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„Mein Leben liegt also in meinen Händen?“, fragte Tajirika trotzig. „Hab ich mich etwa selbst verhaftet, mir Handschellen angelegt und mich in diesen Kerker verfrachtet?“
Sikiokuus privater Empfangsbereich war ein großzügiger Wohnraum mit Sitzbänken und Plastikblumen auf einem Teetisch. Schwere Vorhänge und eine Hausbar vervollständigten die Einrichtung.
So, wie der Minister herumging, saß und gestikulierte, während er seine Ohrläppchen streichelte oder mit den winzigen Augen rollte, strahlte er grenzenloses Selbstvertrauen aus. Für einen Moment fürchtete Tajirika, mit der Regierung würde etwas nicht stimmen. Hatte es etwa einen Staatsstreich gegeben? War Sikiokuu jetzt an der Macht?
Sikiokuu antwortete nicht sofort, sondern schenkte seinem Gast zunächst einen kleinen Brandy ein, reichte ihm eine Zigarette und ein Feuerzeug. Tajirika griff nach allem, was ihm angeboten wurde, als fürchtete er, Sikiokuu könnte seine Meinung ändern. Er hatte lange keine Zigarette und keinen Drink mehr gehabt.
„Sie haben völlig recht. Sie stehen nicht unter Selbstarrest“, meinte Sikiokuu. „Es gibt aber einen Grund, weshalb Sie hier sind. Ich bin überzeugt, dass der Geheimdienst eine Person mit Ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht ohne plausiblen Grund verhaften würde. Wie heißt es bei den Waswahili? Dunkle Wolken verkünden den Regen, oder noch zutreffender: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.“
„Und wo ist der Rauch, der sie zu mir geführt hat?“
„Nyawĩra.“
„Hat man sie gefasst?“
„Staatsgeheimnis“, meinte Sikiokuu unbestimmt.
„Hören Sie mich an, Mr. Sikiokuu. Wenn man sie verhaftet hat, bin ich froh darüber. Dann kann ich ihr entgegentreten und alles widerlegen, was sie gegen mich vorbringen mag. Sie haben auch Angestellte, nicht wahr? Können Sie ehrlich behaupten zu wissen, mit wem und wo sie jede Nacht schlafen? Oder was in ihren Köpfen vor sich geht?“
„Mr. Tajirika, der M5 besitzt relative Autonomie; er herrscht über uns. Er sammelt Informationen über uns alle, bei der Arbeit oder in der Freizeit. Er verschafft uns Informationen, aber wir wissen nie, wie viel er für sich behält. Offenbar müssen wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage dieser Informationen treffen. Ich persönlich glaube Ihnen, Mr. Tajirika. Und als Ihr Freund will ich Ihnen gestehen: Ihre ehemalige Sekretärin Nyawĩra ist noch nicht gefasst worden. Aber Sie können sicher sein, früher oder später haben wir sie. Sie kann dem Staat nicht entkommen. Die gute Nachricht ist also, dass sie nicht gegen Sie ausgesagt hat. Trotzdem stecken Sie in ziemlichen Schwierigkeiten.“
„Warum? Was habe ich Unrechtes getan?“
„Schlechte Gesellschaft. Schlechtes Urteilsvermögen bei der Wahl Ihrer Angestellten und Ihrer Freunde in der Regierung. Und was noch schwerer wiegt, die Unfähigkeit zu kontrollieren, mit wem sich Ihre Frau abgibt.“
„Mr. Minister, erklären Sie mir das, bitte. Hören Sie auf, in Rätseln und Sprichwörtern zu reden. Was meinen Sie damit, mit wem sich meine Frau abgibt? Ich kann Ihnen versichern, dass Vinjinia eine treue Hausfrau ist. Ihr Tagesablauf ist sehr schlicht. Sie arbeitet auf dem Feld, geht auf den Markt und ins Büro, wenn ich nicht da bin, und am Sonntag in die Kirche.“
„Glauben Sie das wirklich? Es heißt, der Ehemann erfährt immer alles als Letzter.“
„Was wollen Sie damit sagen, Mr. Minister?“, fragte Tajirika und sprang fast aus dem Sessel.
