Montag, 10. Mai 2010
Montage, deren Arbeitsvolumen sich derart übermächtig auftürmten, dass man, nach schlechtem und kurzem Schlaf, regelrechte Angst vor dem Aufwachen hatte, konnten nichts Gutes bringen. Dr. Elisabeth Drager hatte miserabel bzw. eher kaum geschlafen. Dennoch wollte sie heute lieber nicht aufwachen. Schlechte Träume – böse Vorahnungen! Es war gerade mal sechs Uhr morgens und das Telefon klingelte und klingelte. Um diese Uhrzeit! Das konnte nichts Gutes bedeuten und Elisabeth hatte im Moment genug Sorgen. Ihr Maß war bereits randvoll!
Dennoch ging sie nach einiger Zeit an den Apparat. „Elisabeth, ich schmeiße heute Angus McGregor raus. Fristlos. Erledige das!“, schrie Joseph Malinger ihr förmlich ins Ohr. Er war offensichtlich unglaublich wütend. „Onkel Joseph, Dir auch einen guten Morgen! WAS willst Du? Wir haben genug Probleme mit dieser Explosion! W a s s o l l d a s, bitte? Sehr schlechter Zeitpunkt für Witze!“ „Der Scheißkerl hat mich hintergangen! Er hat eine zweite Familie mit zwei Kindern in London und klaut mein Geld und lebt damit auf großem Fuß! Ich weiß noch nicht wie, aber der Mistsack bestiehlt mich im großen Stil! Ich bin so derart sauer und fühle mich verraten! Dieser schottische Bastard wird das noch bereuen!“ „Moment, Moment, Onkel Joseph! Was machst Du hier für Anschuldigungen? Du hast keine klaren Beweise und willst unseren Finanzchef, Deinen Schwiegersohn, rausschmeißen, einfach so?? Und das in der momentanen Krise! Bei Gott, wir haben im Moment wahrlich genug Probleme und Sorgen!“ „Elisabeth, ich weiß genug und bin mir ganz sicher! Ich mochte den Kerl noch nie! Er ist raus, ab sofort! Bitte veranlasse das umgehend. Sperrung aller Zugriffsrechte innerhalb der Firma und aller Bankkonten und kein Zutritt mehr zu den Büroräumen. Ich habe den Sicherheitsdienst in Schottland informiert. Der kommt mir nicht mehr ins Haus!“ „Onkel Joseph, wir kommen damit vor keinem Arbeitsgericht durch! Das kostet Dich ein Vermögen an Abfindung. Überleg es Dir – Du darfst so eine wichtige Sache nicht überstürzen.... Du bist doch sonst nicht so emotional...“ „Hör auf Elisabeth! Ich will keine Argumente hören! Ich habe es mir reiflich überlegt und ich habe mich definitiv entschieden! Es wird keine Klage vor einem Arbeitsgericht geben und wir werden keinen Cent an Abfindung bezahlen. Und wenn doch, ist es mir auch egal. Ich werde diese Sache nicht an die große Glocke hängen, werde ihn nicht anzeigen, aus Rücksicht auf meine Tochter und meine Enkel. Und er wird kuschen, glaube mir! Wirst Du alles Nötige sofort für mich veranlassen?“ „Onkel Joseph, Du solltest das in Ruhe und ohne Emotionen mit Deinen Geschäftsführern besprechen. Wir ...“ „Genug geredet, Elisabeth! Das ist meine Firma und ich werde es weder mit der Geschäftsleitung diskutieren noch besprechen. McGregor ist draußen! Das ist mein letztes Wort! Wer mich verrät, der muss bluten! Kein Cent Abfindung! Firmenkreditkarte sofort sperren! Firmenauto sofort abgeben! Zahlungen für die Villa und das Hauspersonal sofort einstellen! Gehalt wird für Mai keines mehr bezahlt! Das ganze Programm! Kümmere Dich darum! Sofort!! Bis später im Büro.“ Tutut ... aufgelegt! Das Freizeichen im Telefon dröhnte in Elisabeth Dragers Ohr. Ein schlechter Anfang für einen Arbeitstag! Sie hätte weiterschlafen sollen.
