Die Gravitation kehrt zurück
Guth schlug vor, dass sich die Gravitation kurz nach dem Urknall für sehr kurze Zeit praktisch umkehrte. Statt die Dinge zusammenzuziehen, schob sie sie mit enormer Geschwindigkeit auseinander. Kurz darauf funktionierte sie wieder normal, und das Universum expandierte genauso wie heute. Guth hatte keine plausible Erklärung, warum dies geschehen sein sollte, aber falls es tatsächlich so gewesen war, würde es erklären, warum die Umstände so anders sind als erwartet.
Alle hier ins Spiel kommenden Größenordnungen sind dramatisch. Ein Anfang mit dem Urknall konfrontiert uns mit einem Ereignis, das völlig außerhalb unseres physikalischen Verständnisses liegt. Es ist eine Singularität, ein Nullpunkt mit unendlichen Werten für Temperatur und Energie. Weil dies unserer Mathematik nicht zugänglich ist, muss es nicht unbedingt an einem Punkt geschehen sein. Aber wir sprechen mit Sicherheit über etwas in einem winzigen Raum, vollgestopft mit Masse und Energie, ein Etwas, das aus dem Nichts erscheint, und zwar aus Gründen, die nicht viel einleuchtender sind als die, die uns die Genesis anbietet.
Nur 10–35 Sekunden nach dem Urknall fing die Inflation aus unbekannten Gründen an. (Dies ist eine leicht vereinfachte Darstellung: Inzwischen gibt es Erklärungen für die Inflation, an der die Symmetriebrechung der ursprünglichen Kraft beteiligt ist, die schließlich zu den heute bekannten Kräften wie dem Elektromagnetismus führte. Hinzu kommen Phasenübergänge, vergleichbar mit dem Übergang von Wasser zu Eis. Viele Wissenschaftler wenden allerdings ein, diese Ideen erklärten nicht zufriedenstellend, warum die Inflation ausgerechnet zu den nahegelegten Zeitpunkten geschah und wieder aufhörte.)
An diesem Punkt war kaum etwas in Gang gekommen. 10–35 ist eine unbegreiflich kurze Zeitspanne. Stellen Sie sich so etwas wie eine Zehntelsekunde vor, aber mit 35 Nullen am Ende statt nur einer Null. In dieser lächerlich kurzen Zeitspanne soll sich das Universum um den Faktor 1030 und mehr ausgedehnt haben. Anschließend war es 1000000000000000000000000000000-mal größer. Damit war das Universum noch nicht annähernd so groß, wie es heute ist. Selbst nach der Inflation hatte es einen Durchmesser von lediglich einem Kilometer. Aber davor war es geradezu lächerlich klein.
Das Ergebnis scheint gegen Einsteins spezielle Relativitätstheorie zu verstoßen, die behauptet, nichts könne sich schneller fortbewegen als das Licht. Sollte irgendetwas doch dazu in der Lage sein, würde es rückwärts in der Zeit reisen mit potenziell katastrophalen Folgen für die Kausalität und für unser ganzes Wirklichkeitskonzept. Aber auf die regelmäßige Expansion des Universums trifft Einsteins Limit nicht zu, da es sich auf die Geschwindigkeit eines Objekts bezieht, das sich durch den Weltraum fortbewegt. Hier aber bewegte sich nichts fort. Es war der Raum selbst, der sich ausdehnte. Deshalb verursachte die Inflation keine Bewegung, verglichen mit der Lichtgeschwindigkeit innerhalb des Universums.
Da die ursprüngliche Größe des Universums zur Zeit der Inflation so klein war, müssten wir eigentlich bei der wie auch immer erfolgten Abschaltung der Inflation mit Quanteneffekten rechnen. Die Inflationsenergie wurde während dieses unglaublichen Ausdehnungsprozesses in einer äußerst flachen, gleichförmigen Struktur ausgebreitet. Da wir es jedoch mit Quantenprozessen zu tun haben, kommen Unbestimmtheiten ins Spiel, was bedeutet, es dürfte eigentlich keine ganz und gar gleichförmigen Ergebnisse geben (genau so, wie es, um ehrlich zu sein, ohne diese Schwankung keine Saatkörner gäbe, aus denen sich Sterne und Galaxien bilden könnten).