Dienstag, 11. Mai 2010, München

 

Angus war ein Vorname, der Kraft und Vitalität ausdrückte. So hieß eine kräftige Rinderrasse, so hießen wilde, unbeherrschte Hochland-Schotten und unbeherrschte Iren. Aber so hieß auch ein Schotte, der zwar mit seinen fast zwei Metern die angsteinflößende körperliche Größe einbrachte, der aber mit seinem momentanen Erscheinungsbild alle anderen Attribute ganz und gar nicht ausdrückte. Es war Angus McGregor, ehemaliger Finanzchef des Malinger Konzerns, wahrscheinlich ehemaliger Schwiegersohn von Joseph Malinger und möglicherweise ehemaliger Partner eines erfolgreichen Verbrecher-Syndikates. Der gefallene Angus! Der personifizierte, zwei Meter große Loser – geballtes Elend, mangelndes Selbstwertgefühl und über Nacht um zehn Jahre gealtert. Was für eine Metamorphose! Vom arroganten, vor Selbstsicherheit strotzenden Finanzmanager zum jämmerlichen, rückgratlosen Bittsteller.

Es war gerade mal 26 Stunden her, dass Angus McGregor seinen Audi Q7, seinen Firmenausweis, sein Firmenhandy und seine Firmenkreditkarten dem Sicherheitsmann am Werkstor abgeben musste. Während dies geschah, fuhr die halbe Mannschaft der Frühschicht am Werkstor vorbei und wunderte sich, was der Herr Direktor so lange im Wachhäuschen zu erledigen hatte. Was für eine Schande! Nur sein Notebook konnte er vorübergehend behalten, wegen seiner privaten Daten. Nicht einmal seine GPRS-Karte zum Einwählen per Handy ins Internet konnte er behalten. Er hatte kaum genügend Bargeld, um das Taxi nach Hause zu bezahlen.

„Nach Hause“, was für eine Farce! Die Gemütlichkeit und kuschelige Atmosphäre der Antarktis empfing ihn. Seine Frau wusste inzwischen Bescheid. Sie verweigerte jegliches Gespräch. Ihr ganzer Körper drückte Vorwurf und Ablehnung aus. Die Kinder waren zum Glück nicht da. Angus ging in sein privates Büro und wollte seine Gedanken sammeln. Aber er war paralysiert. Es wollte ihm nicht gelingen, sich zu konzentrieren oder an einer Lösung zu arbeiten. So gegen 11:00 Uhr beschloss er wie ferngesteuert, sich per Computer ins Firmennetz einzuwählen. Zugriff verweigert. Egal, mit welchem Trick oder Umweg er es versuchte, er war raus aus dem Malinger Konzern. Er versuchte den Zugang zu den Bankkonten der Firma Malinger. Zugriff verweigert. Joseph Malinger hatte nicht lange gefackelt. McGregor hatte immer gewusst, dass der Alte knüppelhart war. Er hatte das immer bewundert und er hatte es immer gehasst.

Er hatte gewusst, dass Joseph Malinger ihm seine zweite Familie nicht verzeihen würde. Deshalb hatte er sie über all die Jahre vor dem Alten versteckt. Er hatte immer gehofft, dass der Alte bald den Löffel abgeben würde. Schließlich war er schwer krank. Aber nein! Nun hatte er McGregor erwischt und knallhart an den Eiern gepackt. Seine beiden deutschen Geschäftspartner gingen sofort und spürbar auf Abstand. „Doc“ war ganz klar und deutlich am Telefon: „McGregor, jammern Sie nicht herum wie ein altes Waschweib! Ergreifen sie Initiative und fixen Sie das Schlamassel, in das Sie ihr Schwanz gebracht hat. Schießen Sie ihre Geliebte in London sofort in den Wind und rutschen sie vor dem Alten auf Knien, wenn es sein muss! Aber kriegen Sie die Sache hin. Sofort! Was glauben Sie, welches Interesse unser russischer Freund noch an Ihnen haben wird, wenn Sie von keinerlei Nutzen mehr für ihn oder für uns sind?? Sie haben ein Problem! Wir aber auch! Wie sollen wir jetzt so viel Geld für die Tschechen beschaffen? Sie haben uns furchtbar in die Scheiße geritten! Wie viel Geld können Sie jetzt noch innerhalb der nächsten 48 Stunden aus eigenen Mitteln beschaffen?“

