8
Der Herrscher verlor einige Tage lang kein Wort über die Geschehnisse. Diejenigen, die von sich behaupteten, Bescheid zu wissen, erklärten, dass er wütend war und dass sich ein Großteil seines Zorns gegen Sikiokuu richtete. Sikiokuus Forderung nach einem persönlichen Raumschiff und einem Himmelstrabanten verfolgte ihn. Der Herrscher war von Sikiokuus Vorschlag derart fasziniert, dass er trotz seines Zorns nach einem Video über die Erforschung des Planeten Mars verlangte. Doch als er die Größe der Raumfahrzeuge, vor allem des ersten, der „Sojournertruth“, sah – sie kamen ihm erbärmlicher als das Spielzeug kleiner Jungen vor – brodelte es in ihm, und er redete unentwegt vor sich hin: „Dieser Sikiokuu sollte sich schämen – wie kann er, mein Staatsminister, es wagen vorzuschlagen, meine Allmächtigkeit mit so einem winzigen Ding in Verbindung zu bringen?“ Seine Erregung überschritt alle Grenzen, als er später noch herausfand, dass Sojourner eine Sklavin gewesen war, eine Frau, und außerdem Freiheitskämpferin, eine Terroristin, wie er sie nannte.
Einige Tage lang weigerte sich der Herrscher, Sikiokuu zu empfangen. Dieser wiederum bekam es derart mit der Angst zu tun, dass er Schritte einleitete, die nahende Katastrophe abzuwenden. Als Erstes schickte er nachts seine Hauptfrau zum Herrscher, damit sie ein gutes Wort für ihn einlegte. Der Herrscher ignorierte sie. Daraufhin schickte Sikiokuu seine Zweitfrau. Der Herrscher ignorierte sie. Sikiokuu schickte seine weit jüngere Drittfrau. Auch diese ignorierte der Herrscher. Schließlich schickte er ihm seine beiden Töchter. Erst da ließ sich der Herrscher erweichen und erlaubte Sikiokuu, wieder vor ihm zu erscheinen, allerdings nur, um seine Wut auf den unglücklichen Minister abladen zu können.
Es war nicht so, dass der Herrscher allein wegen der Größe des Sternenkreuzers auf Sikiokuu wütend war oder weil eines der Raumschiffe den Namen einer Sklavenfrau trug. Die Störung der Geburtstagskundgebung und die Erinnerung daran, wie die Menschenmassen das Weite gesucht und ihn mit seinem Gefolge zurückgelassen hatten, brachten ihn innerlich zum Kochen. Welche Botschaft hatte das der Welt übermittelt? Wo war der M5 geblieben? Der Nachrichtendienst unterstand Sikiokuu; daher der Zorn des Herrschers auf ihn. Wieso hatte dieser nichts über die Schlangenleute in Erfahrung gebracht?, fragte er Sikiokuu.
Um ihre Haut zu retten, erklärten Sikiokuu und der Chef des M5, dass die Schlangenleute Mitglieder einer Untergrundpartei seien, der Bewegung für die Stimme des Volkes. Die Geheimdienstagenten seien die ganze Zeit im Bilde gewesen, hätten ihr Wissen aber für sich behalten, um Zeit zu gewinnen, die Gerüchte von der Wahrheit zu trennen und zum Kern der gesamten Bewegung vorzustoßen. Es sei keine gute Idee, erläuterten sie, der Bewegung unnötig Öffentlichkeit zu verschaffen, bevor man das ganze Ausmaß ihrer perfiden Machenschaften kenne. Man schlage schließlich nicht zu, bevor die Schlange nicht vollständig aus ihrem Loch gekrochen sei.
Das machte den Herrscher nur noch wütender. „Und da habt ihr der Schlange Zeit gegeben, vollständig aus ihrem Loch zu kommen? Wer wagt zu behaupten, ich sei nicht fähig, eine Schlange zur Strecke zu bringen, die sich noch nicht in voller Länge zeigt? Wer will behaupten, dass ich nicht die Macht habe, auch das zu zerschlagen, was sich dem Blick vollständig verbirgt?“ Sikiokuus Versuch, den Zorn des Herrschers zu mildern, indem er ihm erklärte, seine Bemerkung sei nur ein Sprichwort gewesen, machte es noch schlimmer. Wollte Sikiokuu etwa andeuten, die machtvollen Aussprüche des Herrschers seien Sprichwörtern unterlegen? Er, der Herrscher, besitze die Macht über sämtliche Sprichwörter, über alle Rätsel Aburĩrias, und kein Sprichwort könne ihn davon abhalten, das Verborgene zu zerschlagen, selbst wenn es im unzugänglichsten Loch steckte.