Der Haufen an Problemen war damit nochmals exponentiell angewachsen. Sie musste unbedingt telefonieren....
***
Es war gerade mal 6:45 Uhr und Angus McGregor befand sich schon im Auto und knapp vor dem Malinger Werk in Schottland. Er war kein Frühaufsteher, aber die Notwendigkeit zur raschen Handlung hatte ihn ohnehin nicht schlafen lassen. Schon den gesamten Sonntag hatte er über die Lösung des Problems „Liquiditätsengpass“ nachgedacht. Und er hatte wohl einen Kompromiss gefunden. Das Projekt für den heutigen Montag und morgigen Dienstag hieß: „Zehn Millionen Euro bei Malinger ausleihen, ohne dass es jemand merkt“. Aber das alles war bei Leibe nicht einfach! Die Betonung dabei lag auf „ohne dass es jemand merkt“. Das Wörtchen „ohne“ hörte sich so einfach an, war es aber nicht. Einen kleinen Betrag bis 500.000,- Euro hätte er in der momentanen Katastrophensituation relativ leicht freimachen können, ohne dass es die nächsten acht Monate bis zum Jahresabschluss irgendjemanden aufgefallen wäre. Aber zehn Millionen fielen definitiv auf, zumal die Malinger Finanzen sehr gut strukturiert und auf mehrere regional verantwortliche Köpfe verteilt waren. Und irgendeiner davon würde Joseph Malinger sofort informieren, selbst wenn Angus McGregor der unmittelbare Vorgesetzte war. Der alte Joseph Malinger wurde respektiert und war unglaublich gut intern vernetzt.
Joseph war sehr viel beliebter bei allen Angestellten, den Abteilungsleitern und den Führungskräften als McGregor. Malinger senior war immer äußerst vorsichtig und sehr misstrauisch und hatte von Anfang an alles mit „doppelter Reißleine“, d. h. auf diverse Personen verteilt, organisiert. McGregor wusste nicht, an welcher Stelle versteckte Kontrollen eingebaut waren und wie häufig Joseph Malinger seine Stichproben machte. Hinzu kam, dass Menschenführung und -motivation bei Leibe nicht die Stärken von Angus McGregor waren! Im Gegenteil! Die Liste der verärgerten Kollegen war wesentlich länger als die seiner Fans. Zwei von Angus‘ direkten Mitarbeitern warteten schon seit Jahren nur auf irgendeinen groben Fehler ihres Chefs. Sie würden mit größter Freude ihm einen Strick daraus drehen und genüsslich zusehen, wie er langsam daran erstickte. Hinzu kam, dass Joseph Malinger durch die Explosion in der zentralen IT-Abteilung in München und die momentanen Produktionseinbußen ganz besonders die Finanzen seiner Firma im Auge behielt.
Alles in allem keine einfache Situation für Angus und ein schlechter Zeitpunkt. Die Partner meinten blauäugig, es wäre alles so einfach: Grapsch – ein Griff in den Pensionsfonds und schon stehen zehn Millionen Euro zur Verfügung.
Natürlich lagen dort viele hundert Millionen Euro, aber niemand der Malinger-Gruppe konnte in den Mitarbeiter-Pensionsfond greifen oder über diese Gelder verfügen. Selbst Joseph Malinger nicht. Das Geld war faktisch nicht mehr im Besitz des Malinger Konzerns. Dieser Fonds wurde treuhänderisch von einem externen Fondsverwalter gemanagt. Eine Auszahlung erfolgte ausschließlich in kleinen Monatsbeträgen, sofern der Empfänger im Pensionsalter oder ein Erbe eines Berechtigten war. Jeder Einzelbetrag über 5.000,- Euro wurde besonders sorgfältig geprüft und hinterfragt. Joseph Malinger hatte dieses System so eingerichtet, damit niemand Missbrauch treiben oder sich bereichern konnte. Im Prinzip war das vollkommen richtig und Sinn eines Mitarbeiter-Pensionsfonds. Die Gier einzelner Personen war eine menschliche Unart und davor musste man die kleinen Sparer und ihr Vermögen so gut es ging schützen.
