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Als der Herrscher den Raum betrat, standen die Minister stramm wie verängstigte Kadetten beim Eintritt des diensthabenden Offiziers. Der Herrscher setzte sich und wies sie mit einer Geste an, dasselbe zu tun. Dann ließ er seinen Blick von der einen Seite des Tisches zur anderen wandern, ließ ihn kurz auf jedem Einzelnen ruhen, bevor er sich schließlich Sikiokuu zuwandte. Der Herrscher musste kein Wort sagen, um Sikiokuu klarzumachen, dass er jetzt eine Frage zu beantworten hatte.
„Eure Allmächtigkeit, Sie sind unser aller Vater, und ich als folgsamer Sohn weiß, dass Sie mich auffordern, die Sache mit den Frauen zu erläutern. Meiner bescheidenen Meinung nach sind diejenigen, die uns überredet haben, die Schlangen als begeisterte Zustimmung für Marching to Heaven zu interpretieren, am besten in der Lage, das Fiasko zu erklären. Im Licht der zurückliegenden Ereignisse möchten sie uns vielleicht darüber aufklären, was sie wirklich vorhatten.“
Der Herrscher blickte zu Machokali. Big Ben Mambo, der Informationsminister, tat schleunigst dasselbe. So verhielt er sich meistens: immer eifrig darauf bedacht herauszufinden, wer, Machokali oder Sikiokuu, als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorgehen würde, um sich dann schnellstens auf dessen Seite zu schlagen. Machokali nahm die Herausforderung an.
„Herrscher, der Sie unser Vater sind hier auf Erden, die Engländer, denen wir Zivilisation, Freiheit und parlamentarische Demokratie verdanken, lehrten uns, dass ‚Kabinettsentscheidungen kollektiv bindend‘ sind. Wenn ein Minister nicht mit einer kollektiv getroffenen Entscheidung übereinstimmt, dann sollte er zurücktreten. Ich habe nicht gehört, dass Sikiokuu während unserer letzten Kabinettssitzung gesagt hätte, er würde zurücktreten, weil er grundsätzlich gegen die Warteschlangenmanie sei. Stattdessen machte er den Vorschlag, Motorradfahrer in den Norden, den Süden, den Osten, den Westen und ins Zentrum des Landes zu schicken, um die Manie zu fördern. Sie sind schon vor Wochen losgefahren. Wo sind eigentlich ihre Berichte?“
Sikiokuu wollte natürlich vermeiden, dass seine fünf Fahrer und ihr Auftrag zum dominierenden Gegenstand der Diskussion wurden, und dachte daran, die Aufmerksamkeit davon abzulenken, indem er Machokali vorwarf, er würde reden, als herrschten die Briten noch immer über Aburĩria, besann sich aber eines Besseren, weil ihm wieder einfiel, wie der Herrscher reagiert hatte, als Sikiokuu Ähnliches über die Global Bank gesagt hatte. Er war zuversichtlich, da er einiges in der Hinterhand hatte, und wartete nur auf den richtigen Augenblick zuzuschlagen. Deshalb blieb er still wie eine Katze vor dem Mauseloch und gestattete Machokali, ohne Unterbrechung fortzufahren.
„Wenn die Wahrheit gesagt werden soll, ohne das eine oder andere zu überhöhen oder herunterzureden“, sagte Machokali, „müssen wir zugeben, dass Eldares mit Ausnahme eines einzigen unglücklichen Zwischenfalls nie zuvor eine so gut besuchte Versammlung erlebt hat. Ganz Eldares war praktisch auf den Beinen.“
Sikiokuu sah seine Chance.
„Das ist richtig, nur was ist dabei herausgekommen? Woher wollen wir wissen, dass diese Menschenmenge nicht zu ihrem Plan gehörte? Wer war der führende Kopf hinter dieser Frauensache?“
Eine der Folgen des Skandals war die Wirkung der Worte „Frau“ und „Frauen“ auf den Herrscher. Wenn sie fielen, schlug sein Herz schneller; er regte sich sichtlich auf. Jeder registrierte den Blick, den er Sikiokuu zuwarf, als verlangte er zu wissen, welche Befriedigung es dem Sprecher bereitete, dieses verfluchte Wort ständig zu wiederholen.