„Setzen Sie sich, Titus. Hier geht es nicht darum, ob sie sich mit anderen Männern trifft. Wenn es nur das wäre, dann hätte ich es nicht einmal erwähnt. Die verheirateten Frauen in Aburĩria sind heutzutage leicht flachzulegen, aber um ganz ehrlich zu sein, ich habe nie gehört, dass sich Ihre Frau jemals in einer kompromittierenden Lage befunden hat.“
„Wovon sprechen Sie dann?“
„Von Bildern. Ich habe hier ein paar Fotos, und ich möchte, dass Sie sie sich ansehen und mir sagen, was sie darüber wissen.“
Sikiokuu ging zu einer Kommode an der Wand und kam mit einem Umschlag zurück, den er Tajirika gab. Tajirika zog ein Bild heraus und schaute es lange und angestrengt an. Dann blätterte er schnell durch die übrigen und schüttelte den Kopf. Anschließend fing er wieder von vorne an. Nein, seine Augen trogen ihn nicht; trotzdem konnte er nicht glauben, was er sah.
Die Fotos zeigten Vinjinia, die irgendwo im Freien vor einer Gruppe tanzender Frauen saß, die alle traditionelle Gewänder trugen. Sikiokuu verriet nicht, dass er selbst diese Aufnahmen an dem Tag angeordnet hatte, als Vinjinia sich Sikiokuu vor Kaniũrũs Büro entgegenstellte. Die Fotos waren aus unterschiedlichen Winkeln so aufgenommen worden, dass man weder Kaniũrũ und Sikiokuu noch die anderen Oberen, die bei dieser Veranstaltung anwesend waren, sehen konnte. Aber Vinjinia war auf jedem der zehn Fotos, entweder allein oder gemeinsam mit den tanzenden Frauen, und es schien, als tanzten die Frauen einzig und allein für ihren Ehrengast Vinjinia.
Tajirika hatte das Gefühl, als würde seine Zunge anschwellen. Seine Lippen öffneten und schlossen sich, ohne dass er ein Wort sagen konnte. Seine Hände zitterten. Er setzte sich und warf die Bilder auf den Tisch. Seine Lippen bebten immer noch, als er Sikiokuu anschaute und wenig überzeugend sagte:
„Ich kann es einfach nicht fassen.“
„Was können Sie nicht fassen? Dass sie Ihre Frau ist? Oder sind das keine Fotos von ihr? Oder dass sie nicht zu der Sorte Frauen gehört, die Schande über den Bauplatz für Marching to Heaven gebracht haben?“
„Ich glaube nicht, dass mir Vinjinia so etwas antun würde.“
„Vielleicht könnten Sie so freundlich sein, mir das eine oder andere zu erklären. Die vom Geheimdienst haben mir gesagt, Sie hätten die ganze Zeit abgestritten, etwas über die Frauen zu wissen, die das getan haben. Sie behaupten, Sie hätten nicht nur jede persönliche Kenntnis abgestritten, sondern auch, dass Ihre Frau etwas wüsste. Und gleichzeitig haben Sie zugegeben, in der Zeit, in der Sie krank waren, Nyawĩra und Ihrer Frau die Leitung Ihres Geschäfts übertragen zu haben. Eben den beiden, die Sie dann auch zum Zauberer brachten. Woher wollen Sie wissen, dass sie Sie heilen wollten? Woher wollen Sie wissen, dass sie nicht vorhatten, Ihnen mit einem Zaubertrank den Geist zu verwirren? Und selbst wenn Sie an ihre Unschuld und guten Absichten glauben, können Sie von dem Hexenmeister dasselbe behaupten? Können Sie sicher sein, dass er nicht irgendeinen Groll gegen Sie hegte und nun seine Chance sah, indem er den Frauen etwas vormachte? Und Sie wissen ja selbst, wie leichtgläubig Frauen sind.“
„Aufhören bitte. Ich bitte Sie von Mann zu Mann, lassen Sie mich nach Hause gehen, jetzt sofort, und mit dieser Verräterin abrechnen.“