Also blieb nur, viele Transfers zwischen den diversen europäischen Tochtergesellschaften zu machen und so Buchungen zu verschleiern. McGregor nannte dieses Projekt: Steuerliche Optimierung von Unternehmensgewinnen auf Konzernebene. Damit konnte er sein persönliches Eingreifen am Besten erklären. Derartiges war nun mal Chefsache. Er hatte dies auch in den vergangen Jahren sehr erfolgreich und im Sinne der Firma gemacht und die maximalen Vorteile aus legalen Steuerschlupflöchern oder lokalen Subventionen der jeweiligen Länder, wo die Malinger Gruppe Niederlassungen hatte, herausgeholt. Dass er bei diesen Gelegenheiten von den erwirtschafteten Überschüssen für sich und seine zwei Partner einen ordentlichen Prozentsatz erfolgreich abgezweigt hatte, wusste Joseph Malinger natürlich nicht.
McGregor, „Doc“ und „Berlin“ waren dabei immer vorsichtig und nicht übertrieben gierig gewesen. Da sie sich durch ihre jeweiligen Positionen gegenseitig deckten, konnte Derartiges nur sehr schwer entdeckt werden.
McGregor sah diese Manipulation der Steuererträge zu seinen Gunsten übrigens nicht als Diebstahl, der es rein rechtlich betrachtet selbstverständlich war, sondern als Gewinnbeteiligungs-Bonus.
Moral und Anstand waren nun mal Ansichtssache. McGregor ging gedanklich von vielen, vielleicht hunderten Transfers aus. Mit diesen vielen Umbuchungen konnte er etwas Zeit gewinnen, bis es irgendwo ernsthaft auffiel. Aber mehr als vier bis maximal sechs Wochen Zeit konnte er damit auch nicht gewinnen. Leider! Er musste jedenfalls bis dahin die geliehenen Gelder rückerstattet und ihre momentanen Liquiditätsengpässe irgendwie anders gelöst haben. Er selbst würde alle Barmittel zusammenkratzen, auch Aktien verkaufen und seine Immobilien bis zur Oberkante beleihen und zusätzlich das Vermögen seiner Frau und seiner Kinder anzapfen. Er wollte einfach nicht das Gesicht vor seinen Partnern verlieren. Aber nach Abschluss des großen Deals würden so viele Millionen bei ihm hängen bleiben, das dieses Risiko durchaus vertretbar war.
Wie seine beiden Partner das Geld bis dahin beschaffen würden, war ihm erst mal egal. Aber jeder würde irgendwie Opfer bringen müssen, egal welche. Wenngleich Angus in diesem Triumvirat sicherlich der finanziell ärmste Partner war.