„Er drückt sich vor der Verantwortung für die fünf Motorradfahrer“, beschwerte sich Machokali. „Und was die Frage angeht, wer dahintersteckt, die sollte er selbst beantworten. Jeder weiß, dass es die sogenannte Bewegung für die Stimme des Volkes ist. Es waren wieder Spielzeugschlangen über das ganze Feld verstreut, und ich möchte wissen, was Sikiokuu unternommen hat, um die Verhaftung dieser Kriminellen sicherzustellen.“
Sikiokuu setzte mit melodramatischer Langsamkeit an: „Heilige Väterlichkeit, eine Untergrundbewegung auszuradieren ist nicht so einfach, wie mancher es sich vorstellt. Diese Renegaten sind Feiglinge, die sich im Schutz der Dunkelheit treffen. Sie wagen sich nicht ins Licht, weil sie keine richtigen Männer sind. Weiber sind sie, Feiglinge eben. Ich bin sehr glücklich, berichten zu können, dass wir eine Person aus der Führung der Bewegung identifizieren konnten. Sie heißt Nyawĩra.“
„Befindet sie sich in Gewahrsam?“, platzte der Herrscher heraus.
„Nein, noch nicht ganz – sie ist uns entwischt.“
„Ooohh“, seufzten einige Kabinettsmitglieder enttäuscht.
„Allerdings wissen wir, wo sie arbeitet“, fügte Sikiokuu hinzu und stachelte ihre Neugier an. „Wir überwachen die Gegend rund um die Uhr, um sicherzugehen, dass ihr Arbeitgeber sie nicht versteckt.“
„Warum verhaftest du das ganze Pack nicht einfach? Angestellte, Arbeitgeber, was soll das?“, fragte der Herrscher.
„Eine Person ist bereits in Haft“, antwortete Sikiokuu und sah triumphierend in die Runde. „Und die Person verhält sich kooperativ.“
Und weil sie an dem bevorstehenden Triumph teilhaben wollten, stimmten einige Minister an: „Sikiokuu, lösch den Feind aus! Siki, lösch sie alle aus!“
„Und wer ist das?“, fragte der Herrscher und schnitt den Gesang mit einer Handbewegung ab.
Sikiokuu warf einen siegesbewussten Blick auf Machokali, als wollte er sagen: Wie wär’s damit? Ich bin noch lange nicht mit dir fertig. Machokali gab sich Mühe, nicht in Panik zu geraten, aber seine trübe Miene täuschte nicht über seinen Versuch hinweg, möglichst gleichgültig zu erscheinen.
„Ich muss mit tiefem Bedauern verkünden, dass diese Person niemand anderes ist als Vinjinia, die Frau Tajirikas, des Vorsitzenden von Marching to Heaven und, wie jeder weiß, ein Kumpel von unserem Freund hier“, sagte er und nickte in Machokalis Richtung, mehr Bedauern als Zorn über diesen Verrat und diese Undankbarkeit bekundend.
„Die Frau des Vorsitzenden von Marching to Heaven?“, fragte Big Ben Mambo, bislang ein treuer Verbündeter Machokalis, und machte sich bereit, die Seiten zu wechseln.
„Ja, genau die“, antwortete Sikiokuu und setzte sich, wobei er ein weiteres Mal bedauernd den Kopf senkte und die schreckliche Wahrheit bestätigte.
Stille breitete sich im Raum aus. Machokali spürte, wie sie ihm unter die Haut kroch. Sein erster Gedanke war, sich zu Boden zu werfen und um Gnade zu bitten, aber er wusste genau, dass er damit in die Falle laufen würde, die Sikiokuu ihm gestellt hatte. Sein zweiter Gedanke war, aufzuspringen und Tajirika öffentlich anzuprangern, seine Verhaftung und unverzügliche Hinrichtung zu verlangen. Aber er erkannte das Problem. Machokali verfluchte sich selbst für seine Nachlässigkeit. Tajirika hatte versucht, ihn zu erreichen, hatte unzählige Nachrichten in seinem Büro und bei seinem Fahrer hinterlassen, aber beschäftigt wie er war, die Abreise der Delegation der Global Bank hinauszuzögern, hatte er sie alle als Höflichkeitsanrufe abgetan. Hätte er zurückgerufen, wüsste er jetzt Bescheid und wäre nicht seinem Feind ausgeliefert.
