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Tajirika fühlte sich von der Art und Weise, in der man ihn aus Sikiokuus Büro entfernt hatte, gedemütigt, aber seine Wut richtete sich hauptsächlich gegen Machokali und Vinjinia. Warum hatte sein Freund ihn nicht in die Delegation für die USA aufgenommen?, fragte er sich immer wieder. Machokali hatte versprochen, ihn ab und zu anzurufen, doch seit seiner Abreise nach Amerika hatte er sich nicht ein einziges Mal gemeldet. Die Zweifel, die Sikiokuu in ihm gesät hatte, begannen zu wachsen. Trotzdem konnte er sich noch immer keine Verbindung zwischen Machokali und Vinjinia vorstellen. Die Bilder von seiner Vinjinia und den tanzenden Frauen hatten jedoch das Vertrauen in sie erschüttert. Auch wenn er nicht viel damit anfangen konnte, hielt sich Tajirika an das Sprichwort, wonach man den Worten von Frauen oder Kindern erst glauben sollte, wenn man eine Nacht darüber geschlafen hat. Dennoch gab es Dinge, bei denen er geschworen hätte, dass Vinjinia dazu nicht fähig war. Jetzt aber war er sich dessen nicht mehr sicher.
Am meisten schmerzten die Berichte über das Vergehen seiner Frau und über den Tanz, den die Frauen vor ihr aufgeführt hatten. Obwohl er fest davon überzeugt war, dass man Frauen von vornherein nicht trauen durfte, stand für ihn fest, dass die Ehefrau immer ein Muster an Tugendhaftigkeit zu sein hatte. Ein guter Mann wurde danach beurteilt, wie gut und treu seine Frau war, und eine gute Frau beurteilte man nach ihrer Diskretion und der Fähigkeit, die Fehltritte ihres Mannes zu kaschieren. Genau so war die Frau, die er geheiratet hatte. Eine Frau, die nicht viel vom Leben forderte. Eine Frau, die längst nicht mehr fragte, wo er über Nacht gewesen war. Eine Frau, der es völlig reichte, ihr Leben in der Küche und auf dem Feld zu verbringen. Eine Frau, die nie politische Fragen stellte. Das war die Frau, die er zu kennen glaubte. Konnte sie das alles vorgetäuscht haben?
Vielleicht hatten Sikiokuu und seine Leute mit ihren Andeutungen recht, dass Nyawĩra, in der sie die Mutter aller Heuchelei sahen, etwas mit der neuen Vinjinia zu tun hatte. Man konnte nicht umhin zuzugeben, dass alles von dem Tag an schiefgelaufen war, an dem er krank geworden war und Vinjinia ins Büro geschickt hatte. Und wenn er schon Nyawĩras Gerissenheit unterlegen war, warum nicht auch Vinjinia? Das gestand er sich ein, obwohl er von ihr so viel Verstand erwartet hätte, sich nicht hinters Licht führen zu lassen und in der Gesellschaft schamloser, primitiver Tänzerinnen zu enden.
Es war ein Privileg männlicher Macht, seine Frau zu schlagen, wenn nicht gar ein Recht, und hier in der Zelle hatte er keine Gelegenheit, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Frustriert knirschte er mit den Zähnen, weil er sich lediglich ausmalen konnte, wie er seine Frau durchprügeln und sie schreiend um Gnade und Vergebung flehen würde. Das erlaubte ihm, nüchterner über die anderen Dinge nachzudenken, die ihn bedrückten.
Wie etwa über die Angelegenheit mit Silver Sikiokuu.
Es war offensichtlich, dass er Machokali eine Falle stellen wollte und Tajirika als Köder brauchte. Doch welche Rolle sollte er spielen? Ihm klang immer noch Sikiokuus Aufforderung in den Ohren, er solle über die „wahre Bedeutung“ von „wenn“, „weiß“ und „wünschen“ nachdenken. Verbarg sich seine Rolle hinter diesen Worten? Und was war sein Gewinn dabei? Welche Abmachung gab es da? Darüber hatte sich Sikiokuu nur in Rätseln ausgelassen. Warum?