McGregor war direkt vor dem Werkstor des schottischen Malinger Werkes, als sein Handy klingelte. „Hey, Doc Drager! Was verschafft mir die Ehre so früh am Morgen! Können Sie auch nicht schlafen?“, begann er den Dialog über die Freisprechanlage seines Audi Q7. „Hallo, McGregor, ich habe schlechte Nachrichten für Sie.“ „Schlechte Nachtrichten? Davon haben wir nun wahrlich schon genug. Moment, unser Wachmann vom Werkstor winkt mich zur Seite. Ich muss mal kurz aussteigen. Kann ich Sie gleich zurückrufen, Dr. Drager? Ich weiß nicht, was der von mir will.“ „Ich schon! Nein, McGregor, das können Sie nicht! Ich muss JETZT und SOFORT mit Ihnen reden! Steigen Sie erst mal nicht aus! Sind Sie allein im Auto?“ „Jawohl, Kollegin, was gibt´s?“
„Gut. Dann hören Sie mir jetzt ganz genau zu....“
***
JP konnte Montage noch nie ausstehen. Und schon gar nicht, wenn sie so frühmorgens schon mit Hektik und Unruhe begannen! Hauptkommissar Holzner war wiedermal die personifizierte gute Laune und redete wie ein Buch, bevor JP überhaupt seine Sinne gesammelt hatte. „Ihre Koma-Kranken-Story stinkt inzwischen, Santa Cruz! Wir müssen uns bald was Neues für Sie einfallen lassen! Leute wollen Sie ständig besuchen und man wird uns bald diese „Verschlechterung“ ihres Gesundheitszustandes nicht mehr glauben, irgendwas muss sich da mal ändern. Entweder lassen wir Sie sterben oder es geht Ihnen etwas besser, was meinen Sie, Santa Cruz?“, fragte Holzner soeben. „Holzner, seien Sie gnädig! Ich bin ja noch nicht mal richtig wach und Sie wollen mit mir diskutieren ob ich sterben oder weiterleben soll?“, murmelte JP und zog sich dabei sein Kopfkissen über den Kopf. „Wie spät ist es überhaupt?“ „Schon 6:54 Uhr! Ich bin schon seit Stunden wach, war schon joggen und habe ausgiebig gefrühstückt“, brummelte Holzner. „Das ist unmenschlich, was Sie hier mit mir machen, Holzner!!! Schon 6:54 Uhr! Ich fasse es nicht! Sind sie noch ganz dicht? Ich will Schmerzensgeld auf meine Prämie! Sie sind eine Zumutung für einen normalen Menschen!“, entgegnete JP und gähnte herzhaft. „Jetzt hören`s aber auf, Sie Weichei und Warmduscher! Sie kriegen fürs faule Herumliegen so einen Sack voll Geld, wie ich es im halben Jahr nicht verdiene. Aber ein bisschen was dafür tun müssen Sie schon. Also: was machen wir mit Ihrer Krankheitsgeschichte?“ „Holzner, Sie sind der Kripomensch, nicht ich. Denken Sie sich eine schlaue Geschichte aus und kommen sie um 8:00 Uhr wieder, dann können wir darüber reden – aber sterben will ich nicht! Schwere innere Verletzungen und Komplikationen müssen reichen! Was weiß ich. Aber lassen´s mich jetzt noch ein bisschen schlafen!“, brummte JP unter seinem Kopfkissen. „Nix da mit weiterschlafen! Die Dr. Gruber hat heute wieder Dienst, die kommt spätestens in zehn Minuten zur Visite. Ich möchte, dass Sie sich zumindest überlegen, wie Sie sie heute zum Erröten bringen. Ich brauche diese Einstimmung für einen guten Tag!“ Holzner zwinkerte vergnügt mit dem rechten Auge. „Holzner, Sie nerven! Ich bin nicht Ihr Clown! Ich spiele nicht mit der Frau Doktor, nur damit Sie Ihren Spaß haben! Sorgen Sie selber für einen guten Tag...“, blaffte JP und wälzte sich auf die Seite. Aber: Der Gedanke an Dr. Gabriela Gruber war sehr erfrischend und durchaus ermunternd...