„Titus, Sie wissen, wenn es nach mir ginge, könnten Sie nach Hause gehen, wann immer Sie wollen. Doch da es sich hier um Angelegenheiten der Staatssicherheit handelt, zählen meine persönlichen Gefühle nichts, wenn es darum geht, den Ernst einer Lage einzuschätzen. Wir halten uns einfach an die Tatsachen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie das verstehen würden, wenn Sie an meiner Stelle wären, Titus. Also werfen wir einen Blick auf die Fakten. So, wie man sie dem Herrscher vorlegen wird, sobald er zurück ist. Sie haben Nyawĩra angestellt. Die Warteschlangen sind zuerst vor Ihrem Büro entstanden, und zwar an genau der Stelle, an der Nyawĩra am Abend zuvor einen Aushang angebracht hat. Hier sehen Sie Fotos von Vinjinia, Ihrer Frau, die sich von Frauen in traditioneller Kleidung unterhalten lässt. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, Titus. Wie wollen Sie aus diesem Schlamassel herauskommen? Irgendeinen Vorschlag? Und deshalb habe ich nach Ihnen geschickt. Um Ihnen den Ernst Ihrer Lage begreiflich zu machen, damit wir gemeinsam überlegen können, wie wir Sie aus dieser Klemme herauskriegen.“
Tajirika hatte das Gefühl, verrückt zu werden. Er wollte den Kopf in die Hände stützen, lehnte sich dann aber zurück und starrte an die Decke.
Eines hatte das Gespräch unzweifelhaft klargestellt: Es hatte keinen Regierungswechsel gegeben, der Herrscher war noch immer das Oberhaupt, und das hieß, dass auch sein Freund Markus Machokali, der Außenminister, noch seinen Posten besaß. Irgendwie wirkte das belebend auf Tajirika.
„Mr. Minister“, begann Tajirika in zerknirschtem Ton. „Ich weiß, man kann nicht gerade behaupten, wir beide wären die besten Zechkumpane. Aber bitte glauben Sie mir, wenn ich sage, ich würde niemals Umsturzpläne gegen den Herrscher tolerieren oder unterstützen, ganz egal von wem, meine Frau und meine Kinder eingeschlossen. Meine Treue zum Herrscher und seiner Regierung ist absolut.“
Sikiokuu nahm den deutlich abflauenden Trotz in Tajirikas Stimme als Zeichen dafür, dass er auf dem besten Wege war zu bekommen, was er sich von dieser Unterredung erhoffte. Weniger angetan war er von der offensichtlichen Aufrichtigkeit in Tajirikas Leugnen und der Entschlossenheit in seiner Haltung dem Herrscher gegenüber. Überzeugungen sind schwerer zu zertrümmern als bewusster Widerstand.
Sikiokuu füllte noch etwas Brandy in Tajirikas Glas.
„Hier, ein kleiner Brandy wird Ihnen gut tun. Wie ich von Anfang an gesagt habe: Ich persönlich glaube Ihnen.“
„Dann helfen Sie mir. Bitte, helfen Sie mir“, bettelte Tajirika zwischen zwei Schlucken.
„Ich habe mich nie einer Bitte um Hilfe verschlossen. Aber wie Sie wissen: Gott hilft denen, die sich selbst helfen. Darum habe ich Ihnen gesagt, Ihr Leben liegt in Ihren Händen. Ich kann Ihnen nicht helfen, solange Sie nicht ehrlich wollen, dass ich Ihnen helfe.“
„Ich gebe Ihnen die Hälfte meines Vermögens.“
„Ich brauche Ihr Vermögen nicht. Auch nicht das eines anderen. Mir liegt einzig die Sicherheit des Herrschers und seiner Regierung am Herzen.“
„Und wie soll ich mir dann helfen, damit ich Sie dazu bringe, mir zu helfen?“, fragte Tajirika mit weinerlicher Stimme.