Sikiokuu wollte ihn weichklopfen, indem er ihn wieder in eine Zelle stecken ließ, wo ihm ein Kübel als Toilette diente. Die Wärter leerten ihn nur alle drei Tage, und manchmal hielten sie nicht einmal diesen Zeitplan ein. Es konnte vorkommen, dass der Eimer vor Kot und Urin überquoll und der Gestank ihn Tag und Nacht begleitete. Doch Sikiokuu unterschätzte sowohl seinen Überlebenswillen als auch seinen Geschäftssinn. Tajirika würde sich auf keinen Fall auf einen Handel ohne gegenseitiges Geben und Nehmen einlassen.
Tajirika hielt nicht besonders viel von Freundschaft. Und es gab nichts, was er nicht tun würde, um seine Haut zu retten, solange der Preis stimmte, außer an etwas teilzunehmen, was Leben und Macht des Herrschers berührte. Das würde den sicheren Tod bedeuten. Deshalb war er auch nicht bereit zu bestätigen, er habe andere über ein gegen den Herrscher gerichtetes Komplott reden hören.
Wie er sich doch wünschte, genau zu wissen, an welchem Tag und zu welcher Stunde der Herrscher und sein Gefolge zurückkehrten! Tajirika hatte keine Wahl. Ihm blieb nichts anderes, als abzuwarten, bis Sikiokuu ein Angebot machte oder Machokali aus Amerika zurückkam. Egal, was zuerst eintrat.
An einem späten Abend öffneten die Wärter die Zellentür, stießen einen Mann herein und schlossen wieder ab. Tajirika blieb still in seiner Ecke sitzen und lauschte angespannt den Atemzügen seines Mitgefangenen. Nach einer Weile – er konnte das Schweigen nicht länger ertragen – fragte er: „Wer bist du?“ Aber der Mann antwortete nicht.
Vielleicht ist er ein Mörder, den man heimlich um Mitternacht hierhergebracht hat, damit er dir etwas antut, sprach eine innere Stimme zu Tajirika. Kalter Schweiß brach ihm aus und er begann zu zittern. Als die Spannung unerträglich wurde, zeterte er:
„Bring mich nicht um. Ich flehe dich an, bring mich nicht um. Ich habe nichts verbrochen. Gnade. Ich habe Frau und Kinder. Bitte vergieß für Geld kein unschuldiges Blut. Egal, was sie dir gegeben haben, ich verspreche dir, du bekommst das Doppelte.“
„Schscht!“, gab der Mann zurück, aber Tajirika war so mit sich beschäftigt, dass er es nicht hörte.
„Wie viel haben sie dir gegeben?“, fragte Tajirika und wartete auf eine Antwort.
„Wofür?“, fragte der Mann.
„Mich umzubringen?“
„Warum sollte ich dich umbringen wollen? Ich kenne dich nicht. Ich habe dich noch nie gesehen.“
„Genau das will ich dir ja klarmachen. Ich bin unschuldig. Ich habe keiner Seele etwas zuleide getan.“
„Dann hast du nichts zu befürchten. Ich werde dich nicht töten“, sagte der Mann.
„Was hast du gesagt?“
„Sei still. Ich werde dich nicht töten.“
„Danke, mein Retter. Wie viel willst du?“
„Warum soll ich Geld von dir wollen?“
„Weil du mich verschonst. Weil du mich leben lässt.“
„Wer hat dir erzählt, dass ich hier bin, um dich zu erledigen?“
„Wer bist du dann? Warum haben sie dich hergebracht?“
„Hör zu“, sagte der Mann verärgert. „Ich habe keine Ahnung, wer du bist. Und ich bin nicht in Stimmung, mich zu unterhalten. Schlaf jetzt und lass mich auch schlafen“, sagte der Mann und schwieg.
Aber Tajirika fand das anhaltende Schweigen des Mannes beunruhigend. Der tut nur so. Der will mich in den Schlaf schaukeln und dann umbringen.
„Glaub ja nicht, dass du mir etwas vormachen kannst“, sagte Tajirika.
„Warum?“, fragte der Mann.
„Ich weiß genau, du willst, dass ich einschlafe …“
„Bist du nicht bei Trost?“
Trotz der Provokationen Tajirikas verweigerte der Mann den Rest der Nacht jede Antwort, was Tajirikas Verdacht nur bestätigte, Sikiokuu wolle ihn tot sehen. Er machte kein Auge zu. Das Morgengrauen fand ihn, wie er in die Ecke starrte, in der der andere lag.
Keiner von beiden traute seinen Augen.
„Titus Tajirika!“
„Herr der Krähen!“