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Der Anwalt Dr. Otto Forster erschien Manuel in geradezu beängstigender Weise verändert. Sein entstelltes Gesicht war rosig und stark durchblutet, er bewegte sich voller Elan, er sprach schnell und lebhaft, seine Augen strahlten. Die Jause hatte Haushälterin Anna diesmal auf einem Tisch in dem mit Schiffsmodellen und Werkzeugen vollgeräumten Arbeitsraum serviert, wo es nach Leim und Farben roch. Auf einem anderen Tisch lag ein großer Stapel Akten.

»Jetzt habe ich … nehmen Sie noch ein Stück Streuselkuchen, Herr Aranda, er ist großartig … jetzt habe ich endlich den größten Teil der Unterlagen beisammen, und da sagen Sie mir, daß Sie mittlerweile schon so viel von Frau Hill und Herrn Landau erfahren haben. Die sind schneller gewesen als ich!«

»Vieles weiß ich aber immer noch nicht.«

»Dann war unsere Mühe nicht ganz umsonst.« Forster lachte. »Glauben Sie nicht, daß es mir nicht auffällt, wie Sie mich anstarren, Herr Aranda! Ich bin so aufgeregt … so durcheinander … Ich habe bestimmt einen Blutdruck von zweihundert!«

»Aber was ist denn geschehen?«

»Was ist geschehen!« Forster rieb sich die Hände, er strahlte. »Mrs. Demant ist gestorben! Auf den Bahamas. Die Witwe des Warenhauskönigs Demant! Diamant hat er eigentlich geheißen, ein Wiener, ich half ihm 1938 noch raus. Und auch sein Vermögen brachte ich in Sicherheit. Die Demants besaßen keine Verwandten mehr. Nun hat mich die Frau im Testament als Universalerben eingesetzt. Verrückt, wie? Kann man das glauben? Man muß es glauben, es ist so!«

»Dann sind Sie jetzt ja ein reicher Mann!«

»Bin ich, ja. Ein sehr reicher Mann. Natürlich kann ich mich um die Geschäfte nicht kümmern. Das konnte auch Mrs. Demant nicht. Sie hatte ihre Bevollmächtigten. Werde auch ich haben.«

»Sie wollen auf die Bahamas?« Manuel hatte erst jetzt begriffen.

»Freilich!« Forster strahlte. »Das ist doch das Wunderbare! Das Märchenhafte! Ich kann fort, fort aus Wien! Mein Traum … jetzt geht er doch noch in Erfüllung!« Er lehnte sich über den Tisch und sah Manuel von unten an. »Auf einmal glaube ich wieder an den lieben Gott! Ich weiß natürlich nicht, ob ich in dem Riesenbesitz der Demants wohnen werde. Vielleicht ist er zu groß für mich. Wahrscheinlich. Dann verkaufe ich ihn eben und nehme mir ein kleines Haus. Auf den Bahamas, Herr Aranda, auf den Bahamas!«

»Und Ihre Familie … Ich meine, was sagt die dazu?«

»Die freut sich mit mir! Nicht nur über das viele Geld. Auch darüber, daß ich nun doch noch fort kann, fort aus dieser Stadt! Natürlich reise ich mit dem Schiff …« Forster blinzelte.

»Und Sie werden kein Heimweh haben?«

»Heimweh? Nach Wien?«

»Ich freue mich mit Ihnen«, sagte Manuel.

Wenige Minuten später saßen sie an dem anderen Tisch mit den vielen Akten. Forster blätterte in ihnen …

»Jetzt haben wir das alles gefunden, sehen Sie … den Bescheid über die Blutgruppenbestimmung … das anthropologische Gutachten …« Er schob Manuel gelb gewordene Papiere hin. Der las flüchtig einzelne Sätze. »Ein erstklassiges Gutachten! Der Junge wurde geradezu als nordischer Paradegoj eingestuft! Starke Ähnlichkeiten zur Kindsmutter und dem angeblichen Kindsvater, Herrn Landau, erkannten die Herren Ärzte – diese Idioten!« sagte Forster. »Und keinerlei Ähnlichkeiten zu den stark jüdischen Rassenmerkmalen im Gesicht des gesetzlichen Vaters, von dem sie nur Fotos hatten …« Der Anwalt seufzte. »Ein Traumgutachten! Um so vernichtender die Blutgruppenuntersuchung.«

»Frau Steinfeld erzählte Ihnen, sie habe auch noch mit einem zweiten Mann geschlechtliche Beziehungen gehabt …«

»Ja, das tat sie.«

»Sie hatten erwartet, daß Frau Steinfeld etwas Derartiges erzählen würde, wenn die Blutgruppen nicht stimmten?«

»Freilich. Sehen Sie, ich mußte damals an zweierlei denken: Erstens, der Junge sollte gut durch den Krieg gebracht werden. Also bestand meine Aufgabe zunächst einmal darin, diesen Prozeß unter allen Umständen weiterzuschleppen. So lange wie möglich hatte ich eine definitive Entscheidung zu verhindern. Das war Punkt eins. Punkt zwei: Ich mußte sehen, daß die Zeugen, allen voran Herr Landau, nun nicht zu Schaden kamen. Die waren in gar keiner schönen Situation damals. Zum Glück hatten sie diesen Bluthund Gloggnigg nach Berlin versetzt, ich erzählte es Ihnen. Der neue Richter hieß Arnold …« Forster kramte in den vielen Papieren, die vor ihm lagen. Manuel hielt eine Hand an den Mund. So roch er noch immer den Duft eines Parfums, schwach, aber süß. Er hatte plötzlich irrsinniges Verlangen nach Irene, er sah und hörte und fühlte in Sekunden alles noch einmal – den einsamen Park, den zugefrorenen See, die Eichhörnchen, das Gespräch über Heinz, die Umarmung, den Kuß …

»… war dieser Arnold, ein ganz Ergebener, Übereifriger, stets voll Angst, er könnte etwas falsch machen«, erreichte Forsters Stimme wieder Manuels Bewußtsein. »Und ebenfalls zum Glück war damals, im Juli 1943, wieder einmal mein Freund Peter Klever aus Berlin zu Besuch hier. Natürlich trafen wir uns. Natürlich machte er mir wieder Vorwürfe für mein Verhalten, das die Wiener Anwaltskammer mehr und mehr in Zorn versetzte, und natürlich half er mir dann zuletzt doch wieder, der gute Peter …«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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