Miss Leavitts Veränderliche
Veränderliche Sterne sind, wie der Name nahelegt, Helligkeitsschwankungen unterworfen. Sie pendeln in einem Zeitraum, der Stunden oder ein Jahr und mehr umfassen kann, ständig vom Dunkleren zum Helleren. Veränderliche Cepheiden sind nach dem Sternbild Cepheus benannt. Der britisch-niederländische Amateurastronom John Goodricke entdeckte 1784, zwei Jahre vor seinem Tod mit 21 Jahren, den ersten wirklich veränderlichen Stern Delta Cephei (daher die Bezeichnung Cepheiden). Zuvor hatte er mit Algol (Beta Persei) bereits einen anderen Stern mit veränderlicher Intensität beobachtet. Aber in diesem Fall tauchten die Variationen, so behauptete er, deshalb auf, weil es ein Sternenpaar sei, das sich gegenseitig umkreist. Einer von beiden ist dunkler, also ist der Stern selbst nicht direkt veränderlich. Aufgrund der Beobachtungen einer großen Zahl von veränderlichen Cepheiden, aus denen wir eine Parallaxen-Entfernung gewinnen können, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Geschwindigkeit, mit der diese veränderlichen Sterne blinken, unmittelbar mit ihrer Helligkeit zu tun hat.
Die Anwendung von veränderlichen Cepheiden als Standardkerzen ergab sich geradewegs aus der Arbeit einer der ersten bedeutenden Frauen in der Astronomie. Henrietta Swan Leavitt war eigentlich nie eine ausgesprochene Beobachterin. Sie sollte aber die Bedeutung der Verbindung zwischen der Geschwindigkeit des Blinkens und der Helligkeit eines Sterns aufspüren. Sie wurde 1868 in Lancaster, Massachusetts, geboren und bekam zunächst als «computer» mit der Wissenschaft zu tun. Das war damals kein Gerät, sondern eine Person, die auf der Grundlage fotografischer Platten Messungen und Berechnungen vornahm. Trotz ihrer Krankheitsanfälligkeit wurde sie die Leiterin der Sternenphotometrie-Abteilung der berühmten Sternwarte des Harvard College. Kurz bevor sie 1921 im Alter von 53 Jahren starb, formulierte sie die Theorie, die die Geschwindigkeit der Veränderung eines Sterns mit dessen Helligkeit verknüpfte. Ihr verdanken wir also die wertvolle Anwendung der veränderlichen Cepheiden.
Sie pulsieren periodisch, von Tagen bis mehrere Monate, und es wird vermutet, dass die Helligkeitsschwankungen auf Schrumpfen und Wachsen zurückzuführen sind. Man glaubt, ihnen fehle ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen den beiden großen Kräften eines Sterns: die nach innen wirkende Gravitation und der nach außen wirkende Druck der Kernreaktionen, die den Stern mit Energie versorgen. In einem Cepheiden-Stern gelingt es der Gravitation, die Sternenmasse nach innen zu ziehen; das erhöht den Druck, sodass sie wieder nach außen getrieben wird. Dann ist wieder die Gravitation am Zug und so weiter. Wenn der Stern sich zusammenzieht, gibt er weniger Licht ab und bringt die Helligkeitsschwankungen hervor – das Markenzeichen der Cepheiden. Spüren wir also einen solchen Kandidaten an einem fernen Ort auf, wissen wir mit großer Wahrscheinlichkeit auch, wie weit entfernt er ist.
Obwohl Standardkerzen die Arbeitspferde der kosmologischen Entfernungsmessung sind, gibt es eine modernere Technik, mit der eine genauere Messung zustande kommen sollte. Als Einstein vorschlug, die Krümmung des Raums durch einen massereichen Körper bewirke eine Lichtablenkung, erkannte er auch, dass ein derart schwerer Körper genau dasselbe vollbringt wie eine Linse: Er krümmt die verschiedenen Lichtstrahlen aus einer kleinen Lichtquelle zurück – weiter weg, als wir sonst sehen könnten –, sodass wir ein klareres Bild von ihr bekommen.
Manchmal lässt uns dieser Gravitationslinseneffekt mehr als ein Exemplar desselben Himmelskörpers sehen. Stellen Sie sich ein sehr helles, fernes Objekt vor wie zum Beispiel die unglaublich hellen Protogalaxien, die auch Quasare genannt werden. Während ihr Licht viele Milliarden Lichtjahre bis zur Erde unterwegs ist, durchdringt es Regionen, die den Raum krümmen, sodass wir mehr als ein Exemplar desselben Körpers im Weltraum sehen können. Da Quasare nicht dieselbe Helligkeit beibehalten, lässt sich die schwankende Intensität des Paares durch die Zeit zurückverfolgen.
Schließlich läuft es auf Folgendes hinaus: Obwohl ihr Licht im gleichen Rhythmus gedämpft und verstärkt wird, kommen sie wegen der unterschiedlichen Strecken, die das Licht genommen hat, aus dem Takt. Wenngleich das Verfahren zur Berechnung der veränderten Strecke anspruchsvoll ist, bedeutet es im Prinzip, dass man mit diesen Daten herausfinden kann, wie weit ein Quasar entfernt ist, ohne mit Standardkerzen hantieren zu müssen. Die Informationen lassen sich sogar benutzen, um die Eichung dieser Kerzen zu überprüfen.
Aber wir sind hier schon etwas vorausgeeilt. Durch Bessels Messungen von Sternenparallaxen im frühen neunzehnten Jahrhundert konnten wir die Entfernung zu den näheren Sternen bereits erahnen, ohne dabei eine wirkliche Vorstellung von der Größe des Universums zu bekommen. Obwohl das Universum der alten Griechen, das eigentlich nur aus dem Sonnensystem bestand, im frühen 20. Jahrhundert längst abserviert worden war, nahmen die meisten Forscher immer noch an, dass die Milchstraße – unsere Galaxie, die etwa 100000 Lichtjahre umfasst – das ganze Universum war. So waren wir vom Universum als Sonnensystem zum Universum als Sternenhaufen übergegangen. Aber nicht alle teilten diese Meinung.