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„Ehrlich, Haki ya Mungu, auch wir sehnten uns nach einer Stimme aus dem Grasland“, erzählte A.G. später seinen Zuhörern und versuchte, sie für sich einzunehmen, damit sie ihm sagten, was sie von ihm hören wollten.
Von ihrer Hingabe an seine Worte ermutigt, berichtete A.G. dann, wie sie vier – er, Kahiga, Njoya und Tajirika – zur Polizeiwache von Santamaria gefahren waren, wo sie ein Zivilfahrzeug übernahmen. Dem Polizeichef Wonderful Tumbo erzählten sie, sie würden ins Grasland hinausfahren, um Nyawĩra zu fangen, und dass Tumbo und seine Leute es ignorieren sollten, falls ihnen gemeldet werde, es würden sich Fremde in der Wildnis herumtreiben.
A.G. war von der Aussicht auf das Abenteuer als einer der Boten des Herrschers ganz aufgeregt, glaubte aber, dass seine Begleiter ein bisschen ängstlich waren. Vor allem Tajirika: Er sah niedergeschlagen aus und sprach nicht viel mit Kahiga und Njoya. Eigentlich redeten die drei nur über A.G. miteinander, und der vermutete, dass sie sich nicht zum ersten Mal begegneten.
Sie fuhren ein Stück ins Grasland hinein, parkten das Auto an einem Akaziendickicht und gingen hinein; Tajirika voran und die anderen, mit Spaten, Hacken und Spitzhacken ausgerüstet, hinterher.
„Wir sahen wie eine Truppe Goldgräber aus“, flüsterte A.G. seinen aufmerksamen Zuhörern zu, als würde er ihnen ein großes Geheimnis verraten, „und Tajirika war unser Anführer.“
Obwohl sie nach Dollars graben sollten, weilten ihre Gedanken unablässig beim Herrn der Krähen, der A.G. immer wieder in Erstaunen versetzte. Wie viele Einwohner Aburĩrias würden das Geld, das sie in Ausübung ihres Berufes eingenommen hatten, begraben und sowohl dieses Vorgehen als auch den Ort anschließend einem anderen verraten? A.G. war außerdem ein wenig über den Aufenthaltsort des Herrn der Krähen besorgt. War er in Amerika oder in Aburĩria?
Njoya und Kahiga machten sich wegen der gesamten Unternehmung Sorgen und hätten am liebsten nichts damit zu tun gehabt. Seit sie erfahren hatten, dass der Herr der Krähen nicht aus Amerika zurückgekehrt war, dachten sie über die Drohungen nach, die die Hexe ausgestoßen hatte; sie würde sie zweifellos für sein Verschwinden verantwortlich machen. Kein Tag verging, ohne dass sie sich vor möglicher Vergeltung fürchteten. War dieser Auftrag vielleicht Teil ihres Plans?
Tajirika witterte eine Falle. Warum sollte jemand Geld vergraben? Was, wenn es schon jemand ausgegraben und fortgeschafft hatte? Was, wenn das Ganze ein Scherz des Zauberers war? Wie sollte er mit leeren Händen zum Herrscher zurückkehren? Wie er es auch betrachtete, es stand fest, der Herr der Krähen hatte ihn in eine schreckliche Lage gebracht.
Es gab kein klares Ziel. Tajirika zufolge suchten sie nach einem von zahllosen Büschen. Der Herr der Krähen hatte es nicht näher beschrieben; er hatte lediglich von einem Busch im Grasland, nicht weit von Santamaria, gesprochen. Wo sollten sie die Suche beginnen?
„Ehrlich, Haki ya Mungu, wir waren, ich weiß nicht wie lange, in der Steppe und gruben Löcher wie die Ameisen“, sagte A.G. „Niemand kam, weder aus Santamaria noch von sonst irgendwo, um uns zu fragen oder zu belästigen. Wir waren abgekämpft vom immer gleichen Ablauf, dem endlosen Suchen und Graben, Tag und Nacht. Ich entschied mich, den anderen zu sagen: ‚Hört mal her: Auch Gott ruhte am siebten Tag, als er Himmel und Erde schuf. Wir aber haben schon über sieben Tage hier geschuftet. Was wollen wir beweisen?‘ Nur Tajirika erhob Einspruch; wir warfen ihm vor, gegen Ruhepausen zu sein, weil er selbst nicht arbeiten musste, sondern nur von Busch zu Busch ziehen brauchte. Als er das hörte, nahm er eine Spitzhacke und fing wütend an zu graben, als wollte er uns zeigen, wie sich ein Mann einsetzen musste. Wir standen daneben und sahen ihm zu, wie er wie ein Verrückter grub, bis er im Loch zusammenbrach und wir ihn herausziehen mussten, und ich sage euch, zu diesem Zeitpunkt waren wir so erschöpft, dass auch wir neben dem Körper unseres Anführers zusammenbrachen und sofort einschliefen.“
Sie schliefen mehrere Tage. Als sie schließlich erwachten, sahen sie auf eine endlose Anzahl von Ameisenbauten, die wie Erdhügel überall im Grasland verstreut waren. Kahiga und Njoya machten den Vorschlag, Tajirika solle im State House anrufen und Bescheid geben, dass es nicht gelungen sei, die Säcke mit den Dollars zu finden. Tajirika widersprach heftig und beharrte eisern: „Wir müssen weitergraben, bis wir das Geld finden.“ Njoya und Kahiga widersprachen ebenso heftig, dass das Löchergraben Archäologen, Goldgräbern und Minenarbeitern überlassen werden sollte. Sie hätten gegraben, so weit das Auge reichte, völlig umsonst. Eher würden sie eine Bank ausrauben, als noch einmal eine Spitzhacke anfassen.