Das Spiel zwischen den beiden wurde anspruchsvoller. Dr. Gruber war mittlerweile gewappneter und geübter im Parieren seiner verbalen Attacken. Ihr Erröten war keine Selbstverständlichkeit mehr und nicht mehr so einfach zu erringen.... „Einen wunderschönen Guten Morgen, Herr Santa Cruz! Wie ist heute Ihr Wohlbefinden? Haben Sie mich gestern vermisst?“ „Sehr sogar, Frau Dr. Gruber! Ich hoffe, Sie hatten einen wunderbaren und entspannten Sonntag!“, entgegnete JP mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. „Danke, danke Herr Santa Cruz! Ach, Herr Holzner, Sie kennen ja mittlerweile das Prozedere, würden Sie so nett sein und mich und Schwester Veronika die Visite machen lassen? Alleine, wenn‘s recht ist.“ Dr. Gruber wandte sich lächelnd an Holzner. Dieser verließ brummelnd, aber mit Augenzwinkern und erhobenen Daumen das Krankenzimmer. Dr. Gruber wandte sich an JP und fuhr fort: „Ihre Verletzungen heilen sehr gut ab. Hätten wir nicht diese „besonderen Umstände“, dabei deutete sie verheißungsvoll in Richtung Tür und damit auf die drei anderen Zimmer der Münchner Polizei, „dann könnten wir Sie wirklich schon bald nach Hause entlassen“... „Das wäre schön, Frau Dr. Gruber. Aber Holzner hat heute morgen gemeint, dass meine Krankheit nicht mehr reicht. Holzner will, dass ich sterbe....“, säuselte JP und senkte seine Augen.
Dr. Gruber riss ihre schönen Augen auf und starrte JP entsetzt an. Die erste, leichte Röte großer Erregung zeigte sich auf ihren Wangen. „Sterben?! Aber nein! Das werde ich auf keinen Fall zulassen und mit allen Mitteln zu verhindern wissen!“ entrüstete sie sich allen Ernstes. „Es geht doch nur um unsere Tarnungs-Story, Dr. Gruber. Aber ich bin hin und weg, dass Sie sich sofort und derart schützend vor mich schmeißen! Ich habe vom ersten Moment an gespürt, dass uns beide viel mehr verbindet als nur Ihre Absicht als Ärztin, einen Patienten zu heilen. Ich würde mich auch schützend vor Sie stellen und Ihr Leben durch meines retten! Vielen Dank, Dr. Gabriela!“ Die Ohren von Dr. Gruber wurden knallrot und die ersten nervösen Flecken zeigten sich im Ausschnitt. „Ah, äh, ich hatte das vorhin nicht so... ich verstehe ... äh, das werden wir schon … , ich denke mir was ‚ganz Spezielles‘ für Sie aus.“, stammelte Dr. Gruber. „Was ‚Spezielles‘ für mich ausdenken? Dr. Gabriela!? Uiuiui!! OK, ok, ich vertraue Ihnen vollkommen und gebe mich ganz ihrer Fantasie hin. Aber geben Sie mir bitte noch ein bisschen Zeit, ich will Sie ja schließlich voll und ganz zufriedenstellen.“, säuselte JP mit seiner besten Unschuldsmine.
Die nervösen Flecken hatten inzwischen das ganze Gesicht bedeckt und suchten Anschluss an die roten Ohren. „Herr Santa Cruz, Sie verdrehen mir wieder die Worte im Mund, meine Fantasie – ach, lassen wir das! Sie versuchen mich ständig zu brüskieren.“, stammelte Dr. Gruber auf dem Weg in Richtung Tür. „Dr. Gabriela“, hauchte ihr JP nach. Dr. Gruber blieb wie angewurzelt stehen, offensichtlich wider ihrer inneren Absicht. Man konnte förmlich spüren, wie sich ihre Ohren nach hinten richteten, obwohl ihr Gesicht abgewandt war. „Dr. Gabriela …“ JP machte eine lange Pause – „Ich versuche Sie auf keinen Fall zu brüskieren! Das würde mir niemals in den Sinn kommen! Dafür verehre ich Sie zu sehr! Ich will nur irgendwie durch Ihre äußere, etwas hart wirkende Schale zu Ihrem Innersten durchdringen. Ich will die zarte Glocke ihrer Gefühle zum Klingen bringen und eine beglückende Melodie der Übereinstimmung ertönen hören!“, setzte JP noch einen obendrauf. JP konnte Dr. Gruber nur von hinten sehen, da Sie bereits im Türrahmen, auf dem Weg nach draußen, stand. Ihre Ohren glühten derart, dass sie sogar den Krankenhausflur hätten erleuchten können. Langsam drehte sie sich um und ging zu JP ans Bett. Sie sah umwerfend aus mit ihrem glühenden Gesicht! „Herr Santa Cruz, ich bin Ihre Ärztin! Und als solche muss ich mein Innerstes mit einer „hart wirkenden Schale“ schützen. Die zarte Glocke meiner Gefühle gehört nicht ins Krankenhaus und an meinen Arbeitsplatz“, erwiderte sie so streng es ihr möglich war. „Das weiß ich wohl...! Ich, Giovanni Paul Davide Santa Cruz, ich bin aber nicht interessiert an der Ärztin Dr. Gruber. Mich interessiert ausschließlich die interessante, faszinierende Frau Gabriela Gruber!“, entgegnete JP und sah ihr fest in die Augen. „Die Frau Gabriela Gruber ist aber im Moment nicht erreichbar. Dennoch hört Sie sehr aufmerksam zu und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sie sehr wohl die ‚Glocken der Gefühle‘ erklingen lässt... aber außerhalb dieser Einrichtung....“ Damit ging Dr. Gruber erhobenen Hauptes aus dem Krankenzimmer. Die verlegene und völlig verdutzte Krankenschwester Veronika trippelte hinterher.