Ja, wie viel Geld konnte Angus nun wirklich noch beschaffen? Diese Rechenaufgabe beschäftigte ihn den ganzen Nachmittag. Bei seinen Immobilien war seine Frau zu mindestens 50% Miteignerin, da ging nicht mal eine Beleihung ohne ihr Einverständnis. Seine Aktien waren veräußerbar, viele aber nicht ohne Verluste und seine Überziehungskredite würden sofort fällig gestellt, sobald die Bank von seiner fristlosen, unehrenhaften Kündigung erfuhr.

Und wer hatte schon Bargeld rumliegen? Mit gutem Willen und zugedrückten Hühneraugen konnte er aus seinem Privatvermögen binnen 48 Stunden 89.783,- Pfund Sterling, 27.312,87 Euro und 28.745,- US-Dollar an Barmitteln aufbringen. Schon mehr Geld, als die Meisten binnen dieser Frist auf die Beine stellen konnten, dennoch ein Universum entfernt von den 3,3 Millionen Euro, die sein Anteil für die tschechische Firma war. Mit diesen weinigen Prozenten von der zu erbringenden Barsumme konnte er sicherlich keine Punkte bei den Partnern machen. Dramatisch war auch, dass McGregor ohne diese Barmittel fürs Erste blank war und keine Reserven für die nächsten Monate mehr hatte. Eigentlich nicht verantwortbar, das Geld für dieses Projekt einzusetzen. Es war aber auch nicht möglich, es eventuell nicht zu tun. McGregor und seine Geschäftspartner verband einzig und allein Geld! Dies war ihr alleiniger Vertrag und Garant für gute Zusammenarbeit. Es gab sicher keine Freundschaft und sehr wenig Sympathie füreinander. Wenn das Geld nicht mehr floss, war die Partnerschaft und das Spiel zu Ende. Zack! Das ging ganz schnell! Genauso schnell wie er bei dem Malinger Konzern kalt gestellt worden war. Und nochmals aus dem Spiel zu fliegen, das konnte sich McGregor absolut nicht leisten.

Mit diesem Wissen setzte er sich am Montag Abend in den Flieger nach München und beschloss seinen (Noch-)Schwiegervater auf Knien und mit Engelszungen um Verzeihung zu bitten und zu seiner Wiedereinstellung zu bewegen. Die ganze Nacht saß er nun schon in seinem Mietwagen vor Joseph Malingers Villa und wartete auf Einlass. Er war unrasiert und stank bestimmt fürchterlich. Joseph Malinger war, wie immer, knüppelhart. McGregor bewunderte und hasste ihn dafür, wie immer. Erst gegen 9:00 Uhr kam die langjährige Haushälterin von Joseph Malinger an den Mietwagen und klopfte an die Scheibe. „Entschuldigung, Herr McGregor. Herr Malinger will Sie eigentlich nicht vorlassen, aber ich konnte ihn, äh ... sagen wir mal ... überzeugen ... Sie haben genau zehn Minuten ... Er muss dann weg zum Termin in die Firma. Er ist oben in seinem Arbeitszimmer, gehen`s jetzt rein und reden´s mit ihm, Herr McGregor. Ich hoffe für ihre Familie, dass sie was erreichen können!“

 

***

 