Tajirika flehte sie an, noch einen Tag durchzuhalten, aber sie waren wirklich sehr schwach und hatten alle Hoffnung aufgegeben. A.G., der sich aus dieser Auseinandersetzung herausgehalten hatte, mischte sich nun ein und sagte, er habe ihre endlosen Rangeleien satt. Auch wenn er sich jeder Entscheidung beuge, die sie träfen, brauche er jetzt erst einmal etwas Ruhe für sich. Er stand auf und ging tiefer in den Buschwald hinein.
Kahiga und Njoya folgten ihm, weil sie sich keinesfalls der Anordnung widersetzen wollten, einander im Auge zu behalten. Tajirika rannte ihnen hinterher und beschwor sie, ihre Pflicht zu erfüllen und ihn nicht allein im Grasland zurückzulassen. Auch er war mit seinen Kräften am Ende.
Wenn er zu dieser Stelle seiner Erzählung kam, machte A.G. eine Pause und fragte seine Zuhörer theatralisch: „Was glaubt ihr, warum ich die Erschöpfung so betone?“ Aber bevor irgendjemand reagieren konnte, beantwortete A.G. seine Frage selbst.
„Ich weiß nicht, was es war –, vielleicht ließ mich der Buschwald an die Nacht zurückdenken, in der ich den Herrn der Krähen in seiner Verkleidung als Bettler die ganze Strecke vom Paradise bis nach Santalucia gejagt hatte, oder waren es gar zwei Zauberer oder Bettler? Wie in jener Nacht spürte ich, wie mich eine Kraft vorantrieb, die so gewaltig war, dass ich nicht anhalten konnte, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ehrlich, Haki ya Mungu, eine mir unbekannte Macht trieb mich an. An einer Stelle stolperte ich fast über einen großen Stein. Ich blieb stehen. Vor mir lag ein Felsbrocken, der in zwei Teile gespalten war. Der Raum dazwischen war von Gras und Unterholz überwuchert.
Plötzlich hatte ich ein seltsames Gefühl in der Magengrube, denn als ich mich umsah, ehrlich, Haki ya Mungu, erkannte ich, dass ich mich im selben Gehölz befand wie in der Nacht, als ich den Herrn der Krähen jagte, und es war derselbe Stein, über den ich damals gestolpert und gefallen war, und deshalb den Zauberer – oder beide – aus den Augen verlor. Später sollte ich begreifen, dass mein Sturz kein Zufall gewesen war, sondern der Zauberer ihn bewirkt hatte. Aber was hat dieser Zufall jetzt zu bedeuten?, fragte ich mich. Hatte der Herr der Krähen den Schatz hier vergraben, bewacht von den Mächten einer anderen Welt?
Ich setzte mich auf den Felsbrocken, und Kahiga, Njoya und Tajirika hockten sich schweigend dazu, weil, um die Wahrheit zu sagen, das Sprechen unerträglich, geradezu eine Last geworden war. Jeder hing seinen Gedanken nach, ja, aber irgendwann hörte ich mich zu meinen Begleitern sagen: ‚Der Herr der Krähen kennt viele Tricks. Ich habe ihn einmal über das Grasland gejagt, und ich glaube, dass er mich an einen ähnlichen Ort wie diesen geführt hat …‘ Ich glaubte, sie würden das Thema aufgreifen, aber keiner schien an dem, was ich sagte, interessiert zu sein. Jeder rang für sich mit den Dämonen, die von einer körperlich, geistig und seelisch erschöpften Person so Besitz ergreifen können, dass sie sich am hellen Tag funkelnde Sterne am Himmel einbildet …“
Tajirika glaubte, Gespenster zu sehen. Die Blätter der drei Büsche vor ihm waren keine gewöhnlichen Blätter, sondern … Er traute seinen Augen nicht und versuchte mühsam, den anderen etwas zuzurufen. Er fand jedoch keine Worte und deutete deshalb nur mit dem Finger und flüsterte heiser: „Seht, bitte seht doch mal und sagt mir, ob das nicht wieder so ein Trick des Herrn der Krähen ist. Sagt mir, dass das keine amerikanischen Dollars sind, die hier an den Büschen wachsen!“
„Keiner von uns glaubte, was er hörte. Wir sahen uns an und dachten dasselbe: Geldscheine, die an Bäumen wachsen? Tajirika ist verrückt geworden. Als wir genauer hinsahen, mussten wir zugeben, dass die Blätter tatsächlich wie amerikanische Dollars aussahen. Trotzdem hegten wir noch Zweifel, die jedoch verschwanden, als Tajirika Geldscheine aus seiner Tasche zog und mit zitternden Händen zu den Büschen hinüberging, um das, was er in der Hand hatte, mit dem zu vergleichen, was am Busch hing. Ehrlich, Haki ya Mungu, von der Stelle, an der wir saßen, konnte keiner einen Unterschied erkennen; wenn überhaupt, dann schienen die Scheine an den Büschen glatter und grüner und weniger zerknittert als die aus Tajirikas Tasche. Einige Blätter hatten winzige Löcher und ein paar waren an den Rändern eingerissen, aber unser Anführer Tajirika erklärte, das käme von Würmern und anderen Insekten, die vom Wert des Dollars keine Ahnung hätten.“
Tajirika sank vor den Büschen auf die Knie und begann vor Freude zu weinen wie ein zum Tode Verurteilter, dessen Strafe in dem Augenblick umgewandelt wird, da die Hinrichtung unvermeidlich zu sein scheint und unmittelbar bevorsteht.
„Wir sind gerettet!“, schrie er, und die anderen sprachen im Chor: „Amen.“