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Garcia spürte, wie ihm die Kehle eng wurde. Vor Jahren einmal, als er noch in Uniform gewesen war, hatte man ihn zu einem Vorfall von häuslicher Gewalt gerufen. Ein eifersüchtiger Mann hatte seiner Freundin einen Becher Natronlauge ins Gesicht geschüttet. Der Mann war vom Tatort geflohen, konnte aber fünf Tage später festgenommen werden. Garcia erinnerte sich noch daran, wie er den Sanitätern dabei geholfen hatte, die Frau auf die Trage zu schnallen. Ihr Gesicht war nur noch eine Masse aus rohem Fleisch und verätzter Haut gewesen. Ihre Lippen hatten ausgesehen, als wären sie mit den Zähnen verschmolzen. Ihr rechtes Ohr und ihre Nase hatten sich vollkommen aufgelöst, die Lauge hatte sogar Löcher in einen ihrer Augäpfel gebrannt.

Garcia warf Hunter über seinen Monitor hinweg einen Blick zu. »Das ist nicht wahr. Bist du sicher?«

Hunter nickte. »Ich bin mir sicher.«

»Dieses Schwein.«

Erneut klingelte das Telefon auf Hunters Schreibtisch. Diesmal war es Dennis Baxter von der Computerkrimina­lität.

»Detective«, sagte er mit drängendem, besorgtem Unterton in der Stimme. » NaOH, das ist Natronlauge. Natriumhydroxid.«

»Ja, ich weiß.«

»Scheiße, Mann. Das Zeug ist hochgradig ätzend. Viel schlimmer als Säure. Wenn man Natriumhydroxid mit einer so großen Menge Wasser mischt, ist die Lösung natürlich anfangs stark verdünnt und nicht besonders gefährlich, aber früher oder später …« Er verstummte.

»Verwandelt sich der Behälter in ein Laugenbad«, führte Hunter Baxters Gedanken zu Ende.

»Genau. Und Sie sind sich im Klaren darüber, was dann passieren wird?«

»Ja, bin ich.«

»Verdammt, Detective. Was geht hier ab?«

»Ich weiß es nicht genau. Konnten Sie die Übertragung zurückverfolgen?«

»Ja. Sie kommt aus Taiwan.«

»Was?«

»Genau. Wer auch immer dahintersteht … er ist gut. Entweder es ist eine gekaperte IP-Adresse, oder er hat sich kurzerhand eine aus dem taiwanesischen Server-Pool geklaut. Im Klartext bedeutet das: Wir können sie nicht lokalisieren.«

Hunter legte auf. »Über die Internetverbindung kriegen wir ihn auch nicht«, meldete er Garcia.

»Scheiße. Gott, das ist doch total krank.«

Der Mann im Bild begann erneut zu zittern, doch Hunter sah, dass es diesmal nicht an seiner Angst oder an der Kälte des Wassers lag. Diesmal waren es die unerträglichen Schmerzen. Die Konzentration der Lauge wurde immer stärker und begann seine Haut anzugreifen. Er öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus, den weder Hunter noch Garcia hören konnten. Insgeheim waren beide Detectives froh, dass die Übertragung keinen Ton hatte.

Als immer mehr Natronlauge ins Wasser gepumpt wurde, trübte sich das Wasser milchig ein.

Der Mann kniff die Augen zusammen und begann den Kopf wild hin und her zu werfen, als litte er an einem Krampfanfall. Das Laugenbad fraß an seiner Haut wie eine Schleifmaschine. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich die ersten Hautfetzen von seinem Körper lösten.

Hunter rieb sich das Gesicht mit beiden Händen. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt.

Mehr und mehr Hautfetzen trieben an die Oberfläche, und das Wasser wechselte die Farbe von milchig weiß zu rosa. Der Mann blutete am ganzen Körper.

Die Kamera zoomte an etwas heran, das im Tank schwamm.

»Was ist das?«, fragte Garcia und verzog das Gesicht.

Hunter kniff sich in die Unterlippe. »Ein Fingernagel. Sein Körper löst sich auf.«

Die Kamera nahm einen weiteren Fingernagel aufs Korn, dann noch einen. Die Lauge hatte bereits die Nagelhaut und einen Großteil der Nagelbette an Fingern und Zehen des Mannes weggeätzt.

Das Wasser wurde immer blutiger, bis man irgendwann gar nichts mehr sehen konnte. Das Gesicht des Mannes jedoch befand sich nach wie vor oberhalb des Wasserspiegels.

Mittlerweile hatte das Opfer die Kontrolle über seine Muskelfunktionen verloren. Er zuckte unablässig unter den schrecklichen Schmerzen. Von seinen Augen war nur noch das Weiße zu sehen, und sein Gesicht war zu einer Fratze des Grauens verzerrt. Weil seine Kiefer die ganze Zeit auf­einandermahlten, blutete bereits sein Zahnfleisch. Auch aus Nase und Ohren lief Blut.

Das Wasser begann zu schäumen.

Der Körper des Mannes bäumte sich ein letztes Mal auf. Sein Brustkorb wölbte sich so stark nach vorn, dass es aussah, als säße etwas darin fest, das mit aller Macht auszubrechen versuchte. Schließlich sackte ihm das Kinn auf die Brust, so dass sein Gesicht in die blutige Lauge eintauchte.

Dann war alles still.

Die Kamera zoomte weiter weg und zeigte den gläsernen Behälter in der Totalen.

Hunter und Garcia konnten nicht sprechen. Sie konnten auch nicht wegschauen.

Wenige Sekunden später erschien eine Nachricht auf dem Bildschirm.

ICH HOFFE, DIE VORSTELLUNG HAT IHNEN GEFALLEN.

Der Totschläger
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