„Kollegen!“ Dr. Ott, Staatsanwalt München, machte eine Pause und sah mit forschendem Blick, der absolute Aufmerksamkeit erzwang, auf die anwesenden Personen im improvisierten Einsatzzentrum des Krankenhauses München-Schwabing. Der Raum war brechend voll, die Luft schlecht. Selbst JP konnte nur sitzend teilnehmen, es wäre kein Platz für sein Krankenbett gewesen. Aber außer ihm konnte niemand sitzen. Der Platz reichte einfach nicht aus. „Kolleginnen, Kollegen! Wir haben in der Sache Malinger gewaltige Fortschritte gemacht. Unser externer Berater Herr Santa Cruz hat trotz seiner Verletzungen sehr viel zur Beschaffung von Beweismitteln beigetragen und uns von Anfang an auf die richtige Ermittlungsspur gebracht. Herr Hauptkommissar Holzner hat hervorragende Ideen zur Ermittlung des möglichen Attentäters und Mörders eingebracht und unsere Zusammenarbeit und Abstimmung ausgezeichnet koordiniert. Aber jeder von Ihnen im Ermittlungsteam hat hervorragende Arbeit geleistet und ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Einsätze! Wir haben festgestellt, dass der Grund für den Anschlag auf das Rechenzentrum der Firma Malinger, bei dem vier Personen zu Tode gekommen sind, etliche verletzt wurden und erheblicher Sachschaden entstanden ist, die Vernichtung von Beweismaterial rund um diverse Wirtschaftsdelikte ist, deren gesamtheitlichen Umfang wir noch gar nicht richtig ermessen und abschätzen können. Dennoch dürfen wir uns noch nicht auf unseren Erfolgen ausruhen! Im Gegenteil, wir sind erst am Anfang und kratzen noch an der Oberfläche eines unglaublich tiefen Sumpfes von kriminellen Finanzmanövern und Delikten.

Unsere schöne Stadt München ist vergleichsweise ein ruhiger Ort. Wir kennen derartige, verbrecherische Machenschaften eigentlich nicht oder nicht in diesem Umfang. Und wir wollen Derartiges nicht zulassen und werden mit aller juristisch vertretbarer Härte durchgreifen! Sie haben mein Wort, dass wir diesen Sumpf vollständig trocken legen werden! Und wir werden alle Beteiligten, aber vor allem die Verantwortlichen und Strippenzieher für viele Jahre hinter Gitter bringen. Sie alle in diesem Raum sind zu absolutem Stillschweigen – auch Ihren Lebenspartnern gegenüber – verpflichtet!

Sollte auch nur das Geringste von unseren Ermittlungen nach außen dringen, werde ich nicht ruhen, bis wir die undichte Stelle identifiziert und den oder die Schuldigen mit aller Konsequenz zur Rechenschaft gezogen haben! Sie wissen, dass ich den Ruf eines „sehr bissigen, scharfen Hundes“ habe! Ja, den habe ich mir in den letzten Jahren redlich verdient und erarbeitet und ich bin stolz darauf! Aber ich bin nicht nur ein „bissiger und scharfer Hund“, sondern werde zur unerbittlichen, blutrünstigen und nachtragenden Bestie, wenn es um die Aufdeckung von Indiskretion oder Verrat an unserer Arbeit geht. Es können dadurch erhebliche Schäden an Menschen und der erfolgreichen Strafverfolgung entstehen und das ist nicht akzeptabel! Da hört jeglicher Spaß auf!

Wir verfolgen in diesem Falle einen für die Kripo in München sehr ungewöhnlichen und speziell für mich bisher unbekannten Ermittlungsweg der Beweismittelbeschaffung. Sie kennen alle unsere Tarnstory, was die Person von Herrn Santa Cruz angeht – daran wird weiterhin unbeirrt festgehalten. Dieser neue Weg zur Beschaffung von Beweismitteln hat uns Informationen gebracht, die wir sonst nicht in dieser kurzen Zeit bekommen hätten. Zusätzlich hätten wir sonst womöglich in eine falsche Richtung ermittelt. Sie wissen, wir verfolgen das Ziel, die „dicken Fische“ und nicht nur die kleinen Handlanger ins Netz zu bekommen! Und das gelingt uns nur, wenn wir weiterhin im Verborgenen unsere Netze auslegen, unsere Ermittlungen machen und Beweismaterial sammeln. Deshalb nochmals: Nichts, ich wiederhole NICHTS verlässt unsere Behörden nach draußen!! Haben wir uns alle verstanden?“ Dr. Ott sah mit unmissverständlichem und durchdringendem Blick in die Runde. Jeder der Anwesenden nickte oder brummte sein Einverständnis. Niemand bezweifelte, dass jedes Wort von Dr. Otts Drohung ernst gemeint war. Jeder kannte Dr. Ott und seinen Ruf und es gab tatsächlich zur Zeit in Bayern keinen unerbittlicheren und bösartigeren Staatsanwalt.