Er erhob sich, ohne zu wissen, was er tun oder sagen sollte. Als ihm der Herrscher eisig mitteilte, er solle sich nicht die Mühe machen aufzustehen und könne, was er vorzutragen habe, auch im Sitzen sagen, wusste Machokali, dass er in großen Schwierigkeiten steckte. Doch er wollte nicht aufgeben wie ein verwundetes Tier, ohne sich zu verteidigen.
„Unser Heiliger Vater, der …“
„Lass die Einleitung weg und komm zur Sache“, fuhr ihn der Herrscher an.
„Jeder, der Frieden und Stabilität dieser Nation bedroht, sollte beseitigt werden, auch wenn es sich um die Frau einer bedeutenden Persönlichkeit Aburĩrias handelt. Ich weiß genau, dass Tajirika bei der großen Einweihungszeremonie war, und erinnere mich, wie er mir sagte, er habe seine Frau zu Hause gelassen. Beantwortet mir Folgendes: War Vinjinia bei der Feierlichkeit oder nicht? Hat sie zugegeben, Mitglied der Bewegung zu sein oder nicht? Oder geht es nur darum, dass sie und ihr Mann diese verrückte Nyawĩra angestellt haben? Jeder kann versehentlich einen Dieb oder gar einen Mörder einstellen; Verbrecher laufen nicht durch die Gegend und prahlen mit ihren Verbrechen. Doch selbst wenn sich herausstellen sollte, dass sie bei der Kundgebung war oder zur Bewegung gehört, folgt daraus nicht, dass Tajirika etwas damit zu tun hat. Eine Frau kann sich sehr gut gegen ihren Mann stellen, denn wie die Waswahili sagen: Es gibt keinen Mann, der ein Held ist für seine Frau.“
Mit dem Swahili-Sprichwort und seiner Bemerkung über die Treulosigkeit von Frauen hatte Machokali beim Herrscher, der sich an die widerspenstige Rachael erinnert fühlte, unwissentlich einen Pluspunkt gesammelt.
„Ich verstehe nicht, warum Machokali seine Freunde so vehement verteidigt“, warf Sikiokuu ein, der diese Veränderung spürte und verblüfft war, von seinem Widersacher eine derart mutige Verteidigung von Tajirika und Vinjinia zu vernehmen. „Ich habe nicht behauptet, dass Vinjinia tatsächlich Mitglied der Bewegung ist oder bei der Feierlichkeit war. Wir haben sie verhaftet, weil wir glauben, dass sie über wichtige Informationen verfügt, die zur Überführung der Verbrecher führen können. Sie hat auch nicht bestritten, während Tajirikas Abwesenheit eng mit Nyawĩra zusammengearbeitet zu haben.“
Machokali spürte, wie sich sogar die anderen Minister über Sikiokuu zu ärgern begannen und witterte seinen Vorteil.
„Man hat uns berichtet, dass Vinjinia noch immer bei den Ermittlungen hilft. Das verstehe ich nicht. Wie lange befindet sie sich schon in Gewahrsam?“, fragte er mit geheucheltem Interesse.
„Oh, überhaupt nicht lange, seit einer Woche“, gab Sikiokuu rasch zur Antwort.
„Und was hat sie in diesen sieben Tagen ausgespuckt, das zu Nyawĩras Verhaftung führen könnte?“
„Hier ist nicht der geeignete Ort, um das bekannt zu geben“, sagte Sikiokuu verärgert darüber, Machokalis Fragen beantworten zu müssen. „Ich habe hier lediglich ein paar Einzelheiten offengelegt, um zu zeigen, wie viel wir, die wir Unseren Herrn und Meister wahrhaft lieben, bereits geleistet haben.“
Der Herrscher räusperte sich und klopfte mit seinem Stab zweimal auf den Tisch. Er fühlte sich bereits ein bisschen wohler, weil ihn kaum etwas besser in Stimmung brachte als eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen seinen Ministern. Er konnte das, was sie von sich gaben, mit dem vergleichen, was er aus eigenen Quellen erfahren hatte. Dass er von der Verhaftung Vinjinias bereits wusste, war mehr als wahrscheinlich.
„Hast du Tajirika verhört?“, fragte er.
