10

„Hören Sie“, sagte Njoya zum Herrn der Krähen, „der Staatsminister will Sie heute Abend sprechen.“

„Und was will er?“

„Wir sind nur die Übermittler.“

„Dann geht zu dem zurück, der euch geschickt hat, und sagt ihm, dass er willkommen ist, meinen Schrein zu besuchen“, antwortete der Zauberer. „Wenn ich mich um seine Bedürfnisse kümmern soll …“

„Er muss nicht geheilt werden“, erklärte Kahiga.

„Und was will er dann von mir?“

„Er spricht einfach eine Einladung aus“, antwortete Njoya.

„Sie werden sein persönlicher Gast sein. Sein Ehrengast“, fügte Kahiga hinzu.

„Richtet ihm aus, ich fühle mich von seiner Einladung geehrt, aber er muss vorher einen Tag und eine Uhrzeit vorschlagen, die für uns beide passt, damit ich mich darauf einrichten kann.“

Njoya und Kahiga schauten sich an und überlegten, wie sie dem Hexenmeister möglichst schonend verständlich machen konnten, dass er keine Wahl hatte.

Njoya räusperte sich und sagte: „Mr. Herr der Krähen, we know that you may not be too familiar with what we in government call protocol, and, quite frankly, I don’t blame you. Oh, tut mir leid, dass ich Englisch mit Ihnen rede. Ich meinte, dass Sie vielleicht nicht alle Regeln guten Benehmens der Regierung gegenüber kennen.“

„No need to explain“, antwortete der Herr der Krähen. „Auch Zauberern sind Sprachen nicht fremd. Manze enda mtell buda na masa wenu ati sitago. Mũrogi wa Kagogo hachore-wangwi na mutu. Haneed vinaa. Hello-na-zuribye“, sprach der Herr der Krähen in Sheng.

Kahiga und Njoya hatten sich noch nicht richtig von ihrer Überraschung über diesen Hexendoktor erholt, der nicht nur gut Englisch sprach, sondern auch den neuesten Straßenjargon von Eldares beherrschte, als sie bemerkten, dass der Herr der Krähen wieder in sein Haus ging, als hätte er ihnen alles gesagt, was zu sagen war.

„Hallo, warten Sie mal“, riefen sie ihm hinterher, und der Herr der Krähen blieb stehen.

„Es tut mir wirklich leid“, meinte Njoya, „aber ohne Sie können wir nicht gehen.“

„Habt ihr die Absicht, euch meinen Zorn zuzuziehen?“

„Oh, nein, nein, nichts dergleichen“, erklärte Kahiga schnell, verunsichert von der drohenden Stimme des Zauberers. „Sie wissen, wie es in unserem Land zugeht. Ein Bürger kann nicht ohne guten Grund eine Einladung der Regierung ablehnen.“

Woher kam diese eigenartige Mischung aus Furcht und Anmaßung?, wunderte sich Kamĩtĩ. Waren sie wirklich gekommen, um ihn zu verhaften oder war das Ganze ein grausamer Sport und ihre Absicht bestand einzig darin, Nyawĩra zu kriegen? Kamĩtĩ dachte über seine Optionen nach. Den zornigen Herrn der Krähen spielen und mit Feuer und Schwefel drohen? Aber angenommen, sie durchschauten seinen Bluff? Sich weigern mitzugehen? Sie konnten ihn immer noch mit Gewalt fortzerren. Aber Widerstand könnte sie misstrauisch machen und dazu bringen, sich den Schrein genauer anzusehen. Angenommen, sie stürmten den Schrein und verhafteten Nyawĩra? Das würde er sich niemals verzeihen. Es war besser, er würde sich von ihrem Versteck wegführen lassen.

„Ist das so?“, fragte der Herr der Krähen mit unschuldiger Miene. „Wartet, wo ihr seid, ich bin gleich so weit.“ Wenn sie wirklich gekommen waren, um ihn zu verhaften, würden sie ihn auf keinen Fall aus den Augen lassen, das war ihm klar.

Und tatsächlich machte einer der beiden Anstalten, ihm zu folgen, der Herr der Krähen drehte sich jedoch um und blickte ihn zornig an.

„Seid ihr sicher, dass ihr mir folgen wollt? Meine magischen Grenzen überschreiten?“

„Oh, nein! Nein!“, sagten beide Polizisten wie aus einem Mund. „Lassen Sie sich Zeit, Mr. Herr der Krähen.“

Er ging geradewegs zu Nyawĩra, schilderte ihr die Lage und bat sie, im Versteck zu bleiben, bis er und seine neuen Bekannten das Grundstück verlassen hatten.

„Es ist besser so“, sagte Kamĩtĩ. „Das wird ihre Nasen von dir und dem Schrein ablenken.“

Als der Herr der Krähen und die beiden Polizisten im Begriff waren zu gehen, tauchte Nyawĩra plötzlich aus dem Dunkel auf und stürmte, eine Trinkschale in der linken und einen Fliegenwedel in der rechten Hand, auf sie zu. Die drei blieben wie angewurzelt stehen. Das Spiel von Licht und Schatten auf Nyawĩra ließ sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt aussehen. Ohne ein Wort baute sie sich vor ihnen auf, und einen Augenblick lang dachte Kamĩtĩ, sie wäre verrückt geworden. Wo war die Nyawĩra, die er sprachlos kauernd zurückgelassen hatte? Warum tat sie das? Nyawĩra aber tauchte den Fliegenwedel in die Schale, besprengte sie und murmelte Beschwörungen vor sich hin.

„Wenn ihm auch nur ein einziges Haar fehlt, wenn er zurückkommt, werde ich euch zwei dafür zur Verantwortung ziehen, zur Verantwortung, zur Verantwortung.“

Sie schritt im Kreis um sie herum und wiederholte das Ritual wieder und wieder, mit unterschiedlichen Variationen ihrer Warnung.

Nach der siebten Umrundung blieb sie abrupt stehen, nur wenige Zentimeter vor ihren bestürzten Gesichtern. Dann sprach sie langsam und fest, damit sie jedes Wort verstanden:

„Und sollte er verschwinden, dann wird die Erde euch beide, die ihr ihn fortgebracht habt, verschlucken!“

Und während sie das sagte, hob sie die Schale hoch in die Luft und goss das restliche Wasser auf den Boden.

„Oder zerbrechen wie diese Kalebasse!“ Und sie schmetterte die Kalebasse auf den Boden.

Dann rannte sie ins Haus zurück.

Njoya und Kahiga standen vollkommen bewegungslos da. Als sie versuchten, die Füße zu heben, war ihnen, als wären diese am Boden festgekettet.

„Macht euch keine Sorgen“, meinte der Herr der Krähen. „Sie ist mein Schutzengel. Mein Auge des Lebens. Sanft wie ein Lamm. Aber wenn sie einmal wütend wird, ergreift ein gefährlicher Dämon von ihr Besitz. Ihr Wort ist sogar für mich Gesetz.“

Der Zauber war gebrochen. Die Füße der beiden Polizisten fanden ihre Beweglichkeit wieder, und sie brachten den Herrn der Krähen zu Sikiokuu, dem Staatsminister im Büro des Herrschers.

Herr der Krähen
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