Dr. Ott nahm seinen Monolog wieder auf: „Gut! Dann sind wir uns alle einig. Wir haben hier und heute eine Menge neuer Kollegen im Raum. Herr Hauptkommissar Holzner, fassen Sie bitte den Stand der Ermittlungen für alle Neulinge zusammen, damit wir alle auf gleichem Wissensstand sind und die anstehenden Aufgaben sinnvoll verteilen könne.“

„Danke Herr Dr. Ott! Also: Die Explosion vom 30.04.2010 im Rechenzentrum der Firma Malinger sollte Beweismaterial vernichten. Wir ermitteln in diesem Zusammenhang auch wegen dreifachen Mordes, fünffacher schwerer Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge und natürlich Sachbeschädigung. Im Rahmen dieser Ermittlungen decken wir zusätzlich auch eine Wirtschaftskriminalität auf, bei der es bis jetzt um Steuerhinterziehung, Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Bilanzmanipulation, Plagiatehandel, Zollvergehen und wahrscheinlich noch um viele andere Delikte wie z.B. Erteilung von Mordaufträgen, geht. Es ist uferlos! Geschädigte sind in hohem Maße der Freistaat Bayern, der deutsche Staat und das Münchner Unternehmen Malinger Autoteile GmbH & Co. KG.

Wir haben einen unbestätigten Verdacht bezüglich des Attentäters und Verursachers der Explosion, den wir in Söldnerkreisen vermuten. Diese Person ist aber noch nicht eindeutig identifiziert. Die Kripokollegen Mayerhofer und Wolf kümmern sich zur Zeit ausschließlich um diese Angelegenheit.

Wir gehen von maßgeblich beteiligten Mitarbeitern innerhalb des Malinger Konzernes aus. Eine der beteiligten Personen ist höchst wahrscheinlich Herr Franz Korber, der möglicherweise der Grund für die Explosion im Rechenzentrum war. Herr Korber hat aller Wahrscheinlichkeit nach in den Großrechnern seines Arbeitgebers wesentliche Beweismittel der erwähnten Wirtschaftskriminalität versteckt und die Explosion sollte diese wohl vernichten. Der Attentäter wollte die Benennung des Standortes der Beweismittel von Herr Korber mittels schwerer Folter in Erfahrung bringen. Anschließend wurde Herr Korber mit bloßer Hand mittels Genickbruch ermordet.

Anscheinend wusste der Attentäter dadurch, dass die Informationen im Rechenzentrum der Firma Malinger versteckt waren und versuchte mittels Sprengung und Feuer die maßgeblichen Rechner zu vernichten. Die Hardware wurde zwar dadurch massiv beschädigt, aber wir konnten einen Teil der gesuchten Daten dennoch  sicherstellen. Bis heute haben wir aber noch keinen Zugang zu den versteckten Dateien von Herrn Korber, die in hochgesicherter Form und 128 Bit verschlüsselt abgelegt sind. Unsere besten IT-Spezialisten arbeiten an einer Entschlüsselung.

Eine weitere, der sehr wahrscheinlich beteiligten Personen ist der Finanzchef, sorry, Ex-Finanzchef, wenn wir den heutigen Zeitungen Glauben schenken dürfen, der Malinger-Gruppe. Der Schwiegersohn des Firmeneigners, Herr Angus McGregor, englischer Staatsbürger, wohnhaft in Glasgow, Schottland. Die Kollegen der Polizei in Schottland sollen per Amtshilfeverfahren einige Informationen beisteuern, die zum Teil noch nicht eingetroffen oder ausgewertet sind. Für die Beweismittelbeschaffung zuständig sind die Kollegen um Kommissar Albert Adlon. Herr Santa Cruz hat dafür ein Dossier erstellt, das erst mal Grundlage für die weiteren Untersuchungen ist.

Wir hegen auch konkrete Verdachtsmomente gegen den Wirtschaftsprüfer der Firma Malinger, Dkfm. Hans-Joachim Fuchs, Eigentümer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Fuchs & Partner aus Berlin. Für die Recherche zu dieser Person und die Beweismittelbeschaffung sind die Kollegen unter Hauptkommissar Berger verantwortlich. Herr Santa Cruz wird noch wesentliche Hinweise für detaillierte weitere Ermittlungen beschaffen.