„Nein. Noch nicht.“
„Weiß Tajirika, dass sich seine Frau im Gewahrsam der Polizei befindet?“
„Das weiß ich nicht. Ich bin mir aber sicher, ihn von ihrer Verhaftung noch nicht in Kenntnis gesetzt zu haben.“
„Und warum hat man mich höchstselbst über diese Entwicklungen im Unklaren gelassen? Oder regierst seit Neuestem du in Aburĩria, Sikiokuu?“
„Oh, Herr im Himmel, nein, nein, meine Heilige Allmächtigkeit. Ich habe versucht, Kontakt mit Ihnen aufzunehmen, … ich meine, ich weiß nicht, warum meine Anrufe nicht an Sie weitergeleitet wurden. Sie sollten es aus meinem Munde hören, weil es so delikat ist.“
„Noch jemand, der etwas zu sagen hat?“, wandte sich der Herrscher an alle. „Oder habt ihr gemeinsam beschlossen, Bewahrer von Geheimnissen vor mir zu spielen? Ja, sieben Tage lang. Und dann behauptet ihr, mich nicht erreicht zu haben? Es kommt mir vor, als ob ihr alle in Sikiokuus Regierung von Aburĩria eingetreten seid.“
Nach welcher Seite das Pendel der Macht ausschlug, war nicht vorhersehbar, und Machokali, der spürte, dass sein Widersacher in Schwierigkeiten steckte, ergriff die Chance dieses Augenblicks.
„Allmächtiger Hochverehrter Vater, es wäre deutlich besser gewesen, Sikiokuu hätte zuerst Nyawĩra verhaftet und sie dann gezwungen, Namen zu nennen. Anschließend hätten weitere Verhaftungen folgen können. Aber Sikiokuu scheint trotz seiner großen Ohren taub gegenüber dem Lärm des Offensichtlichen zu sein. Er verhaftete die Frau des Vorsitzenden von Marching to Heaven in der vagen Hoffnung, sie könnte preisgeben, wo sich Nyawĩra versteckt hält. Ich will nur zwei weitere Punkte ansprechen. Erstens bitte ich um einen Rat, was wir mit Tajirika machen sollen. Soll ich ihm den Vorsitz von Marching to Heaven entziehen? Und zweitens, welchen Eindruck würde das auf die Global Bank machen?“
Nichts war geeigneter, die Aufmerksamkeit des Herrschers zu erlangen, als ein drohendes Versiegen des Geldflusses für Marching to Heaven.
„Sikiokuu“, brüllte der Herrscher, „wenn du Ohren hast, hör zu. Ist dir nie in den Sinn gekommen, die Verhaftung der Frau des Vorsitzenden von Marching to Heaven könnte den Eindruck erwecken, den Menschen in meiner Umgebung könne man nicht trauen?“
„Sie ist nicht richtig verhaftet worden. Man hat sie nur in Gewahrsam genommen“, zog sich Sikiokuu zurück. „Sie hilft uns, das ist alles.“
Der Herrscher achtete nicht auf Sikiokuus Gerede und wandte sich an Machokali.
„Wie nimmt die Delegation der Global Bank das Ganze auf?“, fragte er ohne Sarkasmus und Groll, sondern geradezu ängstlich.
„Eure Heiligste und Mächtigste Vortrefflichkeit, in der ganzen Welt Verehrter“, beeilte sich Machokali zu antworten, dessen Augen nun lebhafter wurden, „so wie Sie damals versuchten, die schmachvollen Dinge, die sich in Eldares zugetragen haben, zu erläutern, habe ich ihnen erklärt, dass es sich bei dem, dessen Augenzeuge sie geworden waren, um einen geheiligten aburĩrischen Tanz handelte, der nur vor Gästen zur Aufführung gebracht wird, die man mit den höchsten Ehren empfangen möchte. Das schien sie hinreichend zu befriedigen. Außerdem kümmern unsere traditionellen Bräuche die Global Bank nicht sonderlich. Ihr Hauptinteresse gilt den Überresten eines vergangenen sozialistischen Zeitalters, den Kräften, die eine Bedrohung der Stabilität darstellen und den freien Kapitalfluss gefährden. Hätte man Nyawĩra verhaftet, wären sie glücklich darüber gewesen. Und da Sikiokuu ausreichend Beweise gesammelt hat, eine Verhaftung zu rechtfertigen, wäre er gut beraten, es zu tun, bevor die Banker nach New York zurückkehren.“
„Was? Sie fliegen zurück?“, fragte der Herrscher.