„Fangen wir einfach mit der Frage nach Ihrer Krankheit an. Ich glaube, Sie haben sie meinen Männern als Krankheit der Worte beschrieben, Worte die Ihnen im Halse stecken geblieben sind. Ist das so richtig?“
„Ja. So in etwa.“
„Haben Sie vor dem Schlangenwahn jemals unter dieser Krankheit gelitten?“
„Nein.“
„Und seither?“
„Auch nicht.“
„Und diese Krankheit wurde dadurch ausgelöst, dass Sie sich danach sehnten, Weißer zu werden? Durch das unerfüllte Verlangen, ein weißer Europäer zu sein?“
„Ein weißer Engländer, das ist richtig.“
„Also, Titus, ich möchte, dass Sie einmal tief durchatmen, bis zehn zählen und über die folgende Frage nachdenken. Was haben Sie als Ergebnis Ihrer mutmaßlichen Heilung über die wirkliche Bedeutung der weißen Hautfarbe gelernt?“
„Wie meinen Sie das?“
„Sie haben nicht unter dem unerfüllten Verlangen gelitten, ein armer Weißer zu sein, oder?“
„Okay, ich sehnte mich nach der Macht, die mit dem Weißsein verbunden ist“, gab Tajirika zu.
„Politische Macht, militärische Macht, die Macht zu herrschen“, fügte Sikiokuu rasch hinzu und betonte die Worte wie ein Lehrer, der sich bemüht, das Verständnis seines Schülers zu befördern. „Nein, nicht einfach nur zu herrschen, sondern Schutzgebiete zu schaffen, Kolonien, Reiche, im Angesicht derer die Glorie von Rom, London und Paris verblasst? Titum Imperium Tajirikum Majestica?“
„Nein. Nein. Nein. Niemals. Das stimmt nicht“, antwortete Tajirika und sprang auf, als hätte er sich aus Versehen auf eine Reißzwecke gesetzt. „Ich habe nie von der Macht zu herrschen geträumt und auch nicht daran gedacht. Und schon gar nicht, sie mit Gewalt zu ergreifen. Derartige Gedanken und Träume weise ich aufs Entschiedenste zurück“, beharrte Tajirika mit Nachdruck. „Ich habe mir einfach etwas gewünscht, das mich von anderen Schwarzen unterscheidet. Aber niemals politische Macht – nein, ich nicht.“
„Titum Imperium Tajirikum Majestica geht vielleicht ein bisschen zu weit“, sagte Sikiokuu, überrascht darüber, wie vehement Tajirika alles bestritt. „Aber wie ist Ihr Verlangen, weiß zu sein, entstanden? Wenn schon nicht Sie, dann muss jemand anderes diesen einfältigen Wunsch geäußert haben, vielleicht nur indirekt: Wenn ich bloß die Macht eines Weißen hätte. Oder, wenn die Regierung in meinen Händen läge, dann wäre ich so mächtig wie ein Weißer. Irgend so etwas. Überlegen Sie, Titus, denken Sie nach und haben Sie den Mut, Ihren Gedanken zu folgen, egal wohin oder zu wem sie Sie führen.“
Widerstreitende Gedanken und Ängste schwirrten in Tajirikas Kopf herum, während er die kompromittierenden Fotos betrachtete. Das Bild seiner Frau als Ehrengast einer Frauenversammlung beherrschte jeden Gedankengang. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass die Bilder echt waren. Er erkannte sogar das Kleid, das sie trug. Trotzdem war das Ganze absurd, grausam und unangenehm, und er hatte Mühe, mit Sikiokuus Wortklaubereien und Verdrehungen mitzuhalten. Statt Sikiokuu zu antworten, leerte er den letzten Tropfen seines Glases und streckte wortlos die Hand aus, um sich einen weiteren Brandy einschenken zu lassen.
Sikiokuu war gerne bereit, diesem Wunsch nachzukommen, und ging zur Hausbar. Er merkte, wie Tajirikas Widerstand nachließ und wie verwirrt er war. Vielleicht würden ein oder zwei Drinks ein freiwilliges Geständnis, das auch seinen Rivalen belastete, erleichtern. Natürlich wurde die gesamte Unterredung aufgezeichnet. Ein Geständnis war ein Geständnis, selbst wenn es aus dem Mund eines betrunkenen Gefangenen kam.