Wir haben noch eine verdächtige Person aus dem Hause Malinger, möglicherweise aus dem Management. Wir kennen die Identität dieser Person noch nicht und kennen sie nur unter der Bezeichnung „Doc“. Wir vermuten, dass sich „Doc“ auf einen Titel bezieht, also für „Doktor“ steht, aber es könnte auch eine ganz anders gelagerte Abkürzung sein, z. B. für ein Hobby. Sollte es für den Titel „Doktor“ stehen, kämen alleine innerhalb der Malinger Geschäftsführung drei mögliche Kandidaten, innerhalb der Firma Malinger in Deutschland insgesamt acht Personen und innerhalb der gesamten Firmengruppe vierzehn Personen, ohne Dr. Angus McGregor, in Frage. Aber zur Zeit ist noch keine dieser Personen – außer McGregor – verdächtig oder eindeutig identifiziert. Das obere Management ist unsere primäre Vermutung, aber es könnte durchaus auch ein Abteilungsleiter oder ein „kleinerer“ Angestellter der deutschen Firma Malinger, der international tätigen Firmengruppe oder aus einer der Tochtergesellschaften sein. Wir wissen es einfach noch nicht! Wir vermuten in dieser Person das „Gehirn“ des, wie soll ich sagen, „Verbrecher Syndikates“.

„Doc“ ist jedenfalls ein sehr, sehr vorsichtiger Mensch und wir müssen unsere Ermittlungen auch extrem vorsichtig weiterführen, da wir diese Person sonst womöglich in die Flucht schlagen. Zusätzlich kann es noch mehrere Mitarbeiter innerhalb der Firma Malinger geben, die vielleicht in kleinerem Umfang mit verstrickt bzw. Mittäter sind, möglicherweise auch ohne ihr Wissen. Diesen Teil der Ermittlungen unterstützt zukünftig die Abteilung des Kripokollegen Johann Solon.

Die Beweismittelbeschaffung auf elektronischer Ebene machen wieder maßgeblich Santa Cruz und sein Team.

Eine Verbindung auch in Richtung Mafia, Camorra oder Ähnlichem ist per heutigem Stand durchaus möglich, aber nicht bestätigt. Vor ein paar Monaten gab es bei der Firma Malinger einen polizeilich erfolgreichen Zugriff wegen Wirtschaftsspionage, wo ein hinlänglich bekanntes Mitglied, einer dieser Verbrecherorganisationen beteiligt war. Dieser festgenommene Täter wurde während seiner Haft in der Münchner Untersuchungsanstalt von einem Heckenschützen per Kopfschuss liquidiert.

Einer unserer Polizeikollegen und die Freundin des mutmaßlichen Wirtschaftsspions sind bei der Festnahme auch ums Leben gekommen. Sie erinnern sich wahrscheinlich alle an diesen tragischen Fall. Wir vermuten eine Verbindung unserer vorliegenden Delikte zu dieser Sache und wähnen die gleichen Drahtzieher dahinter.

Alle Fäden der Ermittlung laufen nach wie vor ausschließlich bei Dr. Ott und mir zusammen. Meine Damen, meine Herren, diese Sache hat das Potential für eines der spektakulärsten Wirtschaftsdelikte der Geschichte Bayerns. Glauben Sie mir: Wir können damit Kriminalgeschichte schreiben.“

Hauptkommissar Holzner hatte seine Plattform zur Selbstdarstellung gefunden und genoss sichtlich seinen Ruhm. Er war völlig durchdrungen von der Wichtigkeit seiner Mission und war der eindeutige Star im Raum. Er hinterließ ein Flipchart voller wilder Kritzeleien, deren künstlerischer Wert mit der Zeichenkunst eines lebhaften Dreijährigen vergleichbar war. Aber seine Zusammenfassung war sehr verständlich und gut strukturiert. Holzners Referat ging noch bis zur Mittagspause und er analysierte ein Detail nach dem anderen. Holzner machte seine Sache wirklich sehr gut und hatte die Ermittlungsarbeit und Koordination der polizeilichen Bereiche offensichtlich voll im Griff.