„Ja“, bestätigte Machokali.
„Wann?“
„Morgen!“
„Ohne sich von mir zu verabschieden?“
„Mein Herrscher aller Vortrefflichkeit, ich versuchte alles Erdenkliche, ihre Abreise hinauszuzögern, um ihnen die Ehre zuteil werden zu lassen, noch einmal von Ihnen empfangen zu werden. Aus höchstem Respekt Ihnen gegenüber kamen sie meiner Bitte nach. Schließlich mussten sie aber doch, wie sie sagten, einfach nach New York zurück.“
„Was ist mit ihrem Bericht?“
„Sie werden ihn in New York ausarbeiten und eine angemessene Empfehlung abgeben.“
„Und wie steht die Sache?“
„Nicht schlecht. Ganz und gar nicht. Sie haben Sie oder mich nach New York eingeladen, sollten wir das Bedürfnis haben, unser Anliegen noch aufzupolieren, bevor sie ihre Entscheidung treffen. Ich bat sie, das schriftlich niederzulegen, in black and white, wie die Engländer sagen.“
Langsam zog er einen Umschlag aus der Tasche und übergab ihn dem Herrscher, der seine Neugier, obwohl er versuchte, sich zu beherrschen, nicht zurückhalten konnte und den Umschlag unverzüglich aufriss. Er überflog den Brief, und ein Lächeln erhellte sein Gesicht.
„Die Einladung ist allerdings etwas allgemein ausgedrückt“, bemerkte der Herrscher. „Hier steht, wenn ich in New York sein sollte … Was heißt das, Markus?“
Mit der Bemerkung des Herrschers, die Einladung sei vage und offen gehalten, sah Sikiokuu die Chance, sich in die Gunst des Herrschers zurückzuschmeicheln und den Fokus von Nyawĩra und Vinjinia abzulenken.
„Herzlichen Glückwunsch, Unser aller Erlöser“, ergriff er zuversichtlich das Wort. „Die Einladung kommt genau zur rechten Zeit, und es könnte sogar der neue amerikanische Präsident dahinterstecken. Die Global Banker sind ziemlich gerissen. Es könnte sein, dass sie die Einladung nur deshalb so vage gehalten haben, um herauszubekommen, wie ernst es Aburĩria mit dem Kredit meint. Wenn wir nur einen Minister schicken, könnte die Bank glauben, dieses Projekt stünde nicht gerade weit oben auf unserer Prioritätenliste. Wenn aber Eure Mächtige Vortrefflichkeit persönlich erscheinen, in Begleitung von einigen von uns, die es verstehen zuzuhören“, – und hier fasste er sich zur Betonung an die Ohrläppchen – „dann ließe das die Direktoren wissen, wie ernst wir es meinen und dass wir alle vereint hinter Marching to Heaven stehen.“
„Stimmt“, warf ein anderer Minister ein. „Lassen wir die Boten links liegen und wenden uns direkt und persönlich an den Mann an der Spitze des Ganzen.“
„Höchste Zeit für einen Staatsbesuch“, bekräftigte ein weiterer Minister.
„Und es wäre gut, wenn Eure Königliche Vortrefflichkeit im Fernsehen aufträte, vor allem in ‚Ein Treffen mit den Mächtigen der Welt‘ bei GNN“, warf Big Ben Mambo ein. „Alle Mächtigen des zwanzigsten und sogar des einundzwanzigsten Jahrhunderts sind dort bereits aufgetreten.“
Die Diskussion wurde zum offenen Schlagabtausch.
„Ich habe gehört, dass dort bisher nicht ein einziger Führer aus Afrika aufgetreten ist. Stimmt das?“, fragte ein anderer.
„Außer Nelson Mandela“, sagte ein weiterer.
„Seht ihr, wie diese Leute Afrika diskriminieren?“, meinte wieder ein anderer in einem Anflug von Zorn. „Vom Westen nehmen sie die Staatsmänner und aus Afrika die Knastbrüder. Das ist grenzenloser Rassismus!“
„Das heißt“, stellte ein anderer fest, „sollte der Herrscher zustimmen, in dieser Sendung aufzutreten, wäre er der erste richtige Führer aus Afrika, der zu den Mächtigen der Welt gehört.“
Die Aussicht, nach New York zu reisen und dort fürstlich bewirtet zu werden, während man Marching to Heaven vorantrieb, war Balsam auf die wunde Seele des Herrschers.