Um das dem Volk noch einmal klarzumachen, beschloss der Herrscher, eine Rede an die Nation zu halten.
Sein Auftritt, der auf allen Kanälen ausgestrahlt wurde, war optisch beeindruckend und die Leute reden bis heute darüber. Seine Regierung wisse, teilte er der Nation mit, dass bestimmte unzufriedene Elemente, die selbsternannte „Bewegung für die Stimme des Volkes“, mit Lügen Studenten der Universität angeheuert hätten, um bei Kundgebungen Plastikschlangen zu verstreuen. Er wolle der Nation ins Gedächtnis rufen, dass die Regierung als unmittelbare Reaktion auf die Wünsche des Volkes schon vor vielen Jahren alle politischen Parteien verboten habe. Es gebe in Aburĩria nur eine einzige Partei, und der Herrscher sei ihr Führer. Die ganze Welt solle wissen, ereiferte er sich, dass die Bewegung für die Stimme des Volkes von dieser Minute an aufhöre zu existieren, egal ob im Untergrund oder darüber. Der Herrscher sei die einzige Stimme des Volkes, und das Volk wolle es so.
Um die Lügen dieser Terroristen zu bekämpfen, befahl er die Gründung einer neuen Einheit: „Seine Allmächtige Jugend“. Und er forderte alle Schüler und Collegestudenten auf, sich ihr anzuschließen und die Jugendbrigade des Herrschers zu bilden. Ihre Hauptverantwortung liege darin, dem ganzen Land zu verkünden, seine Allmächtigkeit sei die Macht und das Licht der ganzen Nation. Die Jugendbrigade solle folgenden Katechismus lehren: Aburĩrier können nie eine andere Partei als die Ruler’s Party haben noch politische Idole verehren, die den Herrscher nachahmen. „Dem Herrscher zu Diensten“ soll ihr Leitspruch sein und DHZD werde auf ihren Abzeichen, Briefköpfen, Kleidern und Fahrzeugen stehen.
Der Herrscher machte eine Pause, damit diese Botschaft bei seinen Fernsehzuschauern greifen konnte. Und dann folgte, was in ganz Aburĩria zum Gespräch wurde und möglicherweise der Ausgangspunkt der Gerüchte über Schlangen, Teufelsanbetung und übernatürliche Kräfte war. Um die Drohung zu unterstreichen, wies er mit seinem keulenartigen Herrscherstab in die Kamera, als zeigte er auf die Terroristen von der Bewegung für die Stimme des Volkes. Er, der Herrscher, werde all ihre terroristischen Plastikschlangen von echten Schlangen vernichten lassen. „In vergangenen biblischen Zeiten hatten die mosaischen Schlangen die pharaonischen verschlungen. Heute aber, in Aburĩria, werden die pharaonischen Schlangen diejenigen von euch verschlingen, die glauben, der neue Moses zu sein.“
Er hob seine Herrscherkeule noch höher in die Luft, als machte er sich bereit, sie gegen jeden selbst ernannten Moses zu schleudern. Die Kameramänner duckten sich hinter ihren Kameras, und genau in dieser Sekunde zersprangen alle Fernsehbildschirme im Land gleichzeitig in sieben Stücke, als wären sie von ein und demselben Gegenstand getroffen worden. Die Zuschauer waren sich nicht sicher, ob der Herrscher die Keule tatsächlich geschleudert hatte oder ob er einfach über die Geisteskraft verfügte, ihre Bildschirme bersten zu lassen. Darüber gehen die Meinungen bis heute auseinander. Was auch immer der Wahrheit entspricht, dieser Fernsehauftritt war der Anlass für das Aufkommen eines neuen Schlangentanzes, der große Mode wurde. Wann und wo immer sich zwei oder drei junge Leute trafen, verdrehten sie die Körper – Kopf, Oberkörper und Hände – in Schlangenbewegungen und sangen das Lied:
Der Topf ist zerbrochen, den ich gebrannt
Ich wusste nicht, dass die Freiheit
Vipern und Teufel gebiert.