JP war positiv überrascht! Er hatte Holzner eine solch kompetente Zusammenfassung gar nicht zugetraut. Hinter der Maske des jovialen, kumpelhaften Typen steckte ein sehr wacher und analytischer Verstand mit großem Talent zur Führung und Koordination von Kollegen und Arbeitsprozessen. Der Kreis der Mit-Ermittler war inzwischen wieder einmal größer geworden und wenn zukünftig noch mehr Beamte hinzugezogen wurden, würde der Platz des umgewandelten Krankenzimmers ganz bestimmt nicht mehr ausreichen. Aber mit jedem neuen kriminellen Delikt, auf das man stieß, wurden neue Spezialisten benötigt. Außerdem waren immer neue Führungskräfte der verschiedenen polizeilichen Abteilungen an dieser Sache interessiert.

Sie witterten förmlich Ruhm und Ehre für sich und ihre jeweilige Abteilung.

 

                                                                    ***

 

War Angus McGregor ein noch kalkulierbares Risiko? Diese Frage beschäftigte die grauen Zellen von „Doc“ dermaßen, dass komplett auf die „weichen Attribute“ bei einer zu erstellenden Strategie verzichtet wurde, kein alter Calvados schlierte im Glas, keine klassische Musik erfreute die Bang & Olufsen Anlage, kein Feuer loderte im Kamin! Das Wohnzimmer war kalt und nüchtern. Kalt und nüchtern: genauso wie das Innere von „Doc“! Angus McGregor war ein Wurm, ein minderwertiges Nichts, ein Versager! Natürlich hatte er es nicht geschafft, den alten Joseph Malinger von seiner Wiedereinstellung zu überzeugen und natürlich hatte er es nicht geschafft, ausreichend eigene, liquide Mittel für den Kauf der tschechischen Firmenanteile aufzutreiben. Angus war nur noch ein nervliches Wrack, über Nacht um Jahre gealtert und nun plan-, konzept- und widerlich hilflos. Ihm fehlte jegliche militärische Disziplin und jeglicher Biss, um aus einer schwierigen Situation noch irgendwie das Beste zu machen. „MM“, das bisher für „MoneyMan“ stand, wurde nun zu „MurcksMacher“.

„Doc“ und „Berlin“ würden sich schon sehr bald überlegen müssen, was sie mit diesem Nervenbündel und Jammerlappen überhaupt noch anfangen konnten. Aber im Moment wurde McGregor noch gebraucht.

Noch verwaltete „MM“ die gemeinsamen Budgets des Triumvirates und konnte noch zumindest einen Teil der benötigten Barmittel für die tschechischen Firmenanteile aufbringen. Knappe 150.000,- Euro sofort und vielleicht nochmals 350.000 durch einen Bankkredit in den nächsten Tagen. Das war nicht so viel wie erwartet, aber zu viel um gänzlich darauf verzichten zu wollen. „Doc“ würde nun vorrangig die Zugriffsrechte der Finanzen des Triumvirates zu seinen Gunsten neu ordnen, dann das Bargeld von „MM“ für den Kauf der tschechischen Firmenanteile einstreichen. Außerdem hatte Doc  MM zur Abtretung von Frimenanteilen an der tschechischen Firma aufgerufen.

Es musste auch analysiert werden, wie die bisherige Mitwirkung von McGregor, an den laufenden  Betrügereien innerhalb des Malinger Konzerns, neu verteilt werden konnte. Bei der tschechischen Firma wartete für McGregor jedenfalls noch einiges an Arbeit. Das Aufhübschen der Bilanzen war noch nicht ganz abgeschlossen, aber sobald dies alles erledigt war, konnte eventuell der Russe Victor Ivan zu einer finalen Endlösung an „MM“ beauftragt werden. „MM“ war ein erheblicher Risikofaktor geworden und das war nicht akzeptabel.