„Nun, Titus?“, drängte Sikiokuu, als er Tajirika den nächsten Brandy reichte.
„Bitte sagen Sie mir eins, Mr. Minister. Als Ihre Männer damals meine Frau verhafteten, wussten Sie da schon, dass sie mit diesen traditionellen Frauen gemeinsame Sache machte, oder haben Sie das erst herausbekommen, nachdem Sie sie in der Mangel hatten?“
„Sie wollen von mir die Wahrheit erfahren?“
„Nach allem, was ich heute gesehen und gehört habe, kann mich nichts mehr überraschen.“
„Tatsächlich hatten wir sie schon seit Langem in Verdacht. Aber, Titus, warum fragen Sie nach ihr?“
„Ist das nicht klar? Wenn meine Frau, die Mutter meiner Kinder, die Person, mit der ich das Bett teile, mich derart betrügen konnte und ich die Lügen nicht durchschaute, wer könnte mir dann noch so etwas angetan haben, ohne dass ich es bemerkte? Mr. Sikiokuu, ich bin mir über nichts mehr sicher“, sagte Tajirika verzweifelt.
Sikiokuu erkannte die Lücke in Tajirikas Verteidigung, nach der er so lange gesucht hatte.
„Das ist genau das, was ich Ihnen die ganze Zeit zu sagen versucht habe. Jemand wie Sie sollte niemandem trauen. Irgend so ein Franzose, ich glaube, er hieß Descartes, sagt: Zweifle an dir! Zweifle an deinen engsten Freunden. Zweifle an allem. Ich zweifle, also bin ich. Das nennt man cartesianische Logik.“
„Da haben Sie die reine Wahrheit gesagt“, stimmte Tajirika zu, der glaubte, Descartes sei die zeitgenössische französische Version des Thomas aus der Bibel, von dem seine Frau immer erzählte.
„Welche meiner Wahrheiten meinen Sie?“, fragte Sikiokuu.
„Dass man niemandem trauen kann.“
„Das ist die richtige Denkweise.“
„Bisher hatte ich keinen Grund, meine Frau einer Verschwörung zu verdächtigen.“
„Sie meinen, es kam Ihnen niemals in den Sinn, dass man ihr aufgetragen haben könnte, Ihnen nachts böse Gedanken ins Ohr zu flüstern?“
Tajirika fühlte sich immer elender. War es so? War er das Opfer von Gedanken, die ihm seine Frau nachts ins Unterbewusstsein eingetrichtert hatte?
„Ich frage mich, wem es nützen könnte, einem Schlafenden in der Nacht böse Gedanken einzuflüstern?“, meinte er matt.
„Ihrem Kumpel. Dem Mann, den Sie als Ihren Freund bezeichnen. Manche Leute haben seltsame Vorstellungen von Freundschaft.“
„Wer? Meinen Sie etwa …“
„Irgendjemand“, antwortete Sikiokuu rasch und vermied es, Machokali zu erwähnen, weil er hoffte, dass Tajirika den Namen selbst aussprechen würde.
„Und was sollte mir meine Frau in deren Auftrag einflüstern?“
„Etwas über Macht. Die Macht zu ergreifen.“
„Ja, aber warum durch Vinjinias Flüstern? Und vor allem nachts, wenn ich schlafe?“
„Sie könnten versucht haben, Sie weichzuklopfen, um Sie später zum Komplizen ihres Verrats zu machen“, meinte Sikiokuu wenig überzeugend.
Obwohl Tajirika wütend auf seine Frau war, weil sie sein Verschwinden nicht rechtzeitig publik gemacht und sich außerdem noch mit eigenartigen Weibern hatte fotografieren lassen, konnte er sich immer noch nicht vorstellen, dass Vinjinia mit irgendjemandem über Politik redete. Eine innere Stimme, ein Instinkt des Selbstschutzes, veranlasste ihn, der Richtung gegenüber argwöhnisch zu bleiben, in die Sikiokuu ihn zu drängen versuchte.
