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Auch der Herrscher wurde immer unruhiger. Mit Blick auf den Gefangenen im State House quälten ihn zahlreiche und oft widersprüchliche Wünsche. Er wollte ihn gleichzeitig tot und lebendig sehen. Er wollte ihn lebend, damit der Kerl ihm das Geheimnis verriet, wie Geld wuchs, und er wollte ihn tot, damit er niemals einen anderen einweihen oder ausplaudern konnte, was er dem Herrscher verraten hatte. Er wollte ihn am Leben halten, damit er bei der Ergreifung Nyawĩras und der Anführer der Bewegung für die Stimme des Volkes helfen konnte, und ihn tot sehen, weil er wichtige Informationen so lange für sich behalten hatte. Er wollte, dass er lebte, damit er ihn, den Herrscher, von seiner körperlichen Ausdehnung heilte, und dass er starb, weil er behauptet hatte, der Herrscher sei schwanger, und damit zu seiner Empörung die Pest mit Namen „Weltpresse“ ins Land geholt hatte. Doch den größten Verdruss bereitete ihm – wenn er die beiden Wünsche miteinander verglich –, dass der Wunsch, ihn lebend zu sehen, deutlich schwerer wog als der Wunsch, den Kerl als Leiche vor sich zu haben. Der Gefangene besaß ein Wissen, das ihm, wenn er es richtig anstellte, über alle Maßen dienlich sein konnte, doch machte ihn dieser Gedanke wütend, weil er damit eingestand, dass der Herr der Krähen über Kräfte verfügte, die er, der Allmächtige, nicht hatte, und das konnte in einem Land, in dem er den Behauptungen seiner Lobsänger zufolge die Nummer Eins in allem war, überhaupt nicht sein. Wie allerdings sollte er das Wissen lösen, das im Kehlkopf des Herrn der Krähen festsaß? Der Herrscher zerbrach sich den Kopf darüber und behielt deshalb Tajirika auch die ganze Zeit an seiner Seite. Es war eine Angelegenheit, die er nicht mit seinen Ministern besprechen mochte, weil nicht einer von ihnen erfahren sollte, wie Geld auf Bäumen wuchs. Mit Tajirika war das anders.
Der Herrscher war von Tajirika nicht immer so angetan gewesen. Ursprünglich hatte er ihn nur als Zwischenlösung zum Vorsitzenden von Marching to Heaven berufen bis zur Freigabe der Kredite durch die Global Bank. Als er aber erkannt hatte, dass der Kerl ein besserer Gauner war als jeder seiner Berater, hatte er angefangen, ihn zu mögen. Tajirikas Eingeständnis, er habe als Vorsitzender von Marching to Heaven Dollars von möglichen Vertragspartnern verlangt, hatte den Herrscher als Erstes beeindruckt und erkennen lassen, dass man mit diesem Mann Geschäfte machen konnte. Jemand, der andere dazu brachte, ihn anzuflehen, in frischen Dollars für Dienstleistungen zu zahlen, die erst in der Zukunft zu erbringen waren, verstand wirklich etwas vom Spiel. Im Vergleich dazu waren Sikiokuu und Kaniũrũ Waisenknaben. Die beiden hatten Schmiergeld in aburĩrischen Burĩ verlangt: welch ein Unterschied im Erreichen von Wohlstand und Wohlergehen! Es zeigte, dass man Tajirika mit jeder Aufgabe betrauen konnte, die es erforderte, unter dem Deckmantel der Legalität das Recht zu beugen oder zu brechen.
Noch mehr beeindruckte den Herrscher Tajirikas Verschwiegenheit. Der Vergleich mit Kaniũrũ sprach Bände. Kaniũrũ hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seine ergaunerten Gewinne mit Sikiokuu zu teilen. Tajirika hingegen hatte gegenüber Machokali nicht ein einziges Wörtchen verloren. Nicht einmal unter Folter hatte er das Geheimnis verraten. Der Herrscher brauchte einen Menschen von solch ungetrübter Loyalität an seiner Seite.
Die Ereignisse entwickelten ihre eigene Logik und machten die Freisetzung der Worte des Wissens aus der Kehle des Zauberers nur noch dringlicher. Die Warteschlangen, die zunächst zufällig und ziellos entstanden zu sein schienen, organisierten sich immer besser. Die Studenten und die Jugend, größtenteils arbeitslos, begannen sich vor dem Parlamentsgebäude zu versammeln, vor dem Obersten Gericht und vor den Radio- und Fernsehstationen, den staatlichen Medienkanälen, die dem Herrscher als Sprachrohr dienten. Die Zusammenstöße mit der Polizei häuften sich, nicht nur in Eldares. Berichte wiesen darauf hin, dass sich die Warteschlangen in allen städtischen Zentren des Landes mit nie gesehener Intensität ausbreiteten.
Gleichzeitig kamen aus aller Welt immer häufiger Fragen nach dem vermissten Minister, vor allem aus London und Washington. Sogar nachdem die Regierung ihre Stellungnahme herausgegeben hatte, in der Machokali mit einem Staatsstreich in Verbindung gebracht wurde, ließ die Flut von Anfragen nicht nach. So durfte es nicht weitergehen! Eine mutmaßliche Schwangerschaft machte ihn zur Zielscheibe des Spotts, überall richteten Aufrührer Chaos an, und der Druck aus dem Ausland wurde immer stärker. Und weil er nicht mehr in der Öffentlichkeit erschien, verstärkte sich der Druck und ließ weitere Fragen aufkommen.
Er versuchte, denen, die sich darüber wunderten, warum er nicht mehr in der Öffentlichkeit auftrat, den Mund zu stopfen, indem er die stellvertretende Botschafterin in Washington mit sofortiger Wirkung zur offiziellen Nationalhostess für Empfänge und Feierlichkeiten berief, die seine zeremonielle Anwesenheit erforderten. Sie nahm den Ruf an und unterschrieb die E-Mail mit Dr. Yunique Immaculate McKenzie, PhD, ONH, und änderte ihren Namen damit ein weiteres Mal, um ihrem neuen Rang im Machtgefüge zu entsprechen.
Diese Ernennung, über die das Radio und anschließend alle anderen Medien berichteten, fachte die Gerüchte um eine den Herrscher schwächende Schwangerschaft als Grund seiner Abwesenheit von der Öffentlichkeit weiter an. Ganz abgesehen von dem Wissen, wie man Geld auf Bäumen wachsen ließ, einem Wissen, das die Abhängigkeit des Herrschers von der Global Bank verringern würde, war der Herr der Krähen der Einzige, der diese Gerüchte über seine Schwangerschaft unverzüglich zum Schweigen bringen konnte. Der Herrscher wollte den Zauberer zwingen, in aller Öffentlichkeit zu gestehen, dass er diese Märchen über die Schwangerschaft als Teil der Putschpläne des Ministers durch seinen Brief an Machokali erzeugt hatte. Der einzige Haken an dieser Lösung war wieder dieses winzige Wörtchen „wenn“, das dem Zauberer die Sprache blockierte. Man musste einen Zauberer finden, der den Zauberer heilte.
Der Herrscher zeigte mit dem Finger auf Tajirika und sprach mit feierlichem Ernst: „Du bist ein einfallsreicher Mann, Gouverneur. Du hattest dir die Krankheit der Worte eingefangen und hast Heilung gefunden. Wer eine ganze bewaffnete Anstalt mit einem Kübel voll Scheiße und Pisse als einziger Waffe in seine Gewalt bringen kann, der findet bestimmt auch den Hexenmeister, den ich brauche. Gouverneur, du bist am Zug!“