Aber zuerst ein Schritt nach dem anderen! Die Kunst eines guten Strategen lag in perfekter Abstimmung von Chronologie und Choreographie der Ereignisse. Innerhalb der Firma Malinger lief inzwischen wieder Einiges etwas Besser, die Routine kehrte spürbar zurück, aber man war noch nicht ganz über den Berg. Für den heutigen Tag jedenfalls musste es ohne „Doc“ bei Malinger weitergehen. „Doc“ hatte sich etwas früher zurückgezogen, um von zu Hause aus ein paar dringliche Dinge zu erledigen. Die Sache mit der Geldbeschaffung für die Tschechen hatte im Moment höchste Priorität. „Oil“ würde ihnen allen den Kopf abreißen, wenn sie das nicht hinbekämen. Und das war bei Gott wortwörtlich zu nehmen und keineswegs nur ein Sprichwort!

„Berlin“ konnte maximal 2,7 Millionen Euro aufbringen, dann noch ca. 500.000 Euro von McGregor, wenn auch nicht alles auf einmal. In der Kriegskasse des Triumvirates waren auch gut 900.000 Euro halbwegs „flüssig“. Also blieben 5,9 Millionen für „Doc“. Das war ein wirklich fetter Happen und jenseits jeglicher Machbarkeit! Nicht in der Kürze der Zeit und nicht ohne gewaltige Verluste seiner fest gebundenen Anlagen. Deshalb musste „Doc“ unbedingt mit dem Prager Anwalt verhandeln. Er brauchte im Grunde zeitlichen Aufschub, aber vor allem eine wesentlich kleinere Geldsumme. Und genau diese Verhandlung stand nun an! „Doc“ hatte sich alles gut überlegt und würde nun so gewaltig bluffen wie selten zuvor. Er würde voll auf Angriff und Risiko setzen! Ja, in Schach und Poker hatte „Doc“ es zu wahrer Meisterschaft gebracht und diese Strategien würden nun auch in dieser Verhandlung zum Tragen kommen. Leider war die Verhandlung durch die momentanen Umstände nur per Telefon möglich – von Angesicht zu Angesicht wäre besser, aber anders ging es nun mal nicht.

“Doc“ wurde sofort zu Dr. Dolcon, dem Anwalt der Witwe Youl und deren Töchtern durchgestellt. Sie kamen gleich zur Sache: „Hören Sie, Dr. Dolcon, das Interesse unseres Konsortiums an den Anteilen Ihrer Mandantinnen ist verschwindend gering. Zehn Millionen Euro ist ein Hohn und völlig indiskutabel! Wir hatten den verstorbenen Fiodr Youl lange Jahre als Mitgesellschafter und werden uns auch mit seinen Erbinnen abfinden und irgendwie arrangieren. Wir haben die Firmenanteile nur deshalb erworben, weil uns Herr Youl ein gutes Angebot gemacht hat. Kein gutes Angebot, kein Interesse! So einfach ist das! Leider hat uns dieser Fiodr Youl aber mit seiner Unterschrift vorsätzlich betrogen und die vereinbarte eine Million Euro ohne Gegenleistung, also unrechtmäßig, auf das Konto seiner Frau in der Schweiz überweisen lassen. Das ist offensichtlich schwerer Betrug! Zusätzlich kann sich daraus eine Steuerhinterziehung ergeben, sofern Frau Youl dies nicht offiziell deklariert hat. All dies lässt sich eindeutig beweisen! Deshalb werden wir definitiv Anzeige erstatten und wenn nötig vor Gericht gehen, um die gesamte Transaktion rückabwickeln zu lassen!“

Dr. Dolcon war merklich verunsichert! Wie „Doc“ schnell merkte, hatte er keinerlei belastende Beweismittel in der Hand, die er gegen die anderen Firmeneigner von MOTOHMOTY s.r.o  als Druckmittel in die Waagschale werfen konnte. Es ging rein um eine finanzielle Transaktion. Die Witwe und ihre Töchter wollten einfach rasch verkaufen und der Anwalt wollte möglichst viel für sich und seine Mandantinnen herausschlagen.