„Ich will es Ihnen noch einmal sagen“, fügte Tajirika schnell hinzu, als träte er vom Rand einer Klippe zurück, „ich habe nie etwas, von niemandem und zu keiner Zeit, über einen Sturz der Regierung gehört.“
„Warum vertrauen Sie diesen Leuten so sehr? Warum sind Sie sicher, dass ein Bekannter, ein enger Freund, ja sogar ein hochrangiges Mitglied der Regierung, Ihre Frau nicht für seine üblen Pläne eingespannt hat?“
„Ganz ehrlich, Mr. Sikiokuu: Ich glaube nicht, dass Vinjinia zu politischen Verschwörungen fähig ist.“
„Sie verteidigen Sie also wieder? Wohin sind Ihre Zweifel verschwunden? Haben Sie die Fotos so schnell vergessen?“
„Silver Minister, diese Fotos schmerzen mich; und ich bitte Sie noch einmal, lassen Sie mich auf der Stelle nach Hause gehen und diese verräterische Frau zur Rede stellen. Eine Nacht reicht vollkommen, ihr die faulige Wahrheit zu entreißen.“
Sikiokuu war beunruhigt und ärgerte sich, dass Tajirikas Gedanken diese Richtung nahmen und nicht zu Machokali führten, sondern zum möglichen Verrat seiner Frau an ihm, dem Ehemann.
„Fangen wir noch mal von vorne an. Von Ihnen selbst einmal abgesehen, haben Sie jemals gehört oder gesehen, dass eine andere Person sich wünschte, weiß zu sein? Lassen Sie sich Zeit. Tajirika, das Problem mit Ihnen ist, dass Sie loyal sind bis zur Unschuld. Lassen Sie niemanden aus, nur weil er Ihr Freund ist. Descartes sagt, zweifle an allem und jedem …“
„Selbst dem Herrscher?“, fragte Tajirika ehrlich verwirrt. „Sagt er etwa, wir zweifeln am Herrscher und seiner Regierung?“
„Das habe ich nicht gesagt“, antwortete Sikiokuu scharf.
„Ist dieser Descartes Ihr Freund oder Berater?“
„Mr. Tajirika!“, meinte Sikiokuu kalt. Er konnte seine Wut und seinen Frust kaum noch verbergen. „Ich habe wirklich keine Zeit zu verschwenden. Sie aber benötigen offensichtlich mehr Zeit, um über die wahre Bedeutung Ihrer Worte ‚wenn‘ und ‚weiß‘ und ‚wünsche‘ nachzudenken.“
Sikiokuu erhob sich.
„Bitte gehen Sie nicht“, flehte Titus Tajirika. „Lassen Sie mich nicht in der Gefangenschaft zurück.“
„Gefangenschaft in meinem Büro?“, sagte Sikiokuu verächtlich. „Tajirika, Sie scheinen eine sehr hohe Meinung von sich zu haben. Haben Sie ernsthaft geglaubt, ich ließe Sie allein in diesem Büro? Damit Sie Ihre Phantasien pflegen können, eines Tages selbst Minister zu werden? Sir Titus Tajirika, Sie werden niemals mehr als ein plumper Schmiergeldsammler sein. Die Waswahili sagen, wenn ein Muslim Schweinefleisch essen muss, dann sollte er sich wenigstens das saftigste Stück heraussuchen. Das meinen auch die Engländer. Besser, wegen eines Schafes gehängt zu werden als wegen eines Schäfchens. Wenn Sie sich schon schmieren lassen müssen, dann haben Sie wenigstens so viel Phantasie, mehr als nur ein paar symbolische Münzen einzustecken. Ansonsten halten Sie sich lieber die Nase sauber, wie Ihr Stellvertreter John Kaniũrũ, der jetzt, während Ihrer Abwesenheit, sowohl Stellvertreter als auch amtierender Vorsitzender von Marching to Heaven ist. Und sollte er in dieser Stellung bestätigt werden, dann liegt das einzig und allein an Ihrer undankbaren Weigerung zur Zusammenarbeit.“
Sikiokuu drückte auf einen Knopf. Sekunden später hatte man Tajirika die Augen verbunden und aus dem Büro geführt. Verzweifelt schrie er: „Was wollen Sie und Ihr Descartes von mir?“