71

»Wir müssen uns bei Ihnen entschuldigen, Herr Cayetano – es blieb den Herren keine andere Wahl.«

»Entschuldigen? Ich verstehe nicht …«

»Die Untersuchungsbeamten in Buenos Aires haben Ihnen nicht die Wahrheit gesagt. Auch die Vertreter der Ministerien nicht. Sie wurden absichtlich belogen und falsch informiert – im Interesse der Ermittlungen«, sagte der argentinische Botschafter. Er hatte ein zerfurchtes Gesicht, eckige Kinnbacken, stahlgraue Augen, und er gehörte zu einer der ältesten und vornehmsten Familien seines Landes. Obwohl er sich hervorragend beherrschte, zeigte er doch Zeichen von Spannung und Nervosität – wie alle Anwesenden in dem großen Salon des Wiener Botschaftsgebäudes. Die Ausnahme war Manuel Aranda. Den hatte plötzlich eine eisige Ruhe ergriffen.

Rund um einen niedrigen Rauchtisch saßen links von Manuel der massige Cayetano, rechts der kleine Botschaftsattaché Ernesto Gomez mit dem schwarzen Kraushaar und der olivenfarbenen Haut. Manuel gegenüber saß der Botschafter, flankiert von den beiden Anwälten, die mit Cayetano eingetroffen waren – dem persönlichen Rechtsvertreter Raphaelo Arandas und dem Syndikus der QUIMICA ARANDA.

Die Besprechung, die nach wenigen allgemeinen Worten und mechanischen Kondolationen begonnen hatte, war durch die Erklärung des Botschafters schnell zum Thema gekommen …

»Sie werden sofort verstehen, Herr Cayetano. Doktor Aranda sagte Ihnen, er habe einen Geheimauftrag über die Herstellung von B-Waffen von unserem Verteidigungsministerium erhalten.«

»Richtig.«

»Sie und alle seine wissenschaftlichen Mitarbeiter an dem Projekt wurden zu absolutem Stillschweigen darüber vereidigt.«

»Ja! Von zwei hohen Beamten des Ministeriums …« Cayetano unterbrach seinen Satz. »Ich habe in den letzten Tagen immer wieder gefordert, den beiden gegenübergestellt zu werden! Man hat meine Bitte nicht erfüllt. Warum nicht?«

»Weil diese beiden Männer – Verräter, wie wir nun annehmen müssen – spurlos verschwunden sind.«

Cayetano sagte atemlos: »Das bedeutet …«

»Das bedeutet, daß natürlich weder das Verteidigungsministerium noch irgendeine andere Stelle unserer Regierung den Doktor Aranda jemals mit einem solchen Geheimauftrag betraut hat. Wir stellen keine A-, B- oder C-Waffen her, und wir haben auch nicht die Absicht, das zu tun. Im Bunde mit seinen beiden zweifellos hoch bestochenen Komplicen spielte Doktor Aranda Ihnen allen dieses Theater vor, damit Sie ruhig und nicht durch Skrupel belastet an einer Sache mitarbeiten sollten, die Doktor Aranda – und er allein, das erkläre ich hier namens meiner Regierung! – voranzutreiben entschlossen war.«

Mein Vater hat also alle belogen und betrogen, sogar die nächsten Mitarbeiter, nur so war er in der Lage, seine Erfindung zu machen, dachte Manuel, und es erstaunte ihn, wie gelassen er blieb. Er glaubte, was der Botschafter sagte. Dieser hätte sich gehütet zu behaupten, daß es zwei korrupte Beamte im argentinischen Verteidigungsministerium gab. Er hätte meinen Vater allein beschuldigt und nicht seine Regierung in diese Sache hineingezogen, dachte Manuel. Aber der Umstand, daß man mich hier in Wien ungeschoren weiterforschen läßt, scheint doch darauf schließen zu lassen, daß der Botschafter und die Behörden daheim immer noch keine Ahnung vom ganzen Ausmaß der Erfindung besitzen, die mein Vater gemacht und verkauft hat!

»Ich nehme an, Ihre privaten Nachforschungen hier in Wien haben Sie zu Erkenntnissen gebracht, die nur das bestätigen, was Seine Exzellenz sagt?« Der kleine Gomez sah Manuel aggressiv an.

Aggressiv antwortete Manuel, während er dachte, daß dieser Ernesto Gomez ein anständiger und tapferer Verbündeter im zuletzt offensichtlich vergeblichen Kampf des Thomas Meerswald gewesen war: »Weil Sie das annehmen, haben Sie mich im ›Ritz‹ aufgesucht, nicht wahr? Und mich ersucht, meine Nachforschungen abzubrechen und heimzukehren, wie?«

»Ich tat es, weil ich dazu den Auftrag erhalten hatte«, antwortete der kleine Mann verbissen.

