25

Zu dieser Zeit verließ ein ernster Mann von etwa dreißig Jahren das Kaffeehaus des Hotels ›Ritz‹ und ging, den Hut in die Stirn gedrückt, den Mantelkragen hochgeschlagen, den Ring bis zur Oper hinauf, wo er in die Kärntnerstraße einbog. Durch das dichte Schneetreiben sah er eine Flut bunter Lichtreklamen funkeln. Der stets so traurige, hochbegabte und bei allen Kollegen im Sicherheitsbüro wohlgelittene Inspektor Ulrich Schäfer hatte eine junge Frau, die von Multipler Sklerose, einer unheilbaren Krankheit, befallen war und dem Tod entgegensiechte. Darum war Schäfer stets traurig.

Hinter ihm gingen in Abständen vier Männer auf beiden Seiten der Straße. Sie gehörten zu Schäfers Gruppe und ließen ihn nicht eine Sekunde aus den Augen.

Der Mann mit der todkranken Frau erreichte den Stock im Eisen am Stephansplatz und bog nach links in den Graben ein. Durch das diffuse Licht der vielen Lampen und des fallenden Schnees sah er die hohe Silhouette der Pestsäule vor sich. Menschen hasteten an ihm vorbei. Seine Bewacher folgten eilig.

Schäfer ging an der grell erleuchteten Auslage des Juweliers Heldwein vorüber, in der Brillanten funkelten und Gold und Edelsteine strahlten. Carlas Vater war auch Juwelier, dachte Schäfer traurig. Nach dem Tod seiner Frau verkaufte er das Geschäft und starb als wohlhabender Mann. Sein Vermögen wurde nun von Carlas Krankheit verschlungen. Das Sanatorium in Baden bei Wien, wo Carla lag, kostete Unsummen. Noch war Geld vorhanden, aber es würde nicht ewig reichen, nicht einmal mehr sehr lange.

Die Multiple Sklerose ist eine furchtbare Krankheit. Es kann Jahre dauern, bis ihr Opfer tot ist. Sie bringt ihre Opfer fast immer um, aber sie läßt sich entsetzlich Zeit damit. Was, wenn Carla länger lebt, als das Geld reicht? dachte der Inspektor Schäfer unglücklich.

Er bog in den Kohlmarkt ein und ging ihn bis zur halben Höhe empor. Auf der anderen Seite sah er die bereits geschlossene berühmte Konditorei Demel, in der Fedor Santarin Stammkunde war. Schäfers Bewacher blieben zurück. Er erreichte ein altes Haus, von der Zeit geschwärzt, mit einem großen grünen Tor, in das eine kleinere, offene Tür eingelassen war. Rechts vom Eingang befand sich ein Antiquitätenladen, links ein Wäschegeschäft. Über dem Portal las Schäfer etwas von einem ›Kaiserlich-Königlichen Hemdenmacher‹. Er trat in die breite Einfahrt des uralten Hauses, in der es kalt war und nach Rauch roch. Schnell ging er über Katzenkopfpflaster zum hinteren Ende der Einfahrt, wo ein ebensolches Tor den Weg in einen Innenhof versperrte. Rechts und links begannen hier Aufgänge, schmale, ausgetretene Stein-Wendeltreppen. An den Wänden waren Tafeln mit Namen von Firmen, Ärzten und Anwälten befestigt. Schäfer benutzte den linken Aufgang und stieg bis zum zweiten Stock empor, wobei er, wie in vielen Wiener Häusern, an Treppenabsätzen mit den Aufschriften HOCHPARTERRE und MEZZANIN, Zwischenstockwerken also, vorüberkam.

Endlich stand er an einer Tür, die außer dem normalen noch ein Yale-Schloß und eine Messingtafel besaß. Diese besagte, daß sich hier die Kanzlei von Dr. Rudolf Stein und Dr. Heinrich Weber, Rechtsanwälten, befand.

Schäfer klingelte dreimal kurz, zweimal lang, dann noch einmal kurz. Sogleich kamen von der anderen Seite der Tür Schritte näher. Eine Männerstimme fragte: »Wer ist da?«

»Inspektor Schäfer.«

»Werfen Sie Ihren Dienstausweis in den Briefkasten.«

Schäfer tat es.

Einige Sekunden verstrichen, dann erschien im ›Spion‹ der Tür ein menschliches Auge, das den Inspektor lange musterte. Ich kann diese Vorsicht verstehen, dachte Schäfer. Die Tür wurde umständlich aufgesperrt und geöffnet. In ihrem Rahmen stand ein großer, breitschultriger Mann mit grauem Haar, der eine wohlriechende Zigarre rauchte.

»Wo haben Sie es?« fragte er.

»Unter dem Hemd«, sagte Schäfer.

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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