Ihr rotes Gesicht stand dem ihrer Chefin in nichts nach. Spiel, Satz und Sieg!
„Santa Cruz, Sie sind ein skrupelloser Sauhund!“, prustete Holzner mit tränennassen Augen, als er wieder zur Türe hereinkam. Er hatte wiedermal gelauscht und sich wohl krampfhaft das Lachen verkniffen, bis Frau Dr. Gruber außer Hörweite war. „Hahaha ... die Glocke ihrer Gefühle zum Klingen bringen, eine beglückende Melodie der Übereinstimmung ertönen lassen ... UNGLAUBLICH – für einen Computer-Fuzzi haben Sie eine ganz schön romantische Fantasie. Was für Sprüche der drauf hat! Heute haben Sie beide geglüht!! Hahaha, die Ärztin und die Schwester! Hahahha!“ „Hören sie Holzner, das finde ich gar nicht so witzig! Frau Gabriela Gruber interessiert mich wirklich als Frau. Sehr sogar! Das sind keine Sprüche, ich meine absolut, was ich sage!“, raunzte JP übellaunig. „Ach was, das sind doch nur leere Sprüche! Das tun Sie nur um diesen Super-Hasen ins Bett zu kriegen.... Ich habe Sie schon durchschaut, Santa Cruz. Wenn ich mir die Liste der hübschen Damen anschaue, die Sie gerne besuchen wollen und allesamt angeben Ihre feste Freundin zu sein, dann weiß ich genau, was Sie für einer sind.... Ein Italo-Deutsch-Amerikanisch-Argentinischer Don Juan Casanova sind Sie, das sieht man doch!“, polterte Holzner zwischen seinen Lachsalven.
„Gar nichts wissen Sie, Holzner! Sie kennen mich gar nicht! Lassen Sie diese blöden Sprüche! Ich mag das nicht! Ich nehme meine jeweiligen Beziehungen sehr ernst und ich bin kein Casanova, der nur die Frauen ins Bett kriegen will. Und außerdem geht Sie das gar nichts an! Hören Sie endlich auf zu lauschen und lassen Sie mich jetzt alleine und in Ruhe! Wir haben um 9:15 Uhr das nächste Meeting und ich muss mich noch vorbereiten. Ist wegen der Amtshilfe aus England schon was zurück?“, blaffte JP, sichtlich verärgert. Holzner verneinte die Frage und verließ das Krankenzimmer. Irgendwie war er sich bewusst, dass er hier zu weit gegangen war. Er hatte die Grenze zur Privatsphäre deutlich überschritten.
JP war nicht sein privater Kumpel, den er etwa seit Kindestagen kannte. JP war ein völlig fremder Mensch, der seit einer Woche mit Holzner versuchte zusammenzuarbeiten. Das ist ein ganz großer Unterschied!