»Auftrag von wem?«

»Von seiner Exzellenz, dem Herrn Botschafter.«

»Und ich hatte ihn von unserem Innenministerium erhalten«, sagte der Botschafter.

»Was bewog das Innenministerium zu diesem Schritt?«

»Die Ergebnisse der Untersuchungen, die in Buenos Aires geführt wurden, Herr Aranda.« Der Botschafter hob den Kopf. »Sie ergaben die völlige Ahnungslosigkeit und Gutgläubigkeit des Herrn Cayetano. Die Untersuchungen laufen jedoch noch. Wir wissen längst nicht alles.« Aha, dachte Manuel. »Es sind geheime Untersuchungen. Was ich hier mitteile, erkläre ich unter der Voraussetzung, daß keiner der Anwesenden einem anderen Menschen gegenüber auch nur Andeutungen macht.«

Groll schweigt, dachte Manuel. Der wird mich nie verraten, was ich ihm auch erzähle, nie! Sie wissen also noch nichts von der wirklichen Tragödie, genau wie ich es vermutete. Er sagte: »Ihr Attaché hat mich bei seinem Besuch gewarnt. Sie könnten nicht für mein Leben garantieren, wenn ich in Wien bliebe, erklärte er. Das taten Sie doch, Herr Gomez, nicht wahr?«

»Sicherlich.«

»Im Auftrag Seiner Exzellenz?«

»Sicherlich.«

»Sie sagten, man habe meinen Vater gewarnt. Und der habe nicht auf die Warnungen gehört. Warnten auch Sie ihn?«

»Nein. Das war ich«, sagte der Botschafter.

»Sie, Exzellenz?« Manuel hob die Brauen. »Wie kamen Sie dazu?«

»Beobachtungen hatten ergeben, daß Ihr Vater sich mit den verschiedensten Agenten traf.«

»Wer beobachtete ihn?«

»Einige unserer Leute. Unter Anweisung von Herrn Gomez. Er ist für derlei zuständig.«

»Aha.«

»Was heißt aha?« Der kleine Mann brauste auf. »Wenn Sie etwa der Ansicht sind, daß ich etwas anderes als meine Pflicht tat …«

»Beruhigen Sie sich, bitte.« Cayetano sprach plötzlich. Sein sorgenvolles Gesicht war dunkel. »Sagten Sie Pflicht?«

»Ja!« Gomez nickte heftig. »Die Ankunft Ihres Vaters wurde uns avisiert – vom Innenministerium. Er war eine Person, gegen die man offenbar bereits gewisse Verdachtsmomente gesammelt hatte. Wir wurden gebeten, Doktor Aranda im Auge zu behalten und ihn zu warnen, falls er mit Agenten in Kontakt trat. Nun, er tat es. Ich berichtete Seiner Exzellenz.«

»Und ich sprach daraufhin mit Ihrem Vater. Erfolglos«, sagte der Botschafter zu Manuel.

»So erfolglos wie ich mit Ihnen«, sagte Gomez, bösartig jetzt.

Manuel ging darauf nicht ein. Er fragte: »In welcher Weise haben Sie meinen Vater gewarnt, Exzellenz?«

»In der vom Innenministerium formulierten. Ich sagte Ihrem Vater, daß wir Grund hätten, ihm gegenüber mißtrauisch zu sein, und daß wir ihn dringend aufforderten, Wien zu verlassen und heimzukehren, weil er sich hier in großer Gefahr befinde.«

»Und mein Vater?«

»Weigerte sich, lachte mich aus, berief sich auf seine Rechte als freier Bürger, stritt jede unerlaubte Tätigkeit ab.«

Er lachte den Botschafter aus, dachte Manuel. Aber Yvonne hat mir erzählt, daß er Angst, Todesangst hatte, die ganze Zeit über in Wien. Todesangst vor wem? Nur vor seinen Geschäftspartnern? Oder auch vor den eigenen Landsleuten?

»Wenn Sie also nach wie vor bei Ihrem Entschluß bleiben, in Wien weitere Nachforschungen anzustellen, und wenn Sie entschlossen sind, nicht mit uns zu kooperieren …«, begann der Botschafter.

»Wer spricht davon? Ich habe Ihnen nur nicht mehr zu sagen!«

»… dann wollen wir dieses Kapitel abschließen«, erklärte der Botschafter eilig und nun auch sehr nervös, wie es Manuel schien. »Wir können Sie nicht zwingen.«

»Und auch nicht hindern.« Es war das erste Mal, daß der Syndikus der QUIMICA ARANDA sprach. Er nickte Manuel zu.

»Vorläufig nicht«, sagte Gomez böse.

