf sein Schweizer Konto überwiesen worden.
Nun gut „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen.“ Jedenfalls ein guter Grund, nun konkret nach den Kontodaten der Schweizer Bank zu suchen. Anna durchstöberte nun auch die größtenteils noch ungeöffnete Post ihres Mannes. Dabei fiel ihr ein großer, brauner Umschlag mit der Absenderadresse des Firmenanwaltes auf. Es war die unterzeichnete Vertragskopie zum Verkauf der tschechischen Firma. Anna überflog den Inhalt des Vertrages mit einer gewissen Neugier und blieb mit ihren Augen auf der letzten Seite, bei der Unterschrift ihres Mannes unvermittelt hängen. „Fiodr, Du verdammter, schlauer Scheißkerl!“ sagte sie zu sich selbst und brach in ein hysterisches Lachen aus. Dies war eindeutig Fiodr Youls Handschrift und von den Anwälten und Partnern rechtsgültig gegengezeichnet worden. Fiodr hatte so ein typisches „F“ für seine Unterschrift und sein „Y“ vom Nachnamen war auch ganz markant.
Aber, anstatt der Unterschrift stand auf diesem Vertragsdokument eindeutig:
(Fuck You!)
Prag, 08.03.2010:
„Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat‘s genommen ... und der Herr hat’s wieder zurückgegeben ...“