Ein außergewöhnlicher Mönch
Für einen Mann seiner Zeit war Roger Bacon weit gereist. Geboren im frühen 13. Jahrhundert in Ilchester in der englischen Grafschaft Somerset, zog es ihn schon bald nach Paris in die Fremde, wo er an der Universität zunächst studierte und später lehrte. Von dort ging er zurück nach England, genauer gesagt nach Oxford, wo er sich der Naturphilosophie widmete und dem Orden der Franziskaner-Minoriten beitrat. Franziskaner zu werden sollte für Bacon allerdings ein ernsthaftes Problem mit sich bringen: Er war entschlossen, über Wissenschaft zu schreiben, den Ordensbrüdern war es jedoch untersagt, Bücher zu schreiben.
Dieses Problem wollte Bacon umgehen, indem er sich die Unterstützung eines wichtigen Mannes sicherte, des Kardinals Guy de Foulques. Doch selbst de Foulques verfügte nicht über genügend Macht, um Bacon die Erlaubnis zum Schreiben zu erteilen. Bacon hatte sich schon fast damit abgefunden, seine Ambitionen ad acta legen zu können, als es Neuigkeiten aus Rom gab. Der Papst war gestorben, und sein Nachfolger – Clemens IV. – bestieg den Thron von St. Peter. Der bürgerliche Name dieses neuen Papstes war Guy de Foulques, und so war Bacon mit dem Segen seines Mentors endlich in der Lage, Bücher zu schreiben.
Zuerst versuchte Bacon, einen kurzen Leitfaden einer Enzyklopädie des Wissens zu schreiben, aber er sah sich außerstande, seinen grenzenlosen Ideenreichtum einzudämmen. Seine sogenannte Kurzfassung erreichte einen Umfang von insgesamt einer halben Million Wörter – ein Mehrfaches dieses Buches. Bacon ergab sich seinem Schicksal und ließ von dem Manuskript in dieser Fassung eine Abschrift anfertigen; anschließend begann er, einen erläuternden Begleittext für sein zu umfangreich geratenes Werk zu verfassen, übertrieb es jedoch ein weiteres Mal hoffnungslos. Als er schließlich fertig war, hatte er drei Bände vervollständigt, in denen unter anderem Sachgebiete wie Philosophie, Astrologie, Astronomie, Geographie, Optik oder Mathematik abgehandelt wurden. Eine bemerkenswerte Studie aus der Feder eines einzigen Autors, die dennoch – was Bacon betraf – erst der Anfang war.
Während er auf eine Antwort auf seine Thesen wartete, erreichte ihn eine Neuigkeit, die aus seiner Euphorie schlagartig Verzweiflung werden ließ, war doch Clemens IV. gestorben, bevor sein Werk überhaupt nach Rom gelangt war. Unter der neuen, reaktionären Kirchenführung wurde Bacon dem Vernehmen nach aufgrund der Neuerungen, die seine Thesen enthielten, wegen des «Verdachts auf antiklerikale Äußerungen» eingekerkert, wobei die Dauer seiner Gefangenschaft nicht genau überliefert ist. Schätzungen reichen von zwei bis zu dreizehn Jahren. Anschließend brachte man ihn zurück nach Oxford, seine Bücher wurden von der Kirche allesamt verboten und jahrelang unter Verschluss gehalten. Bacon starb 1294 im Alter von 80 Jahren, aber seine Schriften sollten niemals in Vergessenheit geraten.