„Zeit für euch alle, mal zuzuhören“, bellte er und brachte sie augenblicklich zum Verstummen. „Man sagt: Es gibt keinen Rauch ohne Feuer. Dunkle Wolken verkünden den Sturm. Es hat mich nicht glücklich gemacht zu erfahren, dass Tajirika, mein Vorsitzender für Marching to Heaven, Leute einstellt, ohne vorher gründlich ihre Herkunft und Geschichte zu prüfen. Hast du mich verstanden, Machokali? Gleichzeitig war ich auch nicht erfreut zu hören, dass man seine Frau – wie hieß sie doch gleich? Vinjinia – verhaftet hat. Diese Geschichte darf auf keinen Fall aus diesem Raum oder womöglich sogar an die Presse gelangen, und ich erwarte die sofortige Freilassung Vinjinias. Auch die Leute von der Global Bank darf nicht das leiseste Wort über diese verpfuschte Angelegenheit erreichen. Außerdem muss Tajirika überprüft werden, aber unauffällig. Verstanden, Sikiokuu?“
„Ja, Sir. Wird Tajirika weiterhin Vorsitzender von Marching to Heaven bleiben?“, fragte Sikiokuu, ermutigt vom Urteilsspruch des Herrschers. „Ich schlage vor, ihn sofort seines Postens zu entheben, damit er sich nicht in die Ermittlungen einmischen kann.“
„Halt den Mund“, warnte der Herrscher Sikiokuu, „oder ich sorge persönlich dafür. Wir wechseln die Pferde nicht während des Rennens. Tajirika bleibt auf seinem Posten.“
Jetzt war es an Machokali, sich siegessicher zu fühlen. Er brachte sogar ein Lächeln hervor, aber es verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.
„Ich werde einen Stellvertreter einsetzen und fordere Minister Sikiokuu auf, mir seine Vorschläge einzureichen. Und, Sikiokuu, ich wünsche, dass du einen Untersuchungsausschuss einsetzt, der sich dieser Angelegenheit mit den Warteschlangen und der damit einhergehenden Manie annimmt. Diese Kommission hat herauszufinden, wo, wann und wie die Schlangen entstanden sind und wie es dem Feind gelungen ist, sie als Tarnung für seine schändlichen Taten zu benutzen. Die anderen Minister mögen Mitglieder für diesen Untersuchungsausschuss vorschlagen, seine Zusammensetzung – einschließlich der Wahl des Vorsitzenden – obliegt Sikiokuu.“
Sikiokuu war von dieser Entwicklung begeistert. Er hatte über seinen Erzrivalen gesiegt. Zumindest glaubte er das. Seine Euphorie erhielt einen Dämpfer, als der Herrscher verkündete: „Wenn ich aus New York zurückkomme, wünsche ich die Abschlussberichte auf meinem Tisch!
Und was dich angeht, Machokali“, fuhr der Herrscher fort und drehte sich nun zu ihm um, „beschäftige dich damit, meine bevorstehende Reise nach New York zu organisieren. Bring so viele Staatsbesuche wie möglich in dieser Reise unter. Ich will nicht, dass diese Global-Bank-Leute glauben, ich würde die Reise nur aus dem Grund machen, um mit ihnen zu verhandeln.“
So enttäuscht Sikiokuu darüber war, nicht mit nach New York reisen zu dürfen, so verärgert war Machokali, dem Erzfeind eine vielleicht verheerende Untersuchung überlassen zu müssen. Fieberhaft überlegte er, was Sikiokuu die Hände binden könnte.
„Was soll mit Nyawĩra geschehen?“, fragte er. „Wenn man der Bewegung für die Stimme des Volkes nicht das Rückgrat bricht, könnte die Global Bank zögern, einem Land, das vor einer Rebellion steht, Geld zukommen zu lassen.“
Diese Worte stachen wie Nadelspitzen in den Traum von Staatsbesuchen und weckten die Erinnerung an die Schmach von Eldares. Die Wut auf die Frauen und der Rachedurst meldeten sich mit einer Wucht zurück, die den Herrscher fast erstickte. Warum bloß haben sie mir das vor den Augen der ganzen Welt angetan?