 „Doc“ nahm das Pokerspiel meisterhaft wieder auf: „Gut, Dr. Dolcon. Sie sagen, wir sollten uns außergerichtlich einigen. Warum sollten wir das tun? Wir werden unser Geld plus Schadenersatz wieder zurückbekommen, das wissen Sie genau. Wie sieht ihr Angebot aus, damit wir einen gütlichen Strich unter diese leidige Sache machen können?“ Das lief gut! „Doc“ setzte das Gespräch fort: „Was..., Sie bestehen auf einem Kaufangebot von uns? Und Sie müssen mit ihren Mandantinnen Rücksprache halten? OK, das verstehe ich! Wir sind an einer raschen, gütlichen Einigung im Sinne der rechtsgültigen und vollständigen Übertragung der Firmenanteile an die restlichen Gesellschafter der Firma interessiert. Dieser Kaufvertrag muss natürlich von allen Erben unterzeichnet werden. Aber wir sind ausschließlich zu unseren Bedingungen interessiert! Ich mache ihnen jetzt ein Angebot, das genau 24 Stunden gilt! Ich werde dieses Angebot nicht wiederholen und es ist nicht verhandelbar! Wir bieten Ihren Mandantinnen zusätzlich zu der bereits bezahlten 1 Million Euro nochmals 1,2 Millionen Euro, zahlbar in bar und bei Vertragsunterzeichnung. Dies muss diese Woche am Freitag, den 14. Mai, in Prag bei unserem Anwalt passieren. Wir werden dann von der polizeilichen Anzeige gegen Fiodr Youl oder seine Erben absehen. Es ist uns dann auch völlig egal, wie und ob die Youls dies steuerlich deklarieren. Überzeugen Sie die Damen Youl und rufen Sie mich, bis spätestens morgen Abend 18:00 Uhr, auf meinem Handy an. Danach ist mein Angebot hinfällig. Einen guten Abend, Dr. Dolcon!“

Puh – Dolcon war vielleicht ein guter Anwalt, aber kein besonders geschickter Verhandler, zumindest nicht im Sinne es Geschäftsmannes! Er hatte die Flanke ohne Verteidigung gelassen und „Doc“ hat die Chance genutzt. Es war fast schon gespenstisch gut gelaufen und „Doc“ hatte ein gutes Gefühl. Endlich wieder Licht am Ende des Tunnels! Genau das war „Docs“ besonderes Talent. In schwierigen Situationen immer noch einen Vorteil für sich herauszuholen. Unter normalen Umständen und vor allem ohne den Druck von ihrem schwerreichen Partner, dem Milliardär Popolowsky, hätte es „Doc“ genauso gemacht, wie er es dem Anwalt Dr. Dolcon angedroht hatte.

Youl hatte ganz offensichtlich betrogen und man könnte sicherlich relativ einfach rückabwickeln und die ursprüngliche eine Million zurückfordern. Aber der Fehler bei der Vertragsabwicklung war nun mal gemacht worden und es war einfach keine Zeit, sich womöglich vor Gericht auseinanderzusetzen und Staub aufzuwirbeln. Außerdem war die momentane Situation für „Doc“ persönlich extrem vorteilhaft – ein gewaltiger Profit ließe sich da machen! Der hauseigene Anwalt in Prag, der ja Mitschuld an dem ursprünglichen Unterschriftsfehler hatte, würde zur Wiedergutmachung angewiesen werden, einen Vertrag zu erstellen, bei dem die Seite mit dem Kaufbetrag, nach Unterschrift durch die Verkäufer, austauschbar war. So würde „Doc“ den anderen beiden Gesellschaftern eine Kaufsumme von z.B. 7,4 Millionen nennen können. Immerhin ein großer Verhandlungserfolg von immerhin 26%! „Doc“ würde gut dastehen, zumal sonst niemand die vereinbarten 3,3 Millionen Partneranteil „eingebracht“ hatte. Logischerweise würde damit aber der partnerschaftliche Anteil der anderen beiden Gesellschafter am Unternehmen MOTOHMOTY S.R.O entsprechend reduziert werden müssen. “Doc“ war damit automatisch Mehrheitseigner! Und das ohne tatsächlich einen Cent dafür aus eigener Tasche bezahlt zu haben. Genial! Das sollte mal jemand nachmachen.

Ja, es war wieder viel Licht am Ende des momentanen Tunnels und nach dem Verkauf der Firma MOTOHMOTY S R.O an die Malinger Gruppe war für die nächsten 30 Jahre nur noch Urlaub angesagt – mit viel Sonne, Strand und hübschen Frauen!

Dieser Deal hatte das Potential zum goldenen Handshake und Ausstieg!

Ohne Skrupel
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