Ende Februar 2010, München
JP hatte das Gefühl, dass ein einzelner Mann nicht noch mehr Arbeitslast tragen konnte. Alles ballte sich über ihm zusammen – die beiden eigenen Projekte Datenqualität und Anbindung der Produktionen an die SAP-Systeme waren unglaublich arbeitsintensiv. Zuerst war es ein Horror, sich für das richtige Softwareprodukt, dann für das richtige Systemhaus und die entsprechenden Fachleute zu entscheiden und letztendlich musste man selbst und auch die Kollegen viel lernen, um irgendwann eigenständig weiterarbeiten zu können. Franz Korber war kaum noch zu greifen und reiste ständig zwischen den IT-Centern in Spanien und Schottland hin und her. JP kam es so vor, als würde er alleine die deutsche Zentrale führen.
Sein Privatleben war kaum noch vorhanden und selbst seine klammersüchtige Schmuse-Freundin Julietta, die Boutique Besitzerin aus Schwabing, schien inzwischen die Lust an ihm zu verlieren. Aber hier war er sich ohnehin nicht sicher, ob er dies nicht sogar provoziert und bewusst drauf angelegt hatte. Es fing alles so gut an mit Julietta. Im Juli lernten sie sich am Starnberger See in Tutzing in seinem Lieblingsbiergarten „Häringswirtschaft“ kennen. Sie war in Begleitung mehrerer Mädels, er mit ein paar Kumpels unterwegs. Man hatte zusammen geflachst und gelacht und dann kam es, wie es immer kommt, wenn ein Mann und eine Frau sich gut verstehen.
An diesem Sommerabend waren JP und jeder seiner drei Freunde mit einem Mädel nach Hause gegangen – nein, Herbert sogar mit zwei. Damit hatte er Wochen danach noch angegeben. Inzwischen hatte sich Herbert allerdings nur noch für Susanne entschieden und schmiedete sogar Hochzeitspläne. JP würde gerne den Trauzeugen abgeben – aber ein Termin war noch nicht vereinbart. JP verlebte mit Julietta eine ganz tolle Zeit! Sie hatte italienische Vorfahren und unterhielt sich gerne in Italienisch, damit sie nicht aus der Übung kam. Ihre Eltern lebten inzwischen wieder in Italien und sie und ihre beiden Brüder sprachen nur deutsch miteinander. Anfang Oktober verbrachten sie einen sensationellen einwöchigen Urlaub am Gardasee und JP spürte mal wieder so richtig Hummeln im Bauch und war drauf und dran, sich in Julietta zu verlieben.
Aber irgendwie ebbte dieses Gefühl wieder ab, bevor es sich richtig entfalten konnte. JP wusste gar nicht warum – Julietta traf wirklich keine Schuld! Er war verkorkst und herzensgeschädigt. Seine große Liebe saß leider nicht ganz freiwillig in New York fest. Rational konnte er diese Verbundenheit zu seiner Vergangenheit ohnehin niemandem erklären. Aber wer kann schon Emotionen rational erklären? Julietta war geradezu putzig um JP bemüht, sie kaufte ein, bekochte ihn, verwöhnte und bewunderte ihn, badete mit ihm gemeinsam in der Badewanne und wollte einfach so viel wie möglich Zeit mit ihm verbringen. Aber das ging JP mehr und mehr auf die Nerven. Er fühlte sich eingeengt, in seiner Freiheit beschnitten, bei seinem Hobby behindert. Er hasste sich dafür!
Er fand sich selbst äußerst ungerecht Julietta gegenüber und hätte ihr einen besseren Freund als sich selbst gewünscht. Er hoffte, dass sie vielleicht jemand Nettes kennenlernen und von sich aus Schluss mit ihm machen würde. Schon zum Winteranfang hatte er wieder andere Freundinnen nebenbei und provozierte es, dass Julietta dies bemerken und zumindest aus diesem Grunde endlich mit ihm brechen würde. Er selbst traute sich einfach nicht, diesen Schritt zu tun. Wie sollte man mit jemandem Schluss machen, der nichts falsch macht und nebenbei noch eine ganz tolle Frau war.
Nun gut, der Job hatte ihm vielleicht diese „Fairness gebietende“ Pflicht, auch sie in ihre Freiheit zu entlassen, abgenommen. Im Moment war sie sehr verärgert und wollte ihn nicht mehr sehen. Es war wiedermal einer dieser späten Abende, – dunkel war es ohnehin schon seit Stunden – wo die Putzkolonne schon mit dem Staubsaugen fertig und niemand mehr außer JP im Büro war. Einer der jungen Praktikanten, Anton Hirma, den JP nur vom Sehen kannte, kam in sein Büro und stammelte, ob er noch stören dürfe. Ihm sei etwas aufgefallen, das er sich nicht erklären könne und sein direkter Chef sei gerade im Skiurlaub. Er habe die Aufgabe, die Produktionsdaten von Außenspiegeln, Lenkrädern und diversen Innenraumausstattungen zu analysieren und Abgleiche auszuwerten. Bei einigen Dingen könne er sich einfach keinen Reim darauf machen. Es müsste wohl ein Fehler im Computerprogramm sein.
JP fand es zunächst befremdlich, dass ihn dieser Anton Hirma siezte, zumal sie an Jahren nicht weit auseinanderlagen. Aber er hörte sich interessiert an, was der junge Kollege zu erzählen hatte. Zuerst dachte er, dass es sich um einen Bedienungsfehler von Herrn Hirma handelte, dann verglich er die angewandten Formeln und Abfragelogiken. Er war baff erstaunt! Da stimmte etwas nicht! Der Kollege hatte,
a) weil er die Zeit dazu hatte und
b) weil er es einfach konnte, hier einen echten Fehler der Datenqualität entdeckt.
JP bedankte sich ganz herzlich bei Herrn Hirma und verabschiedete sich nach gut zwei Stunden gemeinsamer Fehlersuche. Er würde sich darum in den nächsten Tagen kümmern. Hirma sollte inzwischen nicht mit anderen über seine Entdeckung sprechen. JP war eigentlich schon auf dem Parkplatz, als ihm diese immer wiederkehrenden Mengenfehler, die Hirma entdeckt hatte, nochmals durch den Kopf gingen. Prompt machte er kehrt und legte eine lange Nachtschicht ein. Er musste ein paar Skripte auf die virtuelle Reise durch die Malinger IT-Systeme schicken, um am nächsten Morgen frühzeitig ein paar Ergebnisse in Form von Reports vorliegen zu haben.
Erst um 03:45 Uhr verließ ein völlig ermatteter JP Santa Cruz sein Büro. Die Suche hatte sich schon jetzt gelohnt. JP würde nun kaum schlafen können, aber er musste morgens vor 06:45 Uhr schon wieder im Office sein, um die weiteren Reports abzufangen, bevor die Kollegen mit der Arbeit begannen. JP war erschöpft, aber innerlich total aufgewühlt.
Es wäre ihm lieber gewesen, er wäre nicht fündig geworden, nicht so!