»Was an uns liegt, so werden wir alles tun, um zu vereiteln, daß Sie es jemals können«, sagte der Syndikus. »Ganz gleich, was der Vater dieses Herrn verbrochen haben könnte – wir kennen keine Sippenhaft, und ein Mensch ist so lange vor dem Gesetz unschuldig, bis ihm seine Schuld nachgewiesen wird. Diese Aufgabe liegt bei der Regierung. Man weise diesem jungen Mann das geringste Vergehen nach!«

»Wie ich schon sagte …« Der Botschafter winkte ab. »Wir beschließen dieses Kapitel und kommen zu den Angelegenheiten, die jetzt hier, auf der Botschaft, geregelt werden müssen. Da wäre zunächst die Testamentseröffnung. Wenn ich bitten dürfte …«

Der persönliche Anwalt von Manuels Vater entnahm seiner Mappe einen versiegelten Umschlag, den er vor aller Augen öffnete. Das Testament brachte keine Überraschung. Manuel war Universalerbe. In seinem Letzten Willen legte der Vater ihm ans Herz, auf eine noch zu begrenzende Reihe von Jahren Cayetano als Generalbevollmächtigten der QUIMICA ARANDA einzusetzen. Es folgten Anordnungen über die Kapitalplanung, die Entwicklung der einzelnen Zweigwerke und die allgemeine Geschäftspolitik der Firma.

Die Spannung ließ nach, während der Anwalt das umfangreiche Testament verlas. Zuletzt sagte Manuel: »Ich bin einverstanden mit allen Punkten. Insbesondere freue ich mich, Herrn Cayetano zum Generalbevollmächtigten ernennen zu dürfen – mit sofortiger Wirkung.«

Es überraschte ihn zu sehen, daß dem großen, starken Mann plötzlich Tränen in den Augen standen. Cayetano umarmte Manuel impulsiv und küßte ihn auf die Wangen.

»Danke für dein Vertrauen, mein Junge«, flüsterte er. »Ich werde dich nicht enttäuschen …«

Und wenn du es dennoch tust, wird es mich nicht mehr erschüttern, dachte Manuel und erschrak über diesen Gedanken. Mißtraute er bereits wirklich jedem? Cayetano war einer der Menschen, die er am längsten im Leben kannte, ein Freund. Ich muß mich zusammennehmen, dachte Manuel.

Er hörte die anderen Männer wie aus weiter Ferne reden, während er verloren und einsam Cayetano betrachtete, der eifrig und energisch diskutierte. Von Verträgen war die Rede, von Vollmachten, von den verschiedensten Dokumenten, welche die beiden Anwälte am nächsten Tag, gemeinsam mit der Rechtsabteilung der Botschaft, vorbereiten wollten und die Manuel dann unterschreiben mußte.

»… bis morgen abend alles vorbereitet haben, Herr Aranda«, klang endlich, nun wieder deutlich, die Stimme des Syndikus an sein Ohr.

Ich traue Cayetano, ja, ich traue ihm, dachte Manuel.

»Gut«, sagte er. »Dann will ich die Papiere morgen abend durchlesen und gleich, oder übermorgen, unterschreiben …«

Bald danach brach die Gesellschaft auf. Die Verabschiedung war höflich-frostig.

In das ›Ritz‹ zurückgekehrt, zog Manuel Juan Cayetano zur Seite.

»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?«

»Gerne, natürlich. Was gibt es?«

»Sagen Sie es auch den Anwälten, zur Sicherheit. Wenn morgen jemand nach mir fragt, bin ich in der Botschaft. Das hinterlasse ich im Hotel. Wenn Sie angesprochen werden sollten, es ist unwahrscheinlich, aber es könnte sein …«

»Sie denken an diese junge Dame, Irene Waldegg?«

»Ja.« Manuel nickte. »Besonders an sie. Ihr müssen Sie auch sagen, ich sei in der Botschaft. Es wird bis spät abends dauern.«

»Was?«

»Meine Reise. Ich muß morgen verreisen, nach Villach, und Irene Wäldegg darf das nicht wissen.«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
chapter171.html
chapter172.html
chapter173.html
chapter174.html
chapter175.html
chapter176.html
chapter177.html
chapter178.html
chapter179.html
chapter180.html
chapter181.html
chapter182.html
chapter183.html
chapter184.html
chapter185.html
chapter186.html
chapter187.html
chapter188.html
chapter189.html
chapter190.html
chapter191.html
chapter192.html
chapter193.html
chapter194.html
chapter195.html
chapter196.html
chapter197.html
chapter198.html
chapter199.html
chapter200.html
chapter201.html
chapter202.html
chapter203.html
chapter204.html
chapter205.html
chapter206.html
chapter207.html
chapter208.html
chapter209.html
chapter210.